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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

denn sie betrachteten es als einen Liebesdienst für Alle, was man Einem von ihnen Gutes erwiesen hatte. Auch mannigfaltige Erfrischungen wurden den Zugtheilnehmern wieder von allen Seiten kredenzt und dankbar angenommen, denn eine glühende Hitze lag über der Stadt, und ferne Gewitterwolken prophezeiten eine spätere, unwillkommene Störung des Festes.

Als der Zug den Festplatz erreicht hatte, wurde ein mächtiger Halbkreis um den Balcon geschlossen, wo sich die Rednerbühne befand. Zwei von den sämmtlichen Männergesangvereinen Leipzigs vorgetragene Lieder (die Wacht am Rhein und das Schwertlied) eröffneten die Feier, und hierauf betrat der Festredner, Professor Dr. v. Treitschke, den Balcon.

Was der begeisterte Redner sprach, war nicht blos ein rhetorisches Meisterstüick, sondern auch der volle Erguß eines von Vaterlandsliebe überströmenden Herzens. In Hunderttausenden von Exetmplaren der verschiedenen Zeitschriften ist jene Rede schon über ganz Deutschland verbreitet, aber sie verdient, wie in die Paläste, so auch in die kleinste Hütte zu dringen und Eigenthum Aller zu werden. Die Jugend möge sie sich einprägen und das Alter sie als einen warnenden Spiegel der durchlebten Knechtschaft betrachten. Erheben aber wird sie Jung und Alt, und wo die Liebe zum großen deutschen Vaterlande noch nicht recht Wurzel schlagen oder noch nicht durchdringen konnte, da werden jene Feuerworte sich unwiderstehlich Bahn brechen. Neben der Verherrlichung der Helden des Freiheitskampfes war die Rede eine Mahnung vor Lauheit und Phrasenpolitik, und schlagend führte sie auch die Gebrechen unseres Vaterlandes Allen vor Augen. Es hieß darin:

„Noch steht unser Volk rechtlos, unvertreten, wenn die Völker tagen. Noch grüßt kein Salutschuß im fremden Hafen die deutsche Flagge; denn heimathlos ist sie auf dem Meere, wie die Farben der Seeräuber. Noch blutet die Wunde, die im Frieden nimmer heilen darf: die schmerzliche Erinnerung, daß dies große Deutschland dem sieglosen Sieger, dem schwachen Dänemark, ein Glied von seinem Leibe, der edelsten einen unter seinen Stämmen schmählich preisgegeben hat.“

Den großen Zweck des Festes schilderte der Redner wie folgt:

„Für Millionen unseres Blutes ist der Name „deutsche Einheit“ nur ein großes, wohltönendes Wort, nicht eine begeisterte Ueberzeugung, die jeden Entschluß des Mannes durchdringt und heiligt. So gehet denn hin, Ihr unsre lieben Gäste, und verkündet daheim, was Ihr hier geschaut. Verkündet, wie Ihr im bewegten Austausch der Gedanken und Gefühle, in der Uebung der gemeinsamen deutschen Turnkunst empfunden und im tiefsten Herzen erlebt habt, daß wir zu einander gehören, daß wir ein Fleisch und ein Blut. Erzählet, wie der Mann aus dem Norden dem Manne aus dem Süden das Wort von den Lippen nahm, und wenn Ihr nicht wisset, ob die Wirthe oder die Gäste, ob die Schwaben oder die Niedersachsen das Meiste gethan für die Freude dieses Festes, so gedenket: das ist ein Bild der deutschen Geschichte. Seit Jahrhunderten haben unsere Stämme im Wetteifer gewirkt für die Herrlichkeit unseres Volkes, und kein Weiser hat ergründet, welcher Stamm das Edelste gab, welcher das Größte empfing.“

Wohl ist es ein Unrecht, welches man begeht, nur einzelne Stellen jener Rede anzuführen; mich leitet dabei aber der Zweck, daß diejenigen, welche jenes Meisterstück noch nicht kennen lernten, dasselbe sich vollständig zu verschaffen suchen werden. Nur der Schluß sei hier noch angeführt: „Laßt es nicht von uns heißen, wie von dem großen Griechenvolke: die Väter retteten alle Schätze reiner Menschenbildung vor dem fremden Eroberer, die Söhne aber gingen schmachvoll zu Grunde, weil sie nicht vermochten, Zucht und Recht und Frieden zu bewahren auf dem befreieten Boden. Nein, diese blühende Jugend- und Männerkraft, die sich prächtig zusammenfand in unserer gastlichen Stadt, ein erhebendes Bild von dem Adel und der Stärke unseres Volks, sie wird das Werk unserer Väter nicht zu Schanden werden lassen. Sie wird helfen, es zu vollenden. Die Zeit ist dahin, für immer dahin, wo der Wille der Höfe allein die Geschicke dieses großen Landes bestimmte. Auch der Geringste unter uns ist heute berufen, mitzuwirken an der Arbeit unserer politischen Erziehung, auch der Geringste ladet eine schwere Schuld auf seine Seele, wenn er dieser heiligen Pflicht sich feig versagt.

Deutsche, geliebte Landsleute! Ihr, die Ihr wohnet, wo die Thürme von Lübeck und die weißen Felsen von Arkona dem heimwärtssegelnden deutschen Seemanne die Nähe seines Landes künden, und Ihr Mannen, die Ihr daheim seid, wo die Schweizer Alpen sich spiegeln in dem schwäbischen Meere, und Ihr, deren Wiege stand, wo die graue Pfalz aus dem Rheine steigt und in der Neujahrsnacht des großen Krieges Vater Blücher den deutschen Strom überbrückte! Ihr Alle, weß Stammes, weß Gaues Ihr seid, stimmet ein in den Ruf: Es lebe Deutschland!“

Vergeblich wäre es, die Wirkung schildern zu wollen, welche diese Rede hervorbrachte. Tief ergriffen stand Alles, und selbst dem losbrechenden Beifallssturme konnte man deutlich anhören, wie viele der in das Hoch einfallenden Stimmen vor gewaltiger Bewegung zitterten.

Kaum war diese herrliche Feier durch einen Schlußgesang beendet, so brach in der bis dahin ruhigen Natur ein orkanähnlicher Sturm mit Gewitter los. Man eilte in die Zelte oder in die Festhalle, doch sollten die in letztere Geflüchteten noch einen argen Schreck bestehen. Der Sturm riß nämlich die Holzbekleidung des einen Mittelthurmes los, und derselbe wurde durch die Gewalt des tobenden Elementes bedeutend zur Seite geneigt. Der Lärm der auf das Dach fallenden Breter und der Angstruf: „Die Halle stürzt ein!“ brachte eine furchtbare Verwirrung hervor, da Viele schon ein ähnliches Unglück wie bei der Frankfurter Schützenfesthalle vor Augen haben mochten. Die Angst war jedoch überflüssig gewesen, denn der Thurm senkte sich nicht tiefer; die Halle hätte aber auch noch stärkeren Stürmen getrotzt, und so war bald Ruhe und Festfreude wieder hergestellt, da auch der Himmel wieder im schönsten Blau strahlte.

Immer mehr aber lichteten sich die Reihen der Festgäste, denn jeder abgehende Eisenbahnzug führte viele Hunderte mit sich fort. In den Nachmittagsstunden wurde von einem Theile der Gäste der Grundsteinlegung des neuen Kugeldenkmales in der Marienvorstadt beigewohnt. Jenes Denkmal bezeichnet den Platz, wo am 19 Oct. 1813 das erste zu einem Vorwerke gehörige Haus Leipzigs von preußischen Freiwilligen und Landwehrmännern den Franzosen entrissen wurde. Mancherlei auch auf das Turnfest bezügliche Schriften und Gegenstände wurden dem Grundstein einverleibt, u. A. auch ein Kranz von der Körnereiche bei Wöbbelin, den die Grabower Turner zu diesem Zwecke hierher geschickt hatten. Begeistert von der patriotischen Feier nahm der Fahnenträger des Prager Turnvereins seine kostbar gestickte Fahnenschärpe und legte sie mit in den Grundstein.

Eine weitere Feierlichkeit fand vor dem Rathhause statt, wohin sich der Zug hierauf begab. Dort war als Erinnerungszeichen an das schone Fest eine von den Turnvereinen Deutschlands gestiftete prachtvolle Marmortafel eingemauert worden, und der Festprästdent Georgii enthüllte und übergab dieselbe dem Bürgermeister Dr. Koch mit tiefgefühlten, warmen Worten des Dankes für die den Festgenossen bereiteten schönen Tage. Jene Tafel trägt die Inschrift:

Zur Erinnerung
an das dritte deutsche Turnfest
den 2. bis 5. August 1863
die deutschen Turnvereine der Stadt Leipzig.

Der Bürgermeister dankte voll tiefer Rührung im Namen der Stadt und brachte den deutschen Turnern und ihren Führern ein Lebehoch, welches Georgii mit einem Hoch auf die Feststadt erwiderte.

Die fröhliche Feststimmung der vorhergehenden Tage hatte jetzt schwermüthigeren Gefühlen weichen müssen, denn auch für die letzten der Festgenossen schlug nun bald die Trennungsstunde. Wohin man nur blickte, konnte man Zeuge der rührendsten Auftritte sein. Hier brachte die Familie des Wirthes die Allen so liebgewordenen Turngäste zum Bahnhofe, und da wurden beim Scheiden so bittere Thränen vergossen, als trennte man sich auf Nimmerwiedersehen. Die Turner waren ja keine Fremden mehr, sie wurden als liebe Angehörige betrachtet, von denen man vielleicht für immer schied. Die Dankesworte, die mancher der Scheidenden vielleicht vorher im Geist recht wohl gesetzt hatte, sie wurden von Thränen erstickt, noch ehe sie vom Herzen bis zu den Lippen gedrungen waren. Wo gäbe es aber einen schöneren, beredteren Dank als jene Thränen? – Dort sah man wieder, wie den die Stadt verlassenden Turnern noch auf der Straße duftende Blumen überreicht wurden, mit der Bitte, dieselben in die Heimath mit zu nehmen, aber der Geber noch zu gedenken, wenn von jenen Blüthen nichts mehr

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 568. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_568.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)