Seite:Die Gartenlaube (1863) 449.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Ein Polterabend.
Von J. O. H. Temme.
(Fortsetzung.)

Die Frau Bertossa war ihrem Gatten entgegengeeilt. Sie hatten sich getroffen, und sie richtete mit ängstlichem Gesicht und bebenden Lippen eine hastige Frage an ihn. Er verneinte mit einem schmerzlichen Kopfschütteln. Sie verschwanden hinter der Menge. Mein Freund und ich waren zurückgeblieben.

„Was ist Dir?“ sagte mein Freund, der nicht blos Maischbütten und Braukessel, sondern auch Menschen beobachten konnte. „Mit Dem hast Du was gehabt?“

„Nein,“ erwiderte ich.

„Aber Du kennst ihn?“

„Ja.“

„Und nun bist Du auch auf einmal über den Andern klar!“

„Kannst Du in meinem Innern lesen?“

„In Deinem Gesichte. Und da man so leicht darin lesen kann, und der Andere, der Baron dort, wahrscheinlich sehr gut zu lesen versteht, so denke ich, wir ziehen uns ein wenig zurück. – Aber da fällt mir ein, daß ich in dem Gesichte des Herrn Bertossa nichts darüber lesen konnte, daß er Dich schon gesehen habe.“

„Er kennt mich auch nicht. Ich denke es mir wenigstens.“

„Du denkst es Dir? Hm, und auch dem Baron schien es eben keine Sorge zu machen, daß er Dich und seinen künftigen Schwiegervater so nahe beisammen sah!“

„Er kann auch nicht wissen, daß ich den Herrn Bertossa kenne.“

„Und doch kanntest Du sie Beide früher in naher Beziehung zu einander?“

„In sehr naher.“

„Darf ich das Nähere erfahren?“

„Warum nicht? Ich werde zudem Deines Rathes, Deiner Hülfe bedürfen, denn hier wird schleunig gehandelt werden müssen, schon um des armen Mädchens willen dort.“

„Der Braut?“

„Sie darf seine Frau nicht werden.“

„Ah, mein braver Holm –“

„Und doch,“ mußte ich ihn unterbrechen, „was ist denn härter für das unglückliche Kind, für die arme Frau? Entgehen sie dem einen Schicksal, verfallen sie dem anderen.“

„Du sprichst in Räthseln,“ sagte der Steuerrath. „Löse sie. Erzähle.“

Wir waren in das Bosket zurückgetreten, an welchem die kleine Polterabendposse ausgeführt wurde. Die Schauspieler spielten noch immer, machten Schwänke und überboten sich in Witz und Scherz. Der Bräutigam sah finster zu. Seine glühenden Augen waren unruhig; sein Gesicht war blaß, erschlafft geworden; seine Gedanken waren anderswo. Die Braut saß wie ein armer Engel des Leidens und des Schmerzes neben ihm, und wenn man sah, wie sie zu einem Lächeln sich zwang, so sah man, wie ihr Herz weinte, und man hätte mit ihr weinen mögen.

Der Hausherr und die Hausfrau waren fortgegangen, um ihre Angst und ihre Noth auszutauschen und sich die schweren Herzen noch schwerer zu machen; mein Freund und ich standen von der Seite.

„Aber Dein armer Holm!“ sagte ich, ehe ich meine Erzählung begann. „Du wolltest in zehn Minuten wieder bei ihm sein!“

„Er wird schon warten. Vielleicht ist sie auch zu ihm gegangen; vielleicht mit ihrem Mann. Erzähle.“

Was ich ihm mitzutheilen hatte, war nicht das Große. Vor etwa vier Jahren aus einer der entferntesten Provinzen des Staats hierher versetzt, hatte ich auf meiner langen Reise von zweihundert Meilen einen Freund zu begrüßen. Es war anderthalbhundert Meilen von hier. Er war Criminalrichter, wie ich. Der Freund war nicht in seiner Wohnung. Er sei auf dem Criminalgerichte, wurde mir gesagt. So mußte ich denn zugleich das Handwerk begrüßen.

Ich ging zum Criminalgerichte. Seine Verhörstube wurde mir angewiesen. Er war darin mit Inquiriren, Verhören, beschäftigt. Mir um desto lieber. So kam ich medias in res. Ich trat unangemeldet in die Stube. Er war mit seinem Protokollführer darin und einem Manne, den er verhörte. Wir umarmten uns, ohne daß unsere Namen dabei genannt wurden. Alter Freund! damit hatten wir uns begrüßt. Es fiel mir hier vorhin wieder ein. Der Freund, der Criminalrichter, war fertig; er entließ den Mann, den er verhört hatte. Wenn man das Handwerk begrüßt, so spricht man bald von dem Handwerke.

„Hast Du Dir den Menschen angesehen, den ich da vernahm?“ fragte mich der Freund.

„Ja.“

„Ist Dir nichts an ihm aufgefallen?“

„Es war ein kleiner, häßlicher Mann, mit struppigem, schwarzem Haar, zusammengekniffenen Lippen, glühendem Gesichte.“

„Das Gesicht ist sonst blaß, sehr blaß.“

„Er war also aufgeregt?“ 

„Vom Inquiriren.“

„Er war Inquisit?“

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 449. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_449.jpg&oldid=- (Version vom 15.4.2018)