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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

zu sagen, welche liebe, warme Erinnerungsträume aus den Takten der galanten Polonaise oder der feurigen Mazurka ihn umfingen, welche weiche Hand einer anmuthigen Tänzerin die seinige drückte, welches flammende Auge ihn aus vertrauten Tanzrhythmen grüßte? Bald erging er sich mit phantasirendem Humor in bunt sich jagenden Opernmelodien, wie Jemand, der wehmüthig ein Album durchblättert, um an flüchtigen Schattenzügen die dahin geschwundenen Momente erhabener Kunstgenüsse zu beleben. Dann spielte er wieder jene zwischen rührender Klage und keckem Uebermuthe wie trunken taumelnden Nationallieder, aus denen treu der polnische Volkscharakter und ein Stück polnischer Geschichte herausklingen.

So wurde Graf J-sky bald der musikalische Wohl- und Wunderthäter seiner Umgebung. Der in fester Gefangenschaft schmachtende Bewohner der oberen Casemattenwölbung lauschte, das bleiche Gesicht gegen die Eisentraillen des Fensters gedrückt, auf die herrlichen Töne, die ihm so menschlich und so göttlich klangen; selbst der an die harte Arbeit vorbeigeführte Baugefangene stand pausirend still, als fürchte er durch sein Kettengerassel das Spiel zu stören, und horchte hoch auf, während der escortirende Patrouilleur, die scharfgeladene Muskete bei Fuß gesetzt, ihn eine Weile gewähren ließ und eben so lauschte. In der Dunkelheit lauer Sommerabende aber schlichen flüsternde Gruppen von „Festungsdamen“ unter den Fenstern jener Casematte einher, um den polnischen Grafen auf der Geige phantasiren zu hören und auch wohl nach den Klängen einer Mazurka oder Cracovienne oder eines deutschen Walzers leise und unbelauscht ein Tänzchen zu machen.

Aber ein Pole, und noch dazu ein so jugendlich-feuriger wie der gefangene Graf, schwebelt und nebelt nicht platonisch auf deutsche Weise in dem Tonäther umher. Die lustige Unterhaltung mit seiner Geige genügte nicht seinem sehnsüchtig an das warme sinnliche Leben sich drängenden Herzen. Und so entspann sich, durch die müßige Einsamkeit des Kerkers gefördert, bald ein inniges Verhältniß zwischen ihm und der jungen Frau eines unten in der Stadt garnisonirenden Unteroffiziers, die, wie andere Unterofficiersfrauen, sich mit der Aufwartung von Staatsgefangenen befaßte. Sie war erst seit Kurzem verheirathet, selbst von polnischer Herkunft und von seltener Schönheit. Ihr Mann, wegen seines ehrenwerthen, biedern Charakters von seinen Vorgesetzten eben so geachtet wie bei seinen Cameraden beliebt, ließ es arglos zu, daß die junge Frau sich den Tag über oben auf der Festung aufhielt, um durch die Einnahme, die sie von den Staatsgefangenen zog, sich eine Aushülfe für die Haushaltung zu verschaffen, für welche die kümmerliche Unterofficiergage nicht ausreichte. Er hatte um so weniger dagegen, als ihr Leben bisher ein durchaus makelloses gewesen und er sich der Treue seiner Frau eben so sicher hielt, als er sie selbst über Alles leidenschaftlich liebte. – Allein auf der Festung giebt’s keine Geheimnisse. Die Mauern, so verschwiegen sie aussehen, plaudern, und der Teufel „Gerücht“ weiß eben so die Wallerde von den Casematten abzudecken, um zu erspähen, was im Innern derselben vorgeht, wie Le Sage’s hinkender Teufel es mit den Dächern der Häuser machte. – Bald war das Geheimniß von dem gar intimen Verhältniß des gefangenen Grafen und der jungen, schönen Unterofficiersfrau aus der Stadt ein öffentliches – und außerdem hat es noch keinem Othello, mag er weiß oder schwarz sein – an einem schadenfrohen Jago gefehlt.

Eines Tages war der sonst so dienstpünktliche Unterofficier ohne vorhergegangene Meldung von dem ihn treffenden Dienst ausgeblieben. Man schickte nach ihm – die Thüre seiner Wohnung war von innen verschlossen. Als diese gewaltsam geöffnet wurde, fand man die Unterofficierfrau mit zerschmettertem Hirnschädel todt auf ihrem Bette hingestreckt: eine blutige Axt neben ihr. Auf dem Boden aber wälzte sich unter unsäglichen Schmerzen ihr Mann, der sich als der Mörder seines treulosen Weibes bekannte. Er selbst hatte sich mit Schwefelsäure vergiftet und starb nach wenigen Stunden in entsetzlichen Todesqualen.

Man mag sich denken, welchen Eindruck der gewaltsame Tod der allgemein bekannten jungen und schönen Frau und des braven im blühendsten Mannesalter stehenden Unterofficiers in der Stadt und oben auf der Festung machte.

Seit jenem Ereigniß waren die Mazurka’s, Cracoviennes und die polnischen Volkslieder verstummt, die sonst so heiter aus der Casematte Nr. 1, Coupure 1, am Oberthor weit über den Festungsraum hinklangen. Graf J-sky schien seine Geige vergessen zu haben. Seine Casemattenfenster blieben fest geschlossen, wie seine nur den revidirenden Polizeiunterofficieren sich öffnende Thüre. Man sah ihn nicht, wie sonst wohl während der Freistunden, mit anderen Gefangenen promeniren, und obwohl er bis zehn Uhr Abends Licht brennen durfte, eine Erlaubniß, die er früher unbehindert über Gebühr ausdehnte, blieb nunmehr seine Casematte stets finster. – Eines Abends jedoch – es mochten wohl 14 Tage seit jener blutigen Katastrophe verstrichen sein – hörten die Umwohnenden wieder seine Geige durch das Dunkel der Nacht klingen. Es waren schwermüthig klagende Phantasien, unterbrochen von bizarren Passagen, die wie wahnsinnig gellend dazwischen lachten. Die Töne verklangen endlich melancholisch, wie ein leise verhauchendes Grabeslied. Es wurde still. Da plötzlich knallte durch das tiefe Schweigen der Nacht ein Schuß. Die erschreckten Nachbarn stürzten herbei, die Fenster der Gefangenen-Casematten öffneten sich; Ordonnanzen von der alarmirten Hauptwache am Oberthor hatten den Platzmajor und den Officier du jour herbeigeholt. Diese ließen die von innen verrammelte Thüre sprengen. Ein entsetzlicher Anblick zeigte sich ihnen und den ihnen nachdringenden Neugierigen. Der Graf hatte sich mit einem Pistolenschuß den Kopf zerschmettert, die Wände waren mit Gehirn und Blut bespritzt. Der grausig entstellte Leichnam lag mitten auf dem Boden der Casematte; nicht weit davon die zertrümmerte Geige, eine prachtvolle Amati von großem Werthe – sie war sichtlich mit einem Fußtritt zerstampft worden.

Es sind nunmehr bereits, wie gesagt, sechs Jahre seit dieser blutigen Katastrophe verflossen; aber noch immer ist deren unheimlich gespenstisches Echo nicht verhallt. Während der Stille der Nacht klingt eine leise, wie durch eine weite Ferne abgedämpfte Musik durch die Casematte. Alle späteren unfreiwilligen Bewohner derselben haben sie mit Grausen vernommen und waren froh, wenn sie durch Versetzung in einen anderen, wenn auch schlimmeren Kerker von der unheimlichen Geisternähe befreit wurden.“

So erzählte meine neue freundliche Nachbarin – und ich erzähle es ihr, wenn auch nicht in ihren eigenen Worten, doch inhaltstreu nach. Was ich gehört, hatte mich nicht gläubiger gemacht; allein ich lachte nicht mehr über die Spukgeschichte.

(Schluß folgt.)





Aus dem Leben deutscher Schauspieler.
Ein ernster Komiker.
Von Franz Wallner.

Am 13. Mai 1820 waren die Räume des alten Leopoldstädter-Theaters Zeugen eines damals unerhörten Theaterscandals. Ferdinand Raimund, der verwöhnteste Liebling des Publicums, der originelle Schöpfer der Bäuerlichen Possenfiguren, wurde bei seinem Erscheinen an jenem Abend ausgepfiffen, daß die Wände zitterten! Der Grund, warum das vielköpfige Ungeheuer Publicum die Schale seines entfesselten Grimmes über das Haupt des gefeierten Komikers ausgoß, war wohl der seltsamste, aus welchem je ein Schauspieler sich das Mißfallen des Auditoriums zuzog. Raimund hatte nicht heirathen wollen! Darum wurde er ausgepfiffen. So seltsam das klingen mag, so buchstäblich wahr ist das ganze Ereigniß.

Als Bräutigam einer blendend schönen Schauspielerin, Louise Gleich, der Tochter eines beliebten Localschriftstellers, erfuhr Raimund kurz vor der Hochzeit Dinge aus dem Vorleben seiner Braut, es wurden ihm Beweise über Thatsachen vorgelegt, die auch eine kaltblütigere Natur als die Raimunds erschüttert hätten. Und doch war der folgende Morgen zur Trauung bestimmt; nach derselben aber sollte eine zahllose Festversammlung das frohe Ereigniß der Vermählung zweier Lieblingsschauspieler der Residenz in dem prachtvollen Saale des k. k. Augartens mitfeiern helfen. Die einflußreiche Familie und die noch weit einflußreicheren hohen Gönner der Braut hatten ihre gewichtigen Gründe, dieselbe baldmöglichst unter der Haube zu wissen – und wie der arme, rathlose

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 500. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_500.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2020)