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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

In seinem kleinen Häuschen zu Killingworth besserte der unermüdlich thätige Mann in seinen Mußestunden mit gleicher Sorgsamkeit die alten Schuhe, wie die Uhren seiner Arbeitsgenossen aus, um das Geld zu erwerben, welches dazu nöthig war, seinen Sohn „Dick“, den nachmals ebenfalls weltberühmten Robert Stephenson (nachmals leitender Ingenieur von mehr Eisenbahnen, als sehr viele Techniker gesehen haben, Mitglied des Parlaments von England und Träger der höchsten wissenschaftlichen und bürgerlichen Ehren), in der Sammelschule eines gewissen Bruce in Newcastle das lernen zu lassen, dessen Mangel ihn, Georgen, wie er sagte, abhielt „ein großer Mann“ zu werden.

An einem Sommerabende des genannten Jahres befand sich George Stephenson in dem kleinen Garten, der an seinem Häuschen lag, emsig mit der Pflege seiner Kohlpflanzen und Gurken beschäftigt. Die Gemüsecultur, die stets bei ihm eine wahre Leidenschaft geblieben ist, und die er später in den größten Dimensionen, mit ungemeinem Aufwande trieb, interessirte ihn schon damals sehr, und er war stolz darauf, daß seine Nachbarn zu ihm zu kommen pflegten, um die ungewöhnliche Größe seiner Kohlköpfe und Rüben anzuschauen.

Plötzlich dröhnte durch die Stille des Sommerabends ein dumpfer, den Boden erschütternder Donnerschlag, dem augenblicklich ein markerschütterndes Geschrei von der nahegelegenen Kohlengrube her folgte. Stephenson war keinen Augenblick im Zweifel darüber, daß eine Explosion schlagender Wetter in derselben stattgefunden haben müsse, und noch weniger über die Pflichten, die er dabei zu erfüllen hatte. Welche Gefahren sich daran knüpften, das war ihm, dem Erfahrenen, am wenigsten verborgen.

Schuhe und Hut anzulegen – dazu ließ er sich nicht die Zeit – aber ohne einen, vielleicht den letzten Kuß von seinem Weibe, seiner treuen, guten Fanny, zu gehen, das war ihm unmöglich, und diese Versäumniß müßte ihm der gerechte Gott schon verzeihen!

Aber kaum hatte er sich aus den Armen, die ihn fest umschlungen hielten, losgerungen, so trieb schon der „Instinct des Vertrauens“ heulende und schreiende Schaaren von Arbeitsgenossen, Weibern und Kindern der in der Grube steckenden Leute zu ihm in’s Haus, die es mit schreckverzerrten Gesichtern füllten und die Hände nach ihm streckten, ohne zu wissen, was sie eigentlich von ihm, dem einzelnen Manne, wollten. Ohne ein Wort zu verlieren, bahnte er sich einen Weg durch die dichte Masse, die dem Voranlaufenden getreulich folgte.

Dampf und Brodem schoß in mächtigen Säulen aus dem Schachte; das Dach des Maschinenhauses war durch den mächtigen Luftdruck der Explosion zerstört.

Die Grube hatte nur einen Förder- und Fahrschacht, aber mehrere Luftschachte, es war also möglich, daß die Leute unten, wenn sie nicht verschüttet waren, unerstickt geblieben sein konnten. Es galt sie herauszuschaffen, oder das Feuer, das offenbar unten brannte, zu dämpfen. Stephenson untersuchte ruhig seine Maschine, räumte dazwischen gefallene Trümmer weg, setzte sie in Gang, fand, daß sie sich gut bewegte, tauchte ein großes Tuch in Wasser und wickelte es sich um Kopf und Oberkörper, und in das zur Kohlenförderung bestimmte Gefäß steigend, das vier bis fünf Mann fassen konnte, und das der Dampf aus dem Schachte umqualmte, rief er mit starker Stimme in die Schaar, die ihn leichenblaß und stumm umstand, hinein: „Wer fährt mit hinunter?“ Entsetzt wichen die jüngsten und beherztesten, wie die ältesten und erfahrensten Leute vor dieser wahren Höllenfahrt zurück. Da befahl Stephenson seinem Stellvertreter, die Maschine in Gang zu setzen, indem er allein hinunter wolle, und sie schnell laufen zu lassen, damit er nicht schon unterwegs ersticke. Doch – da siegte der „Instinct des Vertrauens“ bei drei Männern im Kreise – sie sprangen zu ihm in das Fördergefäß – die Maschine zog an, und die vier Beherzten verschwanden, unter einem allgemeinen Geschrei des Entsetzens, in dem dampfenden Schlunde.

Die Grube war nur wenige hundert Fuß tief; die Hinabfahrt war daher, ohne vieles Athemholen, auszuhalten, und etwas betäubt, aber wohlbehalten langten die Männer unten an. Stephenson überzeugte sich bald, daß die Zerstörungen nur gering, nur zwei Leute durch die Explosion getödtet seien und die andern, entsetzt und ohne Geistesgegenwart, sich unter einen der Luftschächte zusammengedrängt hatten. In einem der Stollen brannte Zimmerung und Kohlenflötz, aus ihm qualmte der Brodem empor, der, inzwischen vermehrt, die Ausfahrt aus dem Schachte ganz unmöglich gemacht hatte.

Bei Stephenson’s Anblick brachen die Leute in ein Jubelgeschrei aus; starken Herzens und nur das Nothwendige im Auge, wies er schroff und hart alle Freudenbezeigungen zurück, befahl zehn von ihnen, die er als die besten Maurer kannte, sich mit Wasser zu begießen und ihm mit Maurerwerkzeug nach dem brennenden Stollen zu folgen. Zugleich mußten die Andern eine dichte Handlangerkette von dem im Schacht befindlichen Depot von Ziegeln und Kalk nach jenem Orte der Gefahr bilden. Als ob ein mächtiger Geist und nicht ein armer Maschinenwärter befehligte, gehorchte die Masse. Auf dem Leibe hinkriechend, näherte sich Stephenson mit den zehn Maurern der Mündung des brennenden Stollens; über ihre Leiber hin wurden ihnen Kalk und Steine zugereicht, und die Leute selbst wurden mit Wasser begossen. So begannen sie, unter unsäglichen Beschwerden der Athemnot und Glut, aber, trotzdem daß mehrere von ihnen immer matter und stiller wurden, bis sie endlich regungslos ausgestreckt lagen, mit aller Kraft, die ihnen die furchtbare Lage ließ, und, am rüstigsten unter ihnen arbeitend, Stephenson, eine Mauer an der Stollenmündung auszuführen. Je nachdem diese emporstieg und sie gegen Rauch und Hitze schützte, konnten sie sich mehr emporrichten, und um so schneller und freudiger förderte die Arbeit. Immer enger wurde das Loch, aus dem Rauch und Flamme herausqualmte, schon wollten sich einzelne Freudenrufe hören lassen, als Stephenson, der sehr wohl wußte, wie nahe die Gefahr einer zweiten Explosion lag, denselben kraftvoll Stille gebot, bis der letzte Stein in die Mauer gesetzt, der brennende Stollen verschlossen und die letzte Qualmwolke zur Schachtmündung hinausgezogen war. Dann ließ er die Schwächsten in das Fördergefäß steigen und an das Gotteslicht emporfahren, und so alle Lebendigen, und zuletzt die zwölf Leichen der bei der Explosion und dann bei der Arbeit Erstickten, die seine rüstigen drei Gefährten bei der Höllenfahrt, ihm in das Fördergefäß laden helfen mußten.

Endlich fuhr er auch selbst hinauf, wo die Ingenieure und Eigenthümer der Grube versammelt waren.

Die Ersteren lobten sein Verfahren und sagten, sie hätten es selbst nicht besser machen können; die Andern, denen er die Grube gerettet hatte, denn der Brand des Flötzes erlosch noch denselben Tag, erhöhten seinen Wochenlohn um 10 Schillinge!! – Einer unter diesen frug Stephenson im ersten Eindruck des neuen, durch die furchtbare Gewalt der schlagenden Wetter herbeigeführten Unglücks, und mit einem Anwehen des „Genies des Vertrauens“: „Mann! läßt sich denn gar Nichts gegen dieses Unheil thun?“ Und der noch in seinen nassen Kleidern triefende Stephenson sagte im Weggehen: „Ich sollte meinen, daß Gott Hülfe dagegen schicken würde, wenn sich ein guter Mann recht ernstlich damit beschäftigen wollte!“

Zwanzig Jahre später rang der Erfinder der Locomotive mit dem großen Humphry Davy um die Priorität der Erfindung der Sicherheitslampe!

Er war einer der „guten Männer“ gewesen, die Gott auserwählt, um seine Hülfe zu schicken, und der „Instinct des Vertrauens“ der armen Kohlenarbeiter hatte ihn längst als Rüstzeug der Vorsehung erkannt, als das Parlament noch die Pläne des dunkeln Mannes zu der Liverpool-Manchester-Eisenbahn verspottete.




Fürst Pückler-Muskau und seine Parkanlagen in Muskau und Branitz bei Cottbus.

Die Niederlausitz, weiland des heiligen römischen Reiches Erzsandbüchse, bietet dem Naturfreunde Reize dar, deren Vorhandensein wohl deshalb weniger gewürdigt wurde, weil dieser Landstrich, durch den Mangel an Eisenbahnen vom Reiseverkehr unberührt, in eine isolirte Lage geraten ist. Die eigenthümliche Bodenbildung des Spreewaldes, mit seinen hundert Canälen, hat zwar schon manchen Touristen zu einem Besuche veranlaßt, und neben mehr oder minder wahrheitsgetreuen Naturschilderungen sogar eine

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 427. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_427.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)