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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Brief aus Regensburg. – Er hat Niemandem diesen Brief gezeigt. Er las ihn, faltete ihn zusammen, sein bleiches Gesicht nahm eine grünliche Farbe an, seine Zähne schlugen zusammen, er ließ sich in sein Arbeitscabinet tragen und blieb allein. – Nachts sah man das Fenster erleuchtet, und hinter den herabgelassenen Vorhängen huschte und wankte der Schatten der Figur Schwarzenbergs hin und her. – Dabei rauchte der große, unheimliche Kamin des Zimmers. Der Graf schien viele Papiere zu verbrennen. – Am folgenden Tage befand er sich sehr angegriffen.

Man raunte einander zu, der Brief sei eine Warnung gewesen und habe den Grafen darauf vorbereitet, daß man eine Untersuchung seiner Amtsführung beabsichtige.

Schwarzenberg ließ wiederum einige Tage verstreichen. Er lauschte angstvoll; in seinem Hause zu Spandau sich abschließend, glich er dem Wild, welches im einsamen Gehäge versteckt die Tritte des verfolgenden Jägers behorcht und kaum zu athmen wagt. – Keine Maßregel gegen ihn erfolgte.

Alle Welt war gespannt auf den Ausgang, denn seine Feinde, besonders der wüste Oberst von Burgsdorf, schürten das Feuer gegen ihn mächtig an. – Da rollt eine Equipage vor das Haus des Grafen. Es ist der kurfürstliche Kriegsrath von Zastrow. Kommt er den Minister zu verhaften? Der Beamte zeigt das leutseligste Wesen, er ist voller Höflichkeit gegen den Grafen. Im Cabinete Schwarzenberg’s hat er mit diesem eine Unterredung, die Angelegenheiten der kurfürstlichen Armee betreffend. Vielleicht aber ist es nur ein Vorwand! Schwarzenberg athmet freier; würde der Kriegsrath mit solcher Freundlichkeit ihm entgegenkommen, wenn er Schlimmes brächte? Der Exminister will sogleich eine entscheidende Probe wagen. Noch erlaubten ihm ja seine unbeschränkten Einkünfte eine glänzende Tafel zu führen. Er ladet den Kriegsrath zu Tische. Herr von Zastrow nimmt die Einladung dankbar an. – „Er würde nicht an meinem Tische speisen, wenn er mit dem Verderben gegen mich heraustreten wollte,“ tröstete sich der Graf.

„Auch Judas speiste am Tische des Herrn,“ murmelten die vertrauteren Diener.

Die Tafelgenossen bestanden aus den täglichen Gesellschaftern des Exministers und aus Officieren der Garnison. Schwarzenberg konnte sich nicht so schnell von seiner früheren Lebensweise entfremden, er liebte es noch, einen kleinen Hofstaat um sich zu halten. Er hatte seine vier Trabanten, seine Schenken, seine Pfeifer; ein adliger Kammerjunker verwaltete das Amt eines gräflichen Vorschneiders.

Während der Tafel beobachtete der Graf ängstlich jede Bewegung des Herrn von Zastrow. Der Beamte war gemessen, aber freundlich. Desto ungestümer betrug sich die übrige Tischgesellschaft. Es schien, als sei die kleine Festung Spandau neutrales Gebiet in kurfürstlichen Landen. Die Herren prahlten mit ihrem kaiserlichen Eide, und fast konnte man glauben, die Anwesenheit des Staatsbeamten habe die Tischgenossen des Ministers in eine gereizte Stimmung versetzt, welche sich in vollständigen Ausforderungen Luft machte. – Schwarzenberg saß auf Nadeln.

Plötzlich trat die Katastrophe ein. Der gräfliche Vorschneider, Herr von Lehndorf, Kammerjunker, aus Preußen gebürtig, trank dem Kriegsrathe mit großem Ungestüme einen Humpen Wein zu und forderte ihn auf, Bescheid zu thun. Zastrow lehnte mit feinem Lächeln die Einladung ab, indem er bemerkte, daß er solche große Quantitäten Wein nicht trinke.

„Dann sind Sie ein unvermögender Hundsfott,“ schrie der Kammerjunker, indem er den Humpen mit solcher Heftigkeit auf den Tisch niedersetzte, daß der Wein, über den Rand des Trinkgefäßes spritzend, das Gedecktuch besudelte. – Tödtlich erschrocken sprangen Alle von ihren Sitzen.

Schwarzenberg wollte sich erheben, er sank zurück in den Sessel. Aber bevor er noch einen zweiten Versuch zur Erhebung machen konnte, fiel schon die feine Hand des Kriegsrathes, aus der Spitzenmanschette hervorkommend, mit gewaltiger Wucht auf die linke Wange des Herrn von Lehndorf, und der klatschende Schall einer ungeheuren Ohrfeige tönte durch das Gemach. Ein Kreischen sämmtlicher Anwesenden überhallte die donnernden Worte des Herrn von Zastrow. – Ein Edelmann geohrfeigt! – Welche Rache wird er nehmen? – Sie erfolgte augenblicklich; blitzschnell riß der Kammerjunker den Degen aus der Scheide, der hinter ihm an der Stuhllehne hing, wie das in jener Zeit Gebrauch war. Die Klinge fuhr, von sicherer Hand gelenkt, über den Tisch und dem unglücklichen Kriegsrathe mitten durch die Brust. Ein stöhnender Schmerzenslaut, eine Fontaine von Blut, die hochaufsprudelte und rings umher die Speisen, Getränke und Gefäße benetzte.

Zastrow schlug mit beiden Armen in die Luft, dann stürzte er vornüber mit seinem Oberkörper die Tischplatte deckend. Gläser, Schüsseln und Leuchter fielen klirrend durcheinander. Auf der gräflichen Tafel lag ein Todter inmitten einer Lache von Blut. – Neben ihm ein Sterbender – der Graf Schwarzenberg – den das entsetzliche Ereigniß dem Grabe nur desto schneller näher gebracht hatte. – Die Verwirrung war ungeheuer. „Mord! Mord!“ heulten die Einen, „Aerzte! Hülfe!“ die Andern. Lehndorf stand versteinert, denn die Trunkenheit, welche sich offenbar seiner Sinne bemeistert hatte, war einer grauenhaften Ernüchterung gewichen. Plötzlich aus seiner Erstarrung erwachend, stieß er einen Schrei aus und stürzte aus dem Zimmer. Er kam aber nur bis zur Treppe. Hier ward er in Verhaft genommen und als ein Diener Schwarzenberg’s in dessen eignem Hause in Gewahrsam gehalten. [1]

Der Exminister verfiel in ein heftiges Fieber. Zastrow’s Leiche ward noch denselben Tag nach Berlin geführt. „Da fährt der Leichnam des Gemordeten,“ hieß es in der Stadt und auf dem ganzen Wege. „Lehndorf hat ihn todtstechen müssen, weil er zuviel vom Schwarzenberg gewußt hat.“

Man sah den Grafen nicht wieder. Nur die in Spandau anwesenden kurfürstlichen Räthe waren Zeugen seines Verscheidens, welches am 24. März (neuen Styls) 1641 erfolgte. Von seinen Freunden ließen sich nur wenige blicken.

Abends drängten sich große Menschenmassen vor der Hausthüre der gräflichen Wohnung. Auf dem Flure stand ein geschlossener Sarg, den eine schwarze Sammetdecke halb verhüllte. Viele Lichter und Crucifixe umgaben ihn. Da lag der Herr Graf Adam von Schwarzenberg im prächtigen, eichenen Todtenschrein, und von all seinem Wirken und Treiben sprachen nur Diejenigen noch, die durch ihn verloren oder gewonnen hatten, und die, welche ihn verwünschten. – Wo aber war er nach dem schrecklichen Auftritte an seiner Tafel hingekommen? Er war, wie gesagt, nicht wieder zum Vorschein gekommen. Man hatte sein Haus mit Wachen umstellt, aber Viele behaupteten: In der Nacht kurz vor seinem Ableben sei eine schwarze Kutsche an dem Hintergebäude vorgefahren, ein Mann, ohne Zweifel der Exminister, sei hineingehoben worden, bewaffnete Reiter hätten den Wagen escortirt, und so sei es fortgegangen, hinaus, tief in den Wald hinein, der zwischen Berlin und Spandau sich erstreckte. Im Gehölze habe die Kutsche gehalten. Nach einer Stunde sei der Zug wieder zurückgekommen; man habe, an der Hinterthür der gräflichen Wohnung angelangt, einen schweren Gegenstand aus dem Wagen gehoben und in’s Haus geschleppt. Danach seien die kurfürstlichen Räthe ausgestiegen, dieselben, welche beim Ableben des Grafen zugegen gewesen sein wollten. Um 6 Uhr Morgens des folgenden Tages habe es geheißen:

„Graf Schwarzenberg ist am Herzschlage gestorben.“

„Wir wissen besser, woran wir sind,“ sprachen die kannegießernden Bürger auf der Bierbank. „Der junge Kurfürst hat Gerechtigkeit geübt gegen den Frevler, und im Spandauer Forst ist er bei Fackellicht enthauptet worden.“

So ging die Sage. Die ärztlichen Leichenbefunde hielt man für fingirt, ebenso die Berichte der Räthe an den Kurfürsten und dessen Antwort. Die Leiche ward dem Sohne zum ehrlichen Begräbniß übergeben, und die Hinterbliebenen hatten bereits alle Vorkehrungen getroffen, nach abgehaltenen Exequien die sterbliche Hülle nach Wien zu schaffen, woselbst die väterliche Gruft sie aufnehmen sollte. – – –

An einem Sonntage des Jahres 1755 gingen ein hoher Officier und eine Dame nach beendigtem Gottesdienste durch die Nicolaikirche zu Spandau. Es waren der Prinz August von Preußen und seine Schwester Amalie, Geschwister Friedrich’s des Großen. Sie betrachteten die Gemälde, die Inschriften und Zierrathen, welche die Kirche enthält. Der Prediger Schulz begleitete sie. In

  1. Der Herr von Lehndorff, berichtet Loccelius, wurde in Hafft genommen, aber den Tag nach des Grafen Ableben, bei dem vorgehenden Geläuf in einem Kasten, als wenn’s Kleider wären, von des Obersten Goldacker Lakaien herauspartirt, auf ein bestelltes Pferd gesetzet, und also davongebracht. Doch hat er der göttlichen Strafe nicht entgehen können, und ist unlängst hernach in einem rencontre von denen Schwedischen in der Lausitz erschlagen worden.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 538. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_538.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)