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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

hätten sie die Ehre von ganz Deutschland zu vertreten. Bei dem nun folgenden Manöver hatten sie einen Ehrenplatz erhalten, sie kamen nach den Plänklern des angreifenden und siegenden Theiles in der Vorhut, und wie ich mehrfach gehört, haben sie auch ihre Sache gut gemacht, wenigstens so gut, daß sie sich unter ihren geübteren, flinken Schweizer Cameraden mit Ehren sehen lassen konnten. Ueber den Verlauf des Manövers, dem wir aus möglichster Nähe zusahen, kann ich leider wenig berichten. Es entspann sich kunstgerecht langsam, und die Aufgabe bestand darin, daß der vom Hauenstein her kommende Feind den Uebergang über die Aarbrücke bei Olten erzwingen und die Schweizer dies zu verhindern hatten. Das Gefecht war aber eben erst bei der Zügelhütte vor Olten, an der entscheidendsten Stelle mit aller Heftigkeit entbrannt, als uns der Zug wieder weiter und nach Langenthal führte.

Wenn ich oben darauf verwies, es sei nicht rathsam, einen deutschen Schützenzug so auf’s Gerathewohl in die Fremde ziehen zu lassen, so hatte ich dabei vor Allen die nicht zu vermeidenden Situationen im Auge, bei denen es sich darum handelt, im Namen der Gesammteit ein Wort in freier Rede an die Gastgeber zu richten. Wir hatten uns nach dieser Seite hin kaum vorgesehen und mußten bei den Begrüßungsreden der Schweizer auf gut Glück zusammenraffen, was wir von Rednern nur unter uns hatten. Im Ganzen freilich war die Aufgabe nicht schwer, aber immerhin wollte sie gelöst sein. Es war Ein Gedanke, der durch die Reden der Schweizer hindurchging, und Ein Gedanke, der aus unseren Antworten herausklang: das Bündniß der freien Schweiz mit einem freien Deutschland sollte hier auf dem schweizerischen Gebiet erneuert und bekräftigt werden. Unsere Wahl fiel in Olten als ersten Redner auf Dr. Heineke aus Bremen und als zweiten auf Dr. Carl Grün aus Frankfurt, welcher Letztere denn auch in so hinreißender Weise unseren Dank aussprach, daß die Schweizer nicht weniger als wir selbst davon ergriffen wurden. In Langenthal, wo Oberst Geise uns begrüßte, antwortete Max Wirth aus Frankfurt; in Herzogenbuchsee dankte auf die Anrede des Oberst Im Obersteg von dort Jungermann aus Bockenheim; in Solothurn, wo Regierungsrath Schenker uns empfing, Dr. Plater aus Bremen; in Neuenburg, wo Dr. Guillaume die Anrede hielt, antwortete Dr. Sigmund Müller aus Frankfurt deutsch und Dr. Grün französisch, und in Hauts Geneveys endlich erwiderte auf die Rede von Dr. Scheurer aus Fontaine nochmals Max Wirth in französischer Sprache.

Es war schon dunkle Nacht und fast 10 Uhr, als wir endlich in La Chaux de Fonds ankamen. Nach all den Beweisen herzlichster Freundschaft, die wir den ganzen Tag über erhalten hatten, waren wir einigermaßen überrascht, als gerade in La Chaux de Fonds, am Ziel unserer Fahrt, am eigentlichen Festort, Niemand sich eingefunden hatte, der uns willkommen geheißen hätte. Der Grund lag in Mißverständnissen aller Art, nicht aber etwa in bösem Willen; denn es war uns ein glänzender Empfang von dem Comité, der Gemeindebehörde, den Schützen und der Jugendwehr zugedacht gewesen. Nun, nach so viel Begrüßungsscenen konnten wir, müde und einigermaßen abgespannt, eine weitere, und wäre sie noch so glänzend gewesen, schon missen. Es berührte uns daher auch weiter nicht, als wir uns so auf eigene Hand in den Festort und unsere Quartiere einführen mußten; wir stellten uns vielmehr am andern Morgen ganz mit demselben guten Muth zum Festzuge ein, als hätten wir zu unseren achtzehn Begrüßungsacten in La Chaux de Fonds auch noch den neunzehnten hinzuzufügen gehabt.

Ein Festzug bei einem schweizerischen Schützenfest hat einen ganz anderen Charakter und eine ganz andere Bedeutung, als wir nach dem Vorbild des unvergeßlichen Tages von Frankfurt uns vorzustellen geneigt sind. Alle unsere großen Nationalfeste gewinnen bei uns dadurch einen eigenthümlichen Schwung und eine höhere Weihe, daß sie allein bis jetzt Gelegenheit bieten, uns als eine Nation, als ein einziges großes Ganzes zu fühlen. Wir haben kein Parlament und keine oberste Reichsgewalt, wir werden durch keine einzige gemeinsame Institution daran erinnert, daß wir ein Volk, ein einiges Volk sind; so hat sich denn der Drang nach Einheit und nationalem Leben, der augenblicklich wieder so mächtig durch uns hingeht, in anderer Weise und auf nicht politischem Gebiet die Möglichkeit schaffen müssen, uns wie in einem Spiegelbild in unseren gemeinsamen Festen unsere nationale Einheit und Zusammengehörigkeit zu zeigen. Vor Allem war dies der Fall auf dem großen, wunderbar herrlichen Schützenfest in Frankfurt, durch das ein Rausch des Enthusiasmus, ein einziger großer Accord brüderlichen Gesammtgefühls hindurch klang, daß bis auf diesen Tag sogar die Schweizer nur in tiefer Bewegung sein gedenken können. Alle Weihe und Poesie des Frankfurter Festes gipfelte aber in dem großartigen Festzug, bei dem 8000 deutsche Schützen aus allen, auch den entlegensten Theilen des deutschen Landes sich zusammen gefunden hatten und gemeinsam dem ergreifenden Act der Weihe der deutschen Bundesfahne beiwohnten. Und dieses Beisammensein aller deutschen Schützen bei dem großen Festzug war für das Gelingen und das ganze Gepräge des Festes so nothwendig, daß eben das Fest nicht das gewesen wäre, was es war, wenn nicht eben in den 8000 deutschen Schützen aus Preußen und Tyrol, aus Bayern und Sachsen, der eigentliche Zweck des ganzen Festes, nämlich die Offenbarung der Einheit aller deutschen Volksstämme, sich vor aller Welt Augen deutlich und sichtbar manifestirt hätte. Das ist in der Schweiz ganz anders. Die Schweizer ringen und streben nicht mehr nach Einheit und Freiheit, sie haben sie, und der Bundesrath und die Bundesversammlung zu Bern liefern ihnen alljährlich und alltäglich den Beweis, daß ihr nationales Staatsleben bereits einen festen Abschluß gefunden hat. Die Schützenfeste der Schweizer haben daher nicht die Bedeutung und können sie nicht haben, daß sich in ihnen erst noch der Gedanke der Einheit aller Schweizercantone ausprägen soll; die Schützenfeste der Schweizer sind vielmehr nichts mehr und nichts weniger als das was ihr Name besagt, nämlich gemeinsame festliche Zusammenkünfte aller schweizerischen Schützen zum gemeinsamen Wettkampf in der uralten nationalen Kunst des Schießens. Der Festzug aber ist dem entsprechend in der Schweiz auch nichts weiter, als der einleitende Act der Eröffnung des Festes. Dazu kommt nun noch, daß bei der großen Anzahl von Schützen in der Schweiz und der verhältnißmäßig geringen Einwohnerzahl der Städte, nur sehr selten es möglich sein würde, daß die Schützen aller Cantone zu gleicher Zeit zum Bundesschießen zusammen kommen können, daß vielmehr, einer feststehenden Sitte zufolge, die Cantone nur nach und nach zum Feste einzutreffen pflegen. Beim Festzug aber, als beim Beginn des Festes, sind regelmäßig gerade die wenigsten Schützen anwesend, und der Zug selbst könnte schon aus diesem Grunde nur eine geringe Ausdehnung haben. Rechnen wir dazu, daß Frankfurt 75,000, La Chaux de Fonds 19,000 Einwohner zählt, daß Frankfurt auf fünf großen Eisenbahnen von einem Dutzend volkreicher Städte in wenig mehr als einer Stunde er[r]eicht werden kann, während La Chaux de Fonds hoch oben im Jura 3500 Fuß über dem Meere, abgeschnitten von den großen Verkehrsstraßen und dicht an der französischen Grenze liegt, so ergiebt sich von selbst, daß, wie jeder Festzug in der Schweiz seiner inneren Bedeutung nach ein anderer ist und sein soll, als der Frankfurter Festzug, so auch der Festzug von La Chaux de Fonds, ungeachtet an ihm über 3000 Personen Theil nahmen, keinen Vergleich an Pracht und Ausdehnung und zuschauendem Menschengewühl mit dem Frankfurter Festzug aushalten kann.

Die Cadetten von La Chaus de Fonds, die vier in altschweizerische Tracht gekleideten Vertreter der Urcantone (Schwyz, Uri, Unterwalden, Luzern), die Zeiger mit rother Blouse und rothem Fez, die Warner mit blauer Blouse und rotem Fez, und – die deutschen Schützen in Joppe und Schützenhut bildeten außer den 25 Fahnen die einzigen malerischen Elemente im Zug. Ernst und schweigsam schritten die Schweizer bei dem feierlichen Geläute der Glocken durch die nicht sehr überfüllten Straßen, und nur wir Deutsche waren es, die etwas Leben und Bewegung in den Zug wie unter die Bevölkerung brachten, indem wir mit lautem Hurrah und lustigem Hüteschwenken den Damen für die uns zugeworfenen Blumensträuße dankten oder eine deutsche Fahne oder ein ansprechendes Transparent begrüßten. Am Gabentempel erfolgte dann mit Rede und Gegenrede die Uebergabe der Fahne des schweizerischen Schützenbundes durch den Vorsitzenden des seitherigen Centralcomité’s, Herrn Odermatt aus Nidwalden, an den Vorsitzenden des neuen Centralcomité’s zu La Chaux de Fonds, Herrn Buchhändler Lesquereux; dann wurde unter dem Donner der Kanonen die Bundesfahne auf dem Mast des Gabentempels aufgehißt, der Ehrentrunk in den silbernen Bechern umhergereicht, und – das eidgenössische Bundesschießen war eröffnet.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 511. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_511.jpg&oldid=- (Version vom 20.4.2019)