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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Schleim überzogen sind. Er hat deshalb oft sich spottweise mit Dr. Sangrado aus Gil Blas vergleichen lassen müssen.

Nach seiner Rückkehr aus Warschau erwarb sich Bock rasch die Liebe einer gebildeten Bürgers- und Seifensieders-Tochter in Leipzig und verheirathete sich mit ihr. Ihn erwartete aber kein ruhiges Leben, sondern eine Zeit der angestrengtesten Thätigkeit, deren Wenige fähig sein dürften. Sein Vater starb plötzlich. Unserm B. fiel zum größeren Theil die Versorgung der zahlreichen Familie (neben seinem eigenen Hausstande) und die Beendigung der schriftstellerischen Werke seines Vaters zu. Letzteren ließ er bald mehrere eigene, meist anatomischen Inhalts folgen, von denen die meisten mehrmals aufgelegt sind. Viele Jahre hindurch ist B. alle Morgen um 3 Uhr aufgestanden, hat im ungeheizten Zimmer bis gegen 8 Uhr geschriftstellert und dann seine Tagesarbeit begonnen, welche besonders in Repetitorien und Examinatorien, bald auch (nachdem er sich habilitirt hatte) in eigenen Collegien bestand. Er galt bei den Studenten als der zuverlässigste Einpauker (d. h. Vorbereitender zum Examen) und trieb mit ihnen ziemlich alle Fächer der Heilkunde.

Man muß aber nicht glauben, daß Bock dabei zum gewöhnlichen Stubengelehrten geworden sei. Zwar verschmähte er schon damals das gewöhnliche Prakticiren, sogar in der Chirurgie, obgleich er für letztere besonders begabt und von zwei der besten Leipziger Chirurgen, Kohlrusch und Kuhl, als wirklicher Assistent, sogar im Jakobspital verwendet worden war. Aber sonst war er in leiblichen Dingen nichts weniger als ein Stubenhocker. Er schwamm, ritt, machte Fußreisen, avancirte in der Communalgarde zum Officier und endlich zum Bataillons-Commandanten, welcher zu Pferde die Manövers commandirte, – und zwar nicht ohne Anerkennung, sogar von Seiten des Militärs, aber auch unter allerlei Händeln, in welche ihn sein Sinn für das Recht und seine Gewohnheit, ohne Ansehen der Person Jedem seine Meinung gerade heraus zu sagen, verwickelte.

In diese Zeit nun, etwa 1832, fällt die durch Bock bewerkstelligte Einführung des Turnens im Königreich Sachsen. Zuerst für sich selbst, um den Nachtheilen des angestrengten Sitzens entgegenzuarbeiten, und um seine von Haus aus enge Brust zu erweitern (was ihm auch vortrefflich gelungen ist), errichtete Bock im Garten seines Schwiegervaters mehrere Turngeräte. Bald warb er mit dem ihm eigenen Talent zum Proselytenmachen eine Anzahl von jungen Gelehrten und anderen Personen zur Theilnahme und regelmäßigen Benutzung seines Turnplatzes, darunter manche Männer, die jetzt in Staat, Kirche, Rechtspflege, Heilkunde etc. hochstehen. Vorzugsweise zu nennen unter diesen ist Dr. Moritz Schreber (geb. in Leipzig), welcher später die Gymnastik und die gesundheitsgemäße Volkserziehung zu seiner Hauptaufgabe machte und das großartige heilgymnastische Institut begründete, welches noch heute blühend dasteht. Dieser Schreber war es dann, welcher den zweiten Schritt that und die Turnangelegenheit zuerst zur öffentlichen Erörterung brachte, indem er 1843 eine Schrift: „Das Turnen vom ärztlichen Standpunkte aus, zugleich als Staatsangelegenheit,“ veröffentlichte und der sächsischen Ständeversammlung vorlegte. Derselbe Schreber hat dann auch die deutsche Heilgymnastik, zuerst durch seine „Kinesiatrik“, in’s Leben gerufen und sich um Voksgesundheitspflege viel Verdienst erworben (auch durch Artikel in der Gartenlaube).

Nicht unerwähnt zu lassen ist, daß um dieselbe Zeit, jedenfalls noch vor 1834, auch in Dresden, und zwar im damals Blochmann’schen, jetzt Gräfl.. Vitzthum’schen Gymnasium, das Turnen systematisch durch einen tüchtigen und gescheidten Mann wieder eingeführt wurde. Dies war kein Anderer, als der jetzige Professor der Physik zu Jena, Herr Geh. Hofrat Dr. Snell, zugleich der erste Bevorworter der Realgymnasien[1]. Von Snell ging die Leitung des Turnwesens bei dieser Anstalt, und bald bei mehrern anderen, an den bekannten Turnlehrer Heusinger über, welchen wir Dresdner gewohnt sind, als unseren Turnvater zu begrüßen.

Bock war es dann auch, welcher im August 1845 unter Mitwirkung von Schreber, Professor Biedermann, Gustav Mayer a. A. den Turnverein zu Leipzig begründete und lange Jahre mit Mühen und Opfern für denselben wirkte. Diesem berühmten Leipziger Turnverein vorausgegangen war der Dresdner (Febr. 1845), welcher eine Zeit lang durch die Anzahl talentvoller, wissenschaftlicher Männer, die sich demselben widmeten, durch das von ihm begründete Journal (Steglich’s Turner), durch die Berufung des allgemeinen sächsischen Turntags, durch die Verwendung bei der Regierung, Einrichtung einer Turnlehrerschule u. s. w., an der Spitze des vaterländischen Turnwesens vorwärts ging. Nach den Maitagen 1849 aber fiel die Hegemonie von selbst und unbestritten auf den Leipziger Verein, welcher sich dieses Ehrenpostens auch bis jetzt vollkommen würdig gezeigt hat.

Bock’s Wirksamkeit für diesen Verein ist jahrelang die ausgedehnteste gewesen. Anfangs turnte er selbst mit; er beaufsichtigte den Betrieb des Turnens vom ärztlichen und vom gymnastischen Standpunkte aus; er war Mitglied des Turnraths; er führte dem Verein fortwährend Proselyten zu; er gab den Turnlehrern Unterricht in Anatomie, Physiologie und Diätetik; er hielt endlich im Verein selbst jene berühmten populären Vorträge, denen sich später ähnliche für die Voksschullehrer, dann für die gebildeten Damen Leipzigs, für eine ausgezeichnete Mädchenerziehungsanstalt und mehrere gewerbliche Bildungsvereine daselbst anschlossen. Alles das unentgeltlich, neben der eigenen anstrengenden Berufstätigkeit als Anatom, Professor, Arzt und Schriftsteller!

Soweit die turnerische Thätigkeit Bock’s. Wir fahren mit seiner Lebensgeschichte fort. Im Jahre 1839 wurde er zum außerordentlichen Professor der Medicin, 1845 zum Professor der pathologischen Anatomie ernannt, ein Zweig, welcher gerade zu dieser Zeit eine hohe Bedeutung für das gesammte Fach der Heilkunde erlangte und in immer steigendem Maße behalten hat. – Es fällt nämlich in diese Zeit jene radicale Umwälzung und Neugestaltung, welche die deutsche Heilwissenschaft und Kunst von Wien her, hauptsächlich durch den pathologischen Anatomen Rokitansky und seinen Freund Skoda, so wie durch deren zahlreiche, jetzt allenthalben berühmte Schüler in Wien und Prag erhielt (die Zeit der sogenannten neuen Wien-Prager Schule). Durch die Entdeckungen und Arbeiten, Lehren und Schriften dieser Männer wurde die deutsche Medicin auf einmal zu einer Wissenschaft der Thatsachen – statt Meinungen und Hirngespinste – und zwar so vielfach neuer und origineller Thatsachen, daß für die Aerzte und Professoren nur die Wahl übrig blieb, von Grund auf neu zu studiren, oder ins alte Eisen zu kommen. Wir wählten natürlich das Erstere. Wir gingen zusammen auf ein paar Monate nach Prag und Wien, und wiederholten diese Besuche später ab und zu. Wir verdanken ihnen die Bekanntschaft, ja Freundschaft der ausgezeichneteren Vertreter dieser Schule. Bock, dessen ganzer Lebensrichtung die Tendenz dieser Schule aufs Vollkommenste entsprach, ward natürlich ihr begeisterter und entschiedenster Anhänger. – Durch sein bald darauf erschienenes Handbuch der pathologischen Anatomie und Diagnostik, seitdem in mehreren Auflagen erschienen, trug Bock wesentlich bei, die Lehren dieser Schule in klarster faßlichster Weise über Sachsen und das übrige Deutschland zu verbreiten. Seine Leichenöffnungen im Jakobspitale, und seine dabei geübte Kunst, die Diagnose am Leichnam zu stellen, bevor er geöffnet wurde, und ohne den Verlauf der vorhergegangenen Krankheit zu kennen, galten mit Recht als Muster ärztlicher Lehrtüchtigkeit und wurden außer den Studenten noch von alten Praktikern und Professoren, wie von reisenden Aerzten eifrig besucht. Aber mit dergleichen persönlichen Erfolgen konnte einem Mann wie Bock nicht gedient sein. Die neben ihm wirkende Leipziger ärztliche Facultät bestand damals, mit wenig Ausnahmen, aus alten eingerosteten Professoren, die das Neue nicht aufnehmen konnten. Obenan der damalige Vorstand der inneren Klinik. Gegen diese kehrte sich also sofort die ganze Thätigkeit Bock’s in einer Weise, welche in kurzer Zeit zum feindseligsten Kampf ausartete.

In diesen Kampf hinein kam nun der große Streit um die Medicinalreform Sachsens, angeregt durch eine Bittschrift des Dresdner ärztlichen Vereins und durch einen ständischen Antrag auf Aufhebung der chirurgisch-medicinischen Akademie zu Dresden. Bei diesem Streit hat Bock durch sein berühmtes „Votum“, worin er allen Parteien der alten Zeit gehörig den Kopf wusch und die Homöopathie als den Gipfel des von den allen Schulen gehegten Unsinns bezeichnete, wohl die Palme davon getragen. – Endlich kam der März 1848 und machte allen diesen Häkeleien kurz ein Ende. Die Studenten traten zusammen und erklärten die alte Klinik für geschlossen. Eine Deputation derselben, von Bock begleitet,

  1. K. Ch. Snell, über Zweck und Einrichtung eines Realgymnasiums. Dresden und Leipzig 1834.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 487. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_487.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)