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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

20 Grad Réaumur einen ganzen Tag lang in ein Bärenfell einnähen zu lassen, aber die Berner thun es schon. „Er hat aber auch einen guten Durst gehabt,“ meinte ein Berner zu mir, als ich ihn fragte, ob denn der „Mutz“ wirklich schon in Bern in sein Fell gesteckt worden sei, und ich glaube es gern. Ganz dieselbe Figur wie der „Mutz“ bei den Bernern spielt nun der Steinbock bei den Schaffhausenern. Auch sie führen ihn im Wappen, und überall, wo sie als Schaffhausener auftreten, muß der Steinbock mit dabei sein. Nach dem Aufzug der Berner begrüßten sich „Mutz“ und der Steinbock ganz feierlich und würdig in der Festhalle, ja sie stiegen auch zusammen auf die Rednerbühne hinauf und umarmten sich vor der versammelten Eidgenossenschaft. Auch nahm „Mutz“ bei dieser Gelegenheit seinen Bärenkopf ab und hielt eine Rede. Ich habe aber vor dem Lärm und den Beifallssalven kein Wort von dieser Bärenrede verstehen können. Das ist Schweizer Volkswitz, und es steckt wirklich viel urwüchsige Komik darin.

„Wort und That dem Vaterland!“ stand in goldenen Buchstaben an der Rednerbühue in der Festhalle. Von den Begrüßungsreden der einzelnen Cantone habe ich schon gesprochen. Vierundzwanzig Cantone waren zu begrüßen und mit feierlicher Rede wieder zu entlassen. Dazu kamen noch die Reden in der Festhalle während des gemeinschaftlichen Mittagsmahles, und daran schlossen sich dann die anderen Redner und zwar in ununterbrochener Reihe. Wir Deutschen haben uns dabei sehr bescheiden verhalten. Außer einigen Herren aus Bremen, Dr. Plater, Consul von Heymann und Kaufmann Buff, brachte, wie ich mir denke, zu Ehren des internationalen Festes und der deutschen Wissenschaftlichkeit, Dr. Karl Grün aus Frankfurt in fünf Sprachen, französisch, italienisch, englisch, vlämisch und deutsch, ein Hoch der Verbrüderung aller freien Völker.

Die Schweizer haben uns wiederholt versichert, daß ein so schönes und bewegtes Fest, wie das zu La Chaux de Fonds, die Schweiz noch nicht gesehen, selbst die großen Feste zu Basel, Bern und Zürich könnten sich weitaus nicht damit messen. Und wenn das die Schweizer selbst sagen, so muß es wohl wahr sein, und wenn ich die bescheidene Summe von 15000 Francs, welche im Jahre 1824 von Festpreisen für das erste Bundesschießen zu Aarau ausgeworfen war, mit der stolzen Summe von 375,582 Francs vergleiche, welche diesmal der Opfermuth der Schweizer im In- und Auslande aufgebracht hatte, so beweist dieser bis dahin ganz unerhörte Reichthum des Gabentempels allerdings genug für das hochgespannte Interesse der ganzen Schweiz an dem diesjährigen Feste. Ein gutes Theil der Bewegtheit des Festes war indeß, und zwar ebenfalls nach dem eigenen Geständniß der Schweizer, auch durch die Anwesenheit der deutschen und italienischen Schützen veranlaßt. Erst als wir am Dienstag, den 14. Juli, und nach uns die Italiener die deutsche und italienische Fahne, diese beiden Ehrengaben für die schweizerischen Schützenvereine, am Gabentempel übergeben hatten, erst als in diesen beiden feierlichen Acten die große Idee des Bundes aller freien Völker ihren sichtbaren Ausdruck gefunden hatte, fingen die Wellen der eigentlich festlichen Stimmung höher und höher zu gehen an, und der Geist der Weihe zog auf den Festplatz ein. Es war ein einfaches schwarz-roth-goldenes Banner, das wir im festlichen Zug von dem Neuen Platze aus am Gabentempel den Schweizern entgegenbrachten, und ein tiefer Ernst lagerte sich auf die Gesichter Aller, als Dr. Heineke aus Bremen, unser Sprecher, in seiner Rede die Worte sprach: „Hoffen wir zu Gott, daß es nie wieder eine Zeit geben werde, wo diese Farben sich auf der deutschen Erde nicht zeigen dürfen. Aber wenn dem doch noch einmal so sein sollte, dann haben wir es den treuesten Händen zur Obhut übertragen, damit es doch einen Fleck auf Erden gebe, wo wir uns wieder sammeln können um das geliebte Banner, von wo wir den Kampf wieder aufnehmen können, wo wir ihn gelassen haben, und siegreich durchführen, denn wir lassen ihn nicht.“ „Die Freiheit ist es, die uns trotz aller Verschiedenheit zu Brüdern macht. Ihr verdanken wir unsern Wohlstand und unser Glück.“ Das waren die Worte, die Präsident Odermatt bei der Uebergabe der schweizerischen Bundesfahne gesprochen. Wie klangen die tief empfundenen und leider wahren Worte unseres deutschen Sprechers so schmerzlich zweifelhaft gegenüber dem stolzen Wort der Schweizers! „Was ist des Deutschen Vaterland?“ fragen wir noch immer in Deutschland; „Rufst du, mein Vaterland,“ singt voll frischen Vertrauens, voll freudigen Opfermuthes der Schweizer. In dieser Verschiedenheit der Empfindungen und Anschauungen beider Nationen liegt der ganze Verlauf der Geschichte Beider beschlossen. Wann werden auch wir einmal aufhören nach unserem Vaterland zu suchen und zu fragen? wann werden wir endlich einmal aus frischer Brust die Worte singen: „Rufst du, mein Vaterland?“

Im vorigen Jahre zu Frankfurt schlossen wir den Bund mit dem Schweizer-Volke ab, nicht einen Bund besiegelt und verbrieft, wie ihn die Diplomaten abschließen, sondern einen Bund der Herzen, der freien Zuneigung. Wir wußten beide wohl, gegen was dieser Bund gerichtet war, aber es wurde in Frankfurt noch nicht gesagt. In La Chaux de Fonds ist es mit klaren Worten gesagt worden: „Zwischen den Alpen und den Juragebirge“ – hieß es in der Antwortrede von Obristlieutenant Girard aus La Chaux de Fonds – „ist eine Gasse, die nach Ulm, nach Wien, nach Jena führen könnte. Nun, diese Gasse wollen wir hüten, durch diese Gasse soll kein Unbefugter, wer er auch sein möge, durchgehen können. Diese Gasse und unser Gebiet bis an seine äußersten Grenzen wollen wir bis auf den letzten Mann vertheidigen. Ihr habt begriffen, deutsche Schützen, welchen Nutzen ein solches Vorgehen der Schweiz für Deutschland haben könnte, darum Verbrüderung unter uns.“ Das war ein offenes kräftiges Freundeswort, und ein lautes Bravo antwortete darauf aus unseren Reihen.

Aber noch eine zweite Freundeshand reichte sich uns bei dieser Gelegenheit entgegen. Legnani aus Mailand, ein bekannter italienischer Patriot, der schon im Jahre 1860 auf der Versammlung des Nationalvereins zu Coburg für die Freundschaft des deutschen und des italienischen Volkes gewirkt hatte, ergriff zum Schlusse ebenfalls das Wort; er war schon vom Neuen Platze aus Arm in Arm mit Sigmund Müller aus Frankfurt in unserem Zuge gegangen. „Wir haben vergessen“ – sagte er – „was im vorigen Jahre bei Gelegenheit des Frankfurter Schützenfestes zwischen uns vorgefallen, und hier auf’s Neue tragen wir Euch deutschen Schützen unsere Sympathien entgegen. Auf den Bund Italiens und des freien Deutschland! Und deß zum Zeichen will ich hier den Vorsitzenden des Frankfurter Festausschusses vor Euer Aller Augen umarmen.“ Gesagt gethan, und beide Männer lagen sich mit brüderlichem Kusse in den Armen. Nicht immer geräth eine solche Scene; aber hier, unter dem Eindrucke der vorausgegangenen ernsten Worte, gerieth sie. Ein ungeheuerer Beifallssturm erhob sich, und tief bewegt schüttelten wir uns mit den Italienern die Hände. Am Nachmittag, als die Italiener ihre Fahne übergaben, ging ein großer Theil von uns ebenfalls Arm in Arm mit ihnen im Zuge, und die freundschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschland und Italien fanden abermals in der Rede ihren Ausdruck. Das letzte Siegel aber wurde am Donnerstag Abend beigedrückt, als uns die Italiener zu einem Banket in das Gasthaus zur Lilie eingeladen hatte. Hier erst konnte ich vollständig übersehen, mit welcher Umsicht die Italiener ihren Schützenzug in die Schweiz vorgesehen hatten. Gewiß waren Schützen bei ihnen und zwar mit die besten, die sie überhaupt hatten, und die haben denn auch alle zehn ihren Becher herausgeschossen. Aber außer den Schützen waren auch noch ebensoviele andere Leute da, die nicht nur des Schießens willen gekommen waren: zwei Mitglieder beider Kammern, der schweizerische Consul in Neapel, Barone, Marquis, Grafen, genug eine auserwählte, vornehme Gesellschaft, und als vornehmstes Mitglied – wenn es anders wahr ist, was mir die Italiener wiederholt versicherten – Prinz Amadeus von Italien, der zweite Sohn Victor Emanuel’s. Mit liebenswürdigem Anstand hieß uns der Sprecher der Italiener, Banquier Fenzi aus Florenz, Mitglied der zweiten Kammer, willkommen, als wir, neun Mann an der Zahl, sechs Frankfurter, ein Bremer, ein Berliner und ein Kurhesse, nach 9 Uhr im Saale der Lilie erschienen. Auch einige schweizerische Berühmtheiten trafen wir, mehrere Mitglieder des Centralcomité’s und außer diesen: James Fazy, den langjährigen Beherrscher von Genf, ferner Major de Brunner aus Frauenfeld, den berühmten Vertheidiger Venedigs gegen die Oesterreicher im Jahre 1849, und General Burnand, den Chef der gesammten eidgenössischen Artillerie. Der Champagner löste bald die Zungen, und Rede auf Rede folgte, um es noch einmal und immer wieder auszusprechen, daß keine Feindschaft bestehen solle zwischen Deutschland, der Schweiz und Italien, daß diese drei Nationen sich die Hand reichen sollten für Förderung der Freiheit, des Friedens, der allgemeinen großen Culturaufgaben. „Auf Wiedersehen in Bremen! auf Wiedersehen beim Bundesschießen in Mailand!“ das waren die letzten Worte, mit denen wir tief in der Nacht von den Italienern schieden. Ob es

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 521. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_521.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)