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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

auch eine große Branntweinbrennerei verbunden. Das führt mich oft hin. Die Branntweinkessel gehören ja mit zu meinem Metier, wie Mord und Todtschlag zu Deinem, und durch eben diese Branntweinkessel bin ich mit dem Gute und seinem Besitzer und dessen Familie bekannt geworden.“

„Er hat Familie?“

„Und namentlich eine wunderhübsche Tochter.“

„Ah, zu deren Polterabend reisest Du?“

„Zu deren Polterabend reise ich.“

„Du nanntest ihn ein Unglück!“

„Pah, wie viele glückliche Ehen kennst Du denn in der Welt? Die Deinige natürlich ausgenommen!“

„Und die Deinige! Aber Du sprachst das Wort Unglück so ernst und so eigenthümlich ernst aus.“

„Und ich hatte Recht. In der Familie Bertossa aus Kalwellen herrschen eigenthümlich ernste Verhältnisse. Man könnte sie noch wohl anders bezeichnen. Der Mann, Bertossa, kam vor vier Jahren hier an. Das Gut Kalwellen stand damals zum öffentlichen Verkaufe. Es war in inländischen und auswärtigen Zeitungen ausgeboten. Er besah es, unterhandelte mit dem Verkäufer, kaufte es und er bezahlte den Kaufpreis baar – nahe an achtzigtausend Thaler. Er mußte sehr reich sein. Er nahm das Gut in Besitz, reiste ab, um seine Familie zu holen, und kam mit ihr nach vier oder fünf Wochen zurück. Seitdem wohnen sie dort.“

„Und woher kam er?“

„Das weiß man nicht. Die Polizei mag es wissen – vielleicht auch nicht. Andere Leute sprechen bald dies, bald das.“

„Und was sprechen sie?“

„Einige sagen, er sei ein Flamländer, er komme aus Belgien; Andere wollen wissen, er sei ein Romane und komme aus dem Canton Graubünden.“

„Aber die Sprache, die Aussprache?“

„Es ist eine gebildete, eine sehr gebildete Familie. Sie sprechen Deutsch, Französisch, Italienisch. Ihr Deutsch ist ein durchaus reines.“

„Und ihre Heimathspapiere, die sie der Polizei überreicht haben mußten, woher sind die?“

„Ich weiß es nicht, wie ich Dir sagte. Aber Papiere kann man überall bekommen.“

„Du scheinst den Leuten nicht zu trauen?“

„Hm, ich bin Steuerrat, der nur an Contraventionen und Defraudationen denken darf.“

„Bei Schlacht- und Mahl- und Branntweinsteuer! Aber außerdem nur, wenn er besondere Gründe hat. Hast Du sie?“

„Hm – aber nein, nein – und doch! Aber es kommt ja Alles auf die Augen an, mit denen man sieht, und ich habe ja einmal die Steueraugen.“

„Nun, was haben Deine Steueraugen gesehen? Erzähle – von dem Mann, von der Familie.“

„Sogleich, und dann, wenn Du mich begleitest, sollst Du selbst sehen – mit Criminalaugen. Also, der Mann ist ein feiner Weltmann, am Ende der funfziger Jahre, mit Augen, die in keines anderen Menschen Auge sehen können, aber jedem anderen Menschen bis in die tiefste Tiefe seines Inneren sehen möchten. Es kommt seine Frau. Sie steht vielleicht im Anfange der funfziger Jahre. Sie ist schön gewesen. Sie ist leidend, still. Es drückt sie etwas, und – wohl nicht blos ein Aerger.“

„Sondern?“

„Ich weiß es nicht. Sie wird es schon wissen, und der liebe Gott und ihr Mann. – Aber weiter. Sie haben zwei Kinder. Einen Sohn – Ulrich heißt er – einen Burschen von einigen zwanzig Jahren, eine lebhafte, feurige, offene Natur, und doch gefällt er mir nicht.“

„Und warum nicht?“

„Ich weiß es selbst nicht. Ich kann nichts an ihm finden, was mir mißfiele. Vielleicht ärgert sich just darüber meine Steuernatur. – Das zweite Kind ist die wunderhübsche Tochter, von der ich Dir sprach, erst achtzehn Jahre alt und vielleicht schon unglücklicher, als ihre Mutter.“

„Sie hat heute ihren Polterabend?“

„Ja.“

„Und ihr Unglück?“ –

„Ist der Polterabend.“

„Erzähle.“

„In dem Hause ist seit anderthalb Jahren ein Gutsinspector, Holm heißt er, ein stiller, braver, lieber Mensch. Er und die Tochter, Rosalie, lieben sich, und sie soll morgen einen Anderen heirathen.“

„Und wen?“

„Das weiß Gott. Vor ungefähr drei Vierteljahren sah ich zum ersten Male in dem Hause einen fremden jungen Mann von etwa dreißig Jahren, vornehm, stolz, anmaßend, unausstehlich. Er war, wie der Herr im Hause, aber wie ein Herr, den Jedermann im Hause fürchtete, haßte, zu allen Teufeln wünschte und den man doch nicht los werden konnte. Warum nicht, und was es mit ihm war, und wer er war, und woher er kam, und was er wollte, und was er that, über das Alles konnte ich nichts erfahren, und habe ich eigentlich bis auf den heutigen Tag nichts erfahren können. Er wurde mir als ein Baron von Föhrenbach vorgestellt, der aus früherer Zeit mit der Familie bekannt sei. Ich sah ihn später, wenn ich da war – meine Geschäfte führen mich alle sechs Wochen hin – nur selten. Wo er war? ich kümmerte mich nicht um ihn – er schien mich eben so wenig gern zu sehen, wie ich ihn gern vermißte. Auf einmal erhielt ich vor mehreren Wochen die Anzeige der Verlobung der schönen, armen Rosalie Bertossa mit dem Baron Theobald von Föhrenbach, und vor drei Tagen die Einladung zu ihrem heutigen Polterabend. Steuerräthe pflegen gern in den Familien gesehen zu werden, weil man sie ungern in den Brennereien sieht.“

„Und zu dem Polterabend soll ich Dich begleiten? Ich bin nicht eingeladen, ich kenne Niemanden dort.“

„Du bist mein Freund. Ich habe Dich zufällig in der Nähe getroffen. Du vergingst vor Langerweile und manchem Anderen. Auf den Gütern ist man gastfrei, und was ist unter funfzig, sechszig Gästen Einer mehr?“

Das war Alles richtig.

„Aber was soll ich dort?“ mußte ich wiederholt fragen. „Was war Dein sonderbarer Gedanke? In welcher Beziehung kann Dein Polterabend zu meinem Morde stehen?“

„Es kommen zu dem Polterabend so viele Menschen aus der ganzen Gegend zusammen, Leute allerlei Standes, Gutsbesitzer, reiche Kölmer, Kaufleute, Krämer, Krugwirthe. Die sehen und hören viel, was auf zehn Meilen weit an der Grenze passirt. Und sodann, warum müssen der Ermordete und der Mörder gerade nothwendig unter den Schmugglern zu finden sein?“

„Du wolltest sie anderswo suchen?“

„In solchen Fällen muß man überall suchen, oder gar nicht.“

Er hatte Recht. Ich versäumte auf keinen Fall etwas. Erst am folgenden Tage konnte ich die Leiche von den Russen in Empfang nehmen. Bis dahin war in der Untersuchung nichts zu thun, und bis dahin war ich auch von dem Polterabend zurück. Ich fuhr in seinem Wagen allein mit ihm. Den Secretair und den Executor ließ ich zurück. Den Gendarmen wies ich an, mir nach einer Stunde zu folgen, und im Kruge zu Kalwellen auf mich zu warten. Es konnte möglich sein, daß ich seiner dort bedurfte. Wir hatten drei Stunden zu fahren. Es war längst dunkler Abend, zwischen neun und zehn Uhr, als wir im Dorfe Kalwellen ankamen.


Der Gutsgarten lehnte sich an ein kleines Wäldchen. Wir fuhren in dieses und ließen den Wagen sich dort verborgen aufstellen, er durfte nicht gesehen werden. Wir gingen durch das Wäldchen an den Garten, und sahen und hörten, was ich oben erzählt habe.

Wir kehrten zu unserem Wagen zurück und fuhren zu dem Gutshause. Wir kamen in das Haus eines reichen Mannes, der zu leben wußte. Man sah es an Allem. Ein Bedienter empfing uns beim Aussteigen aus dem Wagen, er bat uns, ihm in den Garten zu folgen, wo die Gesellschaft sei. Wir folgten ihm dahin. Der Garten glich einem Park. In einem von dem Hause entfernten Theile befand sich die Gesellschaft. Ein von Boskets umschlossener runder Platz war mit Lampen und Lichtern erhellt. Die Gäste bewegten sich dort zwanglos. Der Diener führte uns zu der Herrin des Hauses. Sie saß in einem Kreise von Frauen. Der Bräutigam hatte sie wohl dahin geführt, als er sie auf so rohe Weise aus der Laube neben dem Pförtchen abholte. Er hatte sie wohl im Auge behalten, daß sie nicht fortkonnte, um jene Nachricht von ihrem Sohne zu erhalten, der sie mit eben so viel Angst wie Sehnsucht entgegensehen mochte. Sie unterhielt sich mit den

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 434. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_434.jpg&oldid=- (Version vom 15.4.2018)