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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)


einfachen Platte gedeckt. Vier Zeilen, von dem Todten selbst gereimt, sind auf den Stein gemeißelt:

„O lieber Freund, bist du ein guter Christ,
Laß ruh’n den Staub, der hier begraben ist.
Wohl geh’ es dem, der diese Steine ehrt;
Doch Weh auf ihn, der mein Gebein versehrt!“

War es ein Aberglaube aus düsterer Zeit, dem sich der große Mann nicht entzog, war es ein Spiel seiner Laune, was ihn diese Worte auf sein Grab zu setzen trieb? – Man hat ihn gescheut, den Fluch des Sängers. Es ist öfters angeregt worden, seinen irdischen Resten im Westminsterdom eine Stätte zu geben, die sie selbst noch mehr zieren als verdienen würden. Aber keine neugierige Frevlerhand hat es bis jetzt gewagt, dem Fluche trotzend an den Stein zu rühren!

Ein heimlicher Schauer überbebt den Wanderer, wenn er durch die Bogenhalle in den kühlen Dom und an die Gruft tritt. Zu dem Frieden des Gotteshauses und zu der Stille des Grabes gesellt sich hier die Erinnerung an den großen, den einzigen Menschen. An dem Orte, der das umschließt, was von ihm dahingegangen ist, tritt uns alles das vor die Seele, was er uns gelassen. Kennen wir ihn doch fast nur aus diesem! Sein leichter Scherz und die fürchterliche Macht seines Wortes, der tiefe, gewaltige Ernst und die erhabene Heiterkeit seiner Kunst, die ganze unendliche Welt, die er aus sich schuf, geht, in ein großes Bild gefaßt, an uns vorüber. Zum hundertsten Male staunen wir über den unerschöpflichen Reichthum dieses Geistes. Und hier löst sich in Wehmuth das Staunen.

Es ist nicht lange mehr hin, – kommendes Frühjahr – da wird das Städtchen Stratford der Mittelpunkt einer großartigen Feier sein. England wird den dreihundertjährigen Geburtstag Shakespeares begehen. Auch wir Deutschen werden dann einen Festtag halten, und wir haben ein gutes Recht, den Dichter zu ehren. Denn war er gleich von Haus aus nicht einer der Unsern, so ist er es geworden. Unter uns hat er ja seine Auferstehung gehalten!

J. H.



Der deutsche Schützenzug nach La Chaux de Fonds.
Von Wilhelm Jungermann.
1.

„Auf Wiedersehen in La Chaux de Fonds!“ Mit diesen Worten reichten uns die Schweizer im vorigen Jahre zu Frankfurt beim Abschied die Hand. „Es gilt!“ war die Antwort, und wir schlugen Alle freudig ein. Freilich hat das Wort gegolten, aber – daß wir es nur offen und ehrlich gestehen – mehr bei den Schweizern als bei uns. In der Schweiz glaubten sie, wenn die kleine Schweiz mit 1100 Schützen in Frankfurt gewesen, so werde das große Deutschland doch wenigstens mit 4000 kommen, und als ihnen die Frankfurter schrieben, sie möchten keinenfalls auf so Viele rechnen, da antworteten sie: nun, wir würden willkommen sein, so viele es unser auch seien, aber auf 1000 deutsche Schützen zählten sie denn doch ganz bestimmt. Tausend deutsche Schützen! – Wir wußten in Frankfurt besser, wie es stand, und waren froh, als in den letzten Tagen vor dem 10. Juli die erste Hälfte des dritten Hundert vollzuwerden versprach: 243 standen in der Liste, und wenn wir die Nachzügler noch hinzuzählen, so werden es auch so viele gewesen sein.

Die Schweizer haben diesen spärlichen Besuch mild und gerecht beurtheilt; stehen wir daher nicht hinter ihnen zurück. Die geringe Zahl von deutschen Schützen, die mit den Schweizern einen Wettkampf überhaupt wagen können, die zahllosen Ausgaben bei der Gründung und ersten Einrichtung unserer jungen Schützenvereine, die großen Landesschießen in Baden, in der Pfalz, in Baiern, am Niederrhein und in Thüringen, das Turnerfest zu Leipzig, das Sängerfest zu Braunschweig, die hoch gespannten politischen Zustände in Preußen, vielleicht auch die Scheu vor der französischen Sprache in La Chaux de Fonds – so kamen der Ursachen viele zusammen, die unser Häuflein schmal machten. Erfreulich ist es nur, daß unser Zug sich aus so vielen einzelnen Städten und aus den verschiedensten Theilen Deutschlands zusammengefunden hatte; so kommt doch, wie ich hoffe, in jeden fernen Winkel deutschen Landes irgend ein lebendiger Zeuge zurück, der daheim erzählen kann, mit welchen Ehren und mit wie viel Liebe die Schweizer uns empfangen und was für ein herziges, tüchtiges, freiheitliebendes Volk wir da draußen getroffen.

Nur Eines hätte wohl sollen anders und zwar besser sein: ich meine, wir hätten in Deutschland auch ein wenig daran denken sollen, daß wir den Schweizern nicht blos unsere besten Schützen, sondern auch unsere besten Männer zu senden hatten, Männer, die unser Volk auch auf der Rednerbühne und, wenn es sein mußte, auch im ernsten, politischen Rath würdig vertreten konnten. Denn so war es doch nun einmal, daß das Urtheil der Schweizer sich danach feststellen mußte, wie die 250 deutschen Schützen sich gaben und gefielen, die da, der Einladung der Schweizer folgend, zwar nicht im Auftrag, aber doch im Namen des deutschen Volkes mit der schwarz-roth-goldenen Fahne in die Schweiz gezogen kamen. Es ist auch so gegangen, und wir dürfen unseren Schützen keinen Vorwurf machen. Es hätte aber auch anders kommen können, und für künftige Fälle will ich hiermit recht dringend gewarnt haben, jemals wieder einen deutschen Schützenzug so auf’s Gerathewohl in die Fremde ziehen zu lassen. Die Schweizer hatten es im vorigen Jahr und die Italiener haben es diesmal ganz anders gemacht.

Der Schützenverein und die Jugendwehr von Frankfurt hatten es sich nicht nehmen lassen, uns am Morgen des 10. Juli vom Römer aus nach dem Bahnhof das Geleit zu geben. Unter den Klängen des deutschen Schützenfestmarsches zogen wir, zehn schwache Züge stark, durch die menschengefüllten Straßen, und mit einem letzten tausendstimmigen Hoch von den Frankfurtern und Frankfurterinnen entlassen, traten wir um 8 Uhr im hellsten Morgensonnenschein, jedoch nicht ohne eine gewisse erwartungsvolle Aufregung, unsern Festzug nach dem Schweizerlande an. In Heidelberg und Offenburg begrüßten uns die Schützen, in Emmendingen und Müllheim die Turner mit Musik, Gesang und Böllerknall; sonst nahm man aber im deutschen Land weiter keine Notiz von uns. Fünf Uhr war herbei gekommen, als uns, eine halbe Stunde schon vor Basel, die Artillerie der Baseler Cadetten ihre ersten Begrüßungssalven entgegensandte. Endlich hielt der Zug im festlich geschmückten Bahnhof an. Wir vereinten uns, so gut und so rasch es ging, und zogen dann auf den freien Platz vor den Bahnhof, wo die Cadetten und die Schützen sich in Reih und Glied aufgestellt, um uns vor der zahllosen Menschenmenge Platz zu machen. Es ist eine schöne und nebenbei gesagt eine echt deutsche Sitte in der Schweiz, daß man dem Gast, der einem so recht vom Herzen willkommen ist, als ersten Willkomm einen frischen Trunk entgegen bringt. So ist uns am folgenden Tag auf allen Stationen, wo wir hielten, begegnet worden, so geschah es in La Chaux de Fonds nach jeder feierlichen Begrüßung der neu ankommenden Schützen eines Cantons, und so empfing uns auch die Stadt Basel, die treue Hüterin der Schweiz an der Grenze gegen Deutschland und Frankreich. In purem Silber und Gold ward uns der Ehrentrunk gereicht; es waren lauter Schützenbecher, die die Baseler sich auf den Bundesschießen geholt hatten, auch mancher Frankfurter war mit darunter. Dann hieß uns Dr. Brenner im Namen der Stadt Basel mit warmen kräftigen Worten willkommen, uns, die Vertreter des deutschen Volkes, das er sehr wohl von seinen Regierungen zu unterscheiden wisse. Consul v. Heymann aus Bremen, Mitglied des Centralcomité’s für das nächste deutsche Schützenfest, dankte in unserm Namen. Dann hieß es: „Gradaus, vorwärts Marsch!“ und die Baseler Cadetten voran, die Baseler Schützen als Schluß, die Fahnen und die Comité’s von Frankfurt, Bremen und Basel in der Mitte, so zogen wir unter dem Schalle zweier Musikcorps in die reich mit Blumen, Inschriften und Fahnen geschmückte Stadt hinein.

Das Herz schlug uns hoch vor Stolz und Freude über solchen Empfang, und mit lautem Hurrah grüßten wir auf unserm Marsche bald eine Fahne, bald eine besonders ansprechende Inschrift, bald die Frauen und Jungfrauen Basels, die uns von den Fenstern herab mit Blumensträußen willkommen hießen. Für den Abend waren wir in das dicht am grünen, rasch strömenden Rhein gelegene Gesellschaftshaus der drei Innungen von Kleinbasel zum Abendimbiß

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 509. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_509.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2018)