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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

zu plötzlich gekommen, er erblaßte, gerieth außer Fassung und stammelte ein kaum hörbares „Ja“ über seine Lippen. Der Oberst ließ sich den Ring einhändigen und fragte weiter: „Haben Sie diesen Ring an den Herrn verkauft?“ Da Jener gepreßt „Ja“ antwortete, fuhr der Frager fort. „Wo haben Sie denselben her?“ Etwas gefaßter gab er zur Antwort, daß er denselben von seiner verheiratheten Schwester, die sich jetzt in Paris aufhalte, geschenkt erhalten habe. „Was haben Sie hierauf zu sagen?“ wurde der Bestohlene gefragt. Dieser wandte sich an den Capitain mit der Frage: „Kennen Sie das Geheimniß dieser Ringes?“ Stutzig betrachtete er denselben und sagte gedehnt „Nein“.

„Nun, Herr Oberst, so werde ich Ihnen den Beweis führen, daß der Ring mein früheres Eigenthum ist, und Ihnen das Geheimniß mittheilen.“

Beide traten auf einen etwas freieren Platz, wo der Eigenthümer mit einem Federmesser einen der kleinen Knöpfe, die den Stein umgaben, drückte, wodurch nach innen eine Platte aufsprang und unter dem Steine eine Vertiefung sichtbar wurde, die groß genug war, um ein feingefaltetes Blatt Papier oder auch ein Päckchen Gift darin aufzunehmen. Der Oberst betrachtete stillschweigend den Ring, drückte die Platte langsam in die Fuge und blieb eine Weile nachdenkend stehen. Langsamen Schrittes traten dann die Beiden zu den Zurückgebliebenen, und beklommen sagte er zu den beiden Officieren: „Folgen Sie mir.“

Der Oberst stattete dem commandirenden General Bericht ab, welcher vier Unterofficiere beorderte, den Capitain hinter die Fronte zu führen. Eben kam der Gouverneur Rapp, heiter wie immer, mit seiner glänzenden Suite in vollem Trabe heran, ritt die Linie hinab, stellte sich vor dieselbe auf und ertheilte dem Platzmajor Befehl zu der Ausführung des gegebenen Manövers. Noch war aber vom Commandirenden nicht das „Marsch“ erschollen, als der Gouverneur von dem Vorgefallenen unterrichtet war. Höchst entrüstet übertrug er dem meldenden General im nahen Junkerhofe (Börsensaal) die Voruntersuchung, befahl ihm das Resultat mitzutheilen, das Manöver einzustellen. Auf die Frage, ob der verhaftete Capitain vorgeführt werden sollte, verneinte er dasselbe mit abwehrender Handbewegung und abgewandtem Gesichte. Ohne den üblichen Parademarsch abzuhalten, sprengte er auf seinem Berber mit solcher Hast in gestrecktem Carrière davon, daß seine Umgebung ihm kaum folgen konnte.

Nach Abzug der Truppen waren bald die zurückgebliebenen Officiere im Junkerhofe zusammengetreten und das Verhörgericht angeordnet. Vorgeführt redete der Generalauditeur, ein vieljähriger intimer Freund des Angeklagten, ihn mit zitternder Stimme an: „Capitain Alswanger, Sie sind wegen Veruntreuung eines Siegelringes angeklagt; was haben Sie darauf zu antworten?“

Mit fester Stimme sagte er: „Die Sache liegt klar, und ich werde der Wahrheit die Ehre geben. Ich habe mich leider verblenden lassen, den Ring zu entwenden, und bin dumm genug gewesen, denselben hier am Orte zu verkaufen.“

Alle schwiegen vor Erstaunen, und es dauerte eine Weile, ehe der vorsitzende General zu Worte kommen konnte. „Capitain,“ sagte er, „kennen Sie die Folgen, denen Sie auf diese Selbstanklage unterworfen sind?“

„Ja, Excellenz. Da mir die Kriegsgesetze wohl bekannt sind, so weiß ich, ich werde entehrt aus dem Officiercorps gestoßen und darf Frankreichs Boden nicht wieder betreten.“

Auf Befehl des Vorsitzenden wurde das Protokoll geschlossen und von dem Verhafteten mit fester Hand unterschrieben. Dem Gouverneur wurde dasselbe durch einen Adjutanten überbracht. Stehend, auf einen Tisch gestützt, hörte dieser mit den anwesenden Officieren die Vorlesung mit an. Nach Beendigung derselben warf er sich mit bedeckten Augen in die Sophaecke, ein über das andere Mal rufend: „Unerhört, unerhört von solch einem Manne!“ Indeß faßte er sich bald, um seine Funktion als Gouverneur auszuüben. Er befahl dem Capitain den Degen abzunehmen und ihn, bei strenger Bewachung, zum leichten Arrest abzuführen.

Nach dem Eintreffen der Untersuchungscommission trat der General Rapp vor die Versammlung und sprach: „Meine Herren, wir haben heute einen unerhörbaren Fall erlebt und durch sein Geständniß einen Mann verloren, den wir Alle achteten, ja liebten, denn er war ein braver Soldat, ein treuer Freund und ein lieber Gesellschafter. Um so schwerer wird es uns werden, ihn nach den Militairgesetzen zu verurtheilen. Durch sein Selbstbekenntniß ist das Verfahren sehr vereinfacht, es kann daher schon morgen das Kriegsgericht hier zusammen treten, bei welchem Sie, Herr General O., gefälligst den Vorsitz übernehmen werden. Lassen Sie uns das schwere Geschäft ohne Aufschub vornehmen.“

Der Generalauditeur wurde auf seine Bitte von der Theilnahme an diesem Gerichte, aus persönlicher Rücksicht, entbunden.

Die Speisen, die der Inhaftirte erhielt, waren bereits klein geschnitten. Mit einem leichten Achselzucken und der Aeußerung „unnütze Vorsicht,“ bediente er sich des beigelegten Löffels. Von den ihn besuchenden Commilitonen und Freunden wurde er stürmend gebeten, einen Ausweg anzugeben, den sie bereitwillig unterstützen würden. „Meine Herren,“ entgegnete er, „ich danke für Ihre Theilnahme, lehne aber den angebotenen Beistand ab. Meine Rolle ist ausgespielt. Ich werde mich der Strafe, die das Gesetz verordnet, unterwerfen und bitte Sie inständigst, mich mit ferneren Besuchen gütigst zu verschonen.“

Am folgenden Tage trat das Kriegsgericht vorschriftsmäßig zusammen. Nach dreistündiger Sitzung wurde das Protokoll, welches die Verurtheilung enthielt, von sämmtlichen Beisitzern unterschrieben und vom Vorsitzenden fünf Personen als Deputirte ernannt, um dasselbe dem Gonverneur zur Bestätigung vorzulegen. Bei ihrer Meldung empfing General Rapp die Herren, sich langsam von seinem Sitz erhebend, und hörte die Vorlesung wieder stehend an. Das Protokoll lautete (mit Weglassung der Eingangsformel) in der Hauptsache dahin:

„Da der Hauptmann Alswanger sich durch das unterschriebene Protokoll der Voruntersuchung für schuldig erklärt habe, so sei er als gemeiner Dieb zu bestrafen. Er solle vor der Fronte seiner Compagnie infam cassirt, aus dem Officiercorps als moralisch todt gestrichen, auf ein Jahr zur Festung verurtheilt und dann als Gemeiner in seiner bis daher geführten Compagnie eingereiht werden. Für seine frühere gute Führung und Dienstleistung solle er jedoch der Gnade des Kaisers empfohlen werden.“

Mit einem tiefen Athemzuge erwiderte der Gouverneur: „Das Urtheil, meine Herren, ist hart, doch da das Verbrechen des Capitain Alswanger von der niedrigsten Art ist, so können wir zur Ehre der kaiserlichen Armee es nicht anders sühnen. Dem Inhaftirten muß heute noch das Urtheil mitgetheilt werden, und ich ernenne den General N. zur Vollstreckung desselben am morgenden Tage auf dem Langenmarkt im Beisein sämmtlicher Officiere der Garnison.“[1]

Der Verurtheilte wurde dann in verhängtem Wagen herbeigeholt und ihm die Strafsentenz im Beisein des ganzen Kriegsgerichts vorgelesen. Er zitterte und antwortete auf die Frage, ob er gegen das Urtheil appelliren wollte, ein festes „Nein“. Auch das Anerbieten, die Gnade des Kaisers nachzusuchen, lehnte er ab, indem er sich der Strafe unterwerfen werde. Das hierauf aufgenommene Separatprotokoll unterschrieb er mit zitternder Hand, worauf zwei Soldaten mit leichten Handschellen hereintraten, um ihm dieselben anzulegen. Er bat inständigst, ihm dieses zu erlassen, als aber der Vorsitzende versicherte: „das Gesetz schreibe es so vor,“ sagte er nur leise: „Nun, auch das noch!“ und ließ sich die Kette an beiden Händen anlegen. Mitleidig ließ ihm der General einen Mantel umhängen, und so wurde er zu Fuß nach seinem Gewahrsam transportirt, wobei ihm manches thränende Auge nachblickte.

Wie ein Lauffeuer war die zu vollziehende Execution bekannt geworden, und schon früh waren nicht nur sämmtliche Fenster des Langenmarkts mit Zuschauern besetzt, sondern auch der Platz selbst mit wogenden Menschenmassen angefüllt. Das Militair wurde in Hufeisenform aufgestellt, und nachdem die Officiere im Innern Platz genommen und der beauftragte General vor der Front mit seinem Stabe erschienen war, wurde der Unglückliche vorgeführt. Nachdem man ihm den Mantel und die Handschellen abgenommen, stand er in vollkommener Paradeuniform da. Der Auditeur trat ihm mit der Frage entgegen, ob er noch etwas zu sagen habe. Auf sein entschiedenes „Nein“ kamen zwei Officiere heran, wovon der eine ein rothsammtnes Kissen trug. Der andere schnitt den Orden mit einer Scheere von der Brust, küßte ihn und legte ihn auf das Kissen, welches sogleich weggetragen wurde. Hierauf zog der Officier ihm den Degen aus der Scheide und warf ihn, mit einem kräftigen Fußtritt zerbrochen dem Verurtheilten vor die Füße. Dann traten zwei Unterofficiere heran, welche die Schärpe durch- und die Silberschnur-Verzierung des Czakos abschnitten, die Epauletten gleichzeitig mit Heftigkeit abrissen, so daß die Achselstücke der Uniform herabhingen, ihm dann

  1. WS: Im Original fehlendes Hochkomma sinngemäß ergänzt.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 546. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_546.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)