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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

zu Station die sich herandrängenden Massen dichter, die Kundgebungen der Sympathie unzweideutiger und lauter wurden. Der greise Arndt vollends, der überall noch ganz besonders der Gegenstand und Mittelpunkt volksthümlicher Ovationen war, hatte vollauf zu thun, mit Alt und Jung Händedrücke zu tauschen, seine leichte blaue Reisemütze zu schwenken und in seiner gewohnten sprach- und bilderreichen Weise, obwohl schon in den ersten Stunden gänzlich heiser, allerhand bald allgemein patriotische, bald auf Landes- und Stammesart bezügliche Reden zu halten. Und in der That, eine für unsere vaterländische Vergangenheit hoch bedeutsame Gegend war es, durch die wir jetzt dahin zogen. Dort, aus nicht allzuweiter Ferne, winkten die Höhen des Teutoburger Waldes herüber, und das halbfertige, unvollendet gebliebene Standbild Hermann’s des Cheruskers mahnte verhängnißvoll an unser eigenes, des Abschlusses noch ermangelndes Werk, mahnte an all die Hemmnisse, welche der angestammte deutsche Volkscharakter und vor allem die Eifersucht und der Eigennutz der einzelnen Stammeshäupter jedem Versuch einer Einigung Deutschlands entgegensetzten.

Bald traten wieder andere vaterländisch geschichtliche Erinnerungen an uns heran, jene aus der ältesten Zeit ergänzend. Wir zogen nach einander in den Residenzen beider Zweige des einst so mächtigen Geschlechts der Welfen ein. In Hannover, wo wir am zweiten Tage unserer Reise übernachteten, wußten wir den alten, streng toryistischen König und sein Ministerium – leider auch den im Uebrigen so trefflichen Stüve – der nationalen Einheitssache feindselig abgewandt; um so erfreulicher waren uns die Huldigungen, welche die Stadt durch feierliche Bewillkommnungsdeputationen, die prächtige Bürgerwehr durch festliche Aufstellung vom Bahnhofe bis in unser Hotel uns brachte.

Einmüthiger zeigte sich die Stimmung in der zweiten Welfenstadt, Braunschweig. Hier hatten die höchsten Regierungsbeamten, die Minister selbst, – an ihrer Spitze der alte würdige Herr von Schleinitz, dessen freisinnige Richtung schon von vor 1848 her datirte, – mit der Blüthe der Bürgerschaft sich zu einem großen Festmahl für die Abgeordneten der Nationalversammlung vereinigt. Hier – das sah man wohl – war die Idee eines deutschen Kaiserthums, und zwar eines hohenzollernschen, populär, allerdings aber – denn auch das ließ sich nicht verkennen – eines solchen, welches – nach des unvergeßlichen Uhland Ausspruche – „mit einem Tropfen demokratischen Oeles gesalbt worden.“ Das bewies die allgemeine, lebhafte Zustimmung, als ein Redner daran erinnerte, wie die Unbotmäßigkeit des mächtigen Welfenfürsten einst einen der größten deutschen Kaiser in seinem Siegeslaufe aufgehalten, wie aber die Nationalversammlung bei Abfassung der Reichsverfassung Sorge getragen, daß sich Aehnliches nicht, zum Schaden Deutschlands, wiederholen könne, daß vielmehr die Vollkraft der Nation dem Oberhaupte des Reichs, jederzeit durch keinen andern als den Gesammtwillen eben dieser Nation beschränkt, zur Verfügung stehe.

In Magdeburg, unserm letzten Rastorte, brachte eine Deputation der deutschen Vereine aus dem Königreich Sachsen uns Gruß und Glückwunsch entgegen. Der letzte Theil unseres Weges führte durch die ältesten und getreuesten Landestheile des hohenzollernschen Hauses; daß wir hier immer wachsenden Sympathien begegneten, konnte uns nicht überraschen. Höchstens das durfte uns bedeutsam und hoffnungsverheißend erscheinen, daß in der alten preußischen Königsstadt Potsdam die Mitglieder der Regierung und anderer Behörden uns festlich bewirtheten und betoasteten; ließ sich doch daraus schließen, daß auch in jenen Kreisen, wo das specifische Preußenthum und die absolutistisch-büreaukratische Abneigung gegen parlamentarische Einrichtungen am meisten zu Hause zu sein pflegen, die Wichtigkeit unserer Sendung gewürdigt werde.

Während jenes Festmahles in Potsdam trafen mehrere Frankfurter Collegen bei uns ein, welche zugleich Mitglieder der preußischen Kammern waren und welche sich beeilt hatten, uns noch vor unserer Ankunft in Berlin die frohe Kunde entgegenzubringen, unter wie günstigen Sternen diese stattfinde. In der That klang, was sie mittheilten, so erfolgverheißend wie möglich. In beiden Kammern waren von den Ministern Erklärungen in Bezug auf die Reichsverfassung und die Kaiserwahl abgegeben worden.[WS 1] „Dieser Beschluß,“ war darin gesagt, „sei ein wesentlicher Fortschritt auf der Bahn der Entwickelung der deutschen Verhältnisse, und die Regierung werde Alles aufbieten, damit das erstrebte, jetzt nahe gerückte Ziel ganz erreicht werde.“ „Allerdings,“ hieß es weiter, „könne die Regierung, festhaltend an den schon früher kundgegebenen Ansichten, die Beschlüsse der Nationalversammlung nur für diejenigen Regierungen als gültig anerkennen, welche aus freiem Antriebe denselben beistimmen würden, allein sie werde nichts unversucht lassen, um ein solches Einverständnis zu fördern.“

Der Eindruck dieser Erklärung in den Abgeordnetenkreisen war, wie unsere Freunde uns sagten, ein durchaus günstiger gewesen.

Mit solchen Aussichten und in einigermaßen gehobener Stimmung langten wir am Abend des 2. April in der preußischen Hauptstadt an. Wir wurden in dieser Stimmung befestigt durch die vielen Mitglieder beider Kammern, die uns, nebst einer Deputation des Magistrats von Berlin, auf dem Bahnhofe empfingen. Die Stadt Berlin ehrte uns als ihre Gäste und hatte für unsere Einquartierung in den ersten Hotels gesorgt. Die Bevölkerung begleitete uns mit Zeichen sichtbarer Theilnahme, als wir in den für uns bereit gehaltenen Wagen dorthin fuhren. Kaum dort angekommen, erhielten wir eine Sendung von dem Ministerpräsidenten Grafen von Brandenburg. Er wünschte eine Privatunterredung mit dem Präsidenten der Deputation, womöglich noch an demselben Abend. Da Simson schon von Köln aus auf der ganzen Reise leidend gewesen war, begaben sich zwei andere Mitglieder der Deputation zu dem Grafen. Die vertrauliche Mittheilung, die sie von ihm in Betreff der vom König zu erwartenden Antwort empfingen, stimmte mit der den Kammern gemachten öffentlichen überein. Die Audienz beim König ward auf den folgenden Tag, Mittags zwölf Uhr, im Rittersaale des Schlosses, anberaumt.

Zu der angesetzten Stunde begaben wir uns, wiederum in städtischen Equipagen, in’s Schloß. Der König empfing uns, unter dem Thronhimmel stehend, in militärischer Uniform, den Helm in der Hand, umgeben von den Prinzen des königlichen Hauses, sowie den obersten Hof-, Civil- und Militärbeamten. Präsident Simson theilte in kurzen Worten die Beschlüsse der Nationalversammlung mit, welche uns hierher geführt, indem er zugleich ein Exemplar der Reichsverfassung überreichte. Dann fuhr er fort. „In Vollziehung dieses Auftrags stehen vor Ew. Majestät der Präsident und 32 Mitglieder der Nationalversammlung in der ehrfurchtsvollen Zuversicht, daß Ew. Majestät geruhen werden, die begeisterten Erwartungen des Vaterlandes, welches Ew. Majestät als den Schirm und Schutz seiner Einheit, Freiheit und Macht zum Oberhaupte des Reichs erkoren hat, durch einen gesegneten Entschluß zur glücklichen Erfüllung zu führen.“

Die Antwort des Königs, mit freier und gehobener Stimme gesprochen, begann ziemlich hoffnungverheißend. Er sprach von der Wichtigkeit unsrer Sendung, von dem „Anrecht“, welches die Wahl der Nationalversammlung ihm gebe, und dessen Werth er zu schätzen wisse. „Aber“ – und hier hob der König die Stimme noch mehr – „ein Blick nach oben in solchem wichtigen Momente macht das Auge hell.“ Diese Worte durchzuckten die Meisten von uns sogleich besorgnißerregend; wir ahneten, daß aus solcher Abwendung von den irdischen zu himmlischen Betrachtungen sich irgend eine, vielleicht wohlgemeinte, aber sicherlich nicht staatsmännisch praktische, weit eher romantisch befangene Anschauung der Sachlage entwickeln werde. Und so geschah es. Der König sprach zuerst von der gewissenhaften Achtung der Rechte Aller, welche ihm verbiete, einen entscheidenden Schritt ohne das Einverständniß der andern deutschen Fürsten zu thun. Noch war eine schwache Hoffnung vorhanden, daß damit nur die Freiheit der Annahme oder Ablehnung der Reichsverfassung im Ganzen vorbehalten sein solle, also entsprechend den Erklärungen vom Tage vorher – obschon Ton und Haltung des Königs Mehr und Schlimmeres befürchten ließen. Nur zu bald sollte auch diese letzte Hoffnung schwinden. Der König fuhr fort: „An den Regierungen der einzelnen Staaten wird es sein, in gemeinsamer Berathung zu prüfen, ob die Verfassung dem Einzelnen wie dem Ganzen frommt, ob die mir zugedachten Rechte mich in den Stand setzen würden, mit starker Hand die Geschicke des großen deutschen Vaterlandes zu leiten und die Hoffnungen seiner Völker zu erfüllen.“

Was der König noch weiter sagte – von dem Schwerte Preußens, das in der Stunde der Gefahr dem deutschen Vaterlande nicht fehlen werde, und Anderes mehr, das haben wohl nur die Wenigsten von uns recht gehört. Eine tiefe Wehmuth, eine fast betäubende Seelenerschütterung war über uns gekommen. In manchem Auge, das sonst ruhig und kalt blicke, sah man Thränen zittern. Die mühsame Arbeit eines Jahres, das Bollwerk unserer

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: wornen
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 571. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_571.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)