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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Breite. Die Schwerter des 16. Jahrhunderts zeigen häufig an der Daumenseite den ganzen Rosenkranz eingeschlagen auf der Klinge. Die Gebete werden durch Perlen bezeichnet, gewöhnlich 60 an der Zahl. Die Perlen sind vertieft, wie Grübchen; in gewissen Zwischenräumen bemerkt man auf der Klinge kleine Kreuze, von dem Heft bis zur Spitze läuft eine Rinne, in der Sprache der Waffenschmiede Blutrinne genannt. Die Klingen enden meist in einen gedrückten Bogen. Die Grübchen haben zu der Annahme geführt, daß solche Schwerter ihren Inhabern den Rosenkranz ersetzten und daß die Gebete im Finstern gesprochen wurden, wobei der Betende seine Finger in die Grübchen legte und so die Perlen des Rosenkranzes ersetzte. Man nennt daher diese Klingen „Paternosterklingen“.

Unter den Richtschwertern der Sammlung des Herrn Geuder in Nürnberg zeichnen sich einige besonders aus. Der älteste und am häufigsten anzutreffende Spruch, der die Richtschwerter ziert, ist:

„Wenn ich thu’ mein Schwert aufheben,
Wünsch’ ich dem Sünder das ewige Leben.“

Darüber gewöhnlich die Figur eines zu Richtenden mit verbundenen Augen. Zwei andere Schwerter enthalten die Inschrift:

„Die Herren steuren dem Unheil,
Ich vollstrecke ihr Urtheil.“

Ein Spruch, der fast wie eine Entschuldigung lautet. Auf einer sehr schön gearbeiteten Klinge des Ansbacher Nachrichters steht der Spruch:

„Hüte Dich, thu’ kein Unrecht nicht,
So hast Du nicht zu fliehn das Gericht.“

Einzelne Klingen zeigen nur die eingeätzte Figur der Gerechtigkeit mit der Unterschrift: „Justitia.

Sämmtliche Klingen sind von besonders feiner Arbeit und sehr dünn geschmiedet. Beim Gebrauche hielt der Henker die Spitze des Schwertes oder den unteren „Ort“ in die Höhe, so daß beim Hiebe die ganze Klinge sich senkte.

Die Kürze der Schwerter bezeugt, daß eine nervige Faust sie führte, doch wußten die Scharfrichter auch mancherlei Stücklein anzubringen, welche ihrer Kraft zu Hülfe kamen. Unter den Richtschwertern der Geuder’schen Sammlung in Nürnberg befindet sich eines, an dem man die Vorrichtung zu solcher Künstelei sieht. Das Schwert zeigt am Klingenende drei Löcher, in welche der Richter Bleikugeln legte, deren Gewicht den Schwung beim Hiebe vermehrte. Indessen hielten sich die alten Scharfrichter von solchen Umständlichkeiten fern.

Nur eines seltenen Falles aus dem 15. Jahrhundert sei hier noch gedacht: der Anwendung des Quecksilbers. In dem rundgewölbten Rücken des Richtschwertes war eine Rinne angebracht, welche vom Griffe bis zur Spitze lief. Diese Rinne barg Quecksilber. Beim Ausholen hielt der Scharfrichter das Klingenende höher als die Faust, so daß während des Hiebes das Quecksilber mit aller Kraft gegen die Spitze geschleudert ward.[1]

Die Schwerter der mittelalterlichen Scharfrichter besaßen gewöhnlich keine Scheide. Auch hier war ein Aberglaube vorhanden, der in der Idee beruhte, man dürfe das Schwert nicht in die Scheide stecken, um dem Urtheile Gottes nicht vorzugreifen. So zeigen denn die meisten der älteren Richtschwerter am Klingenende ein zuweilen dreieckiges Loch, mittelst dessen sie an die Wand gehängt wurden[2]. Diese furchtbaren Waffen, von denen einige auch zum Kriegsgebrauche bestimmt waren[3], diese Zeichen des Blutrichters hingen in den Zimmern der Scharfrichter im „schwarzen Laden“ oft in den verschiedensten Gruppen und bald stärker, bald feiner, denn der Scharfrichter hatte im Mittelalter, ja bis tief in’s 18. Jahrhundert hinein noch so häufig einen armen Sünder „abzuthun“, daß er Richtschwerter für starke und schwache Hälse der Delinquenten besaß; außerdem sammelten die Meister gern renommirte Schwerter berühmter Handwerksgenossen, welche lange Zeit Dienste verrichtet hatten. – Der oder die „schwarze Laden“ war ein ungeheurer Schrank, der gewöhnlich die ganze Wand eines Wohnzimmers des Nachrichters einnahm.

War der Meister ein gesuchter und berühmter, so hatte er auch seine Häuslichkeit mit einem gewissen Luxus eingerichtet, und wie der Künstler die Wände seiner Gemächer mit den heitern Erzeugnissen seiner Kunst, der Gelehrte seine Studirzimmer mit Bücherschränken zierte, so prangten an den Mauern des Henkerzimmers oft die erschreckenden Instrumente zur Peinigung. Die schwarze Laden war häufig mit dunklem Tuche ausgeschlagen. Oeffneten sich nun die Thüren, so blitzten die blanken Klingen der Richtschwerter desto unheimlicher von der düsteren Hinterwand dem Beschauer entgegen, dessen Auge in den Tiefen des Schrankes außerdem noch allerlei unheimliches Geräthe entdeckte.

Die Schwerter hatten ihre Altersclassen. Ein hinlänglich bekannter Brauch war es, nie mit einem Schwerte hundert Menschen zu köpfen. Der Henker bediente sich einer und derselben Klinge nur für 99 Opfer. Erst nach einer gewissen Reihe von Jahren durfte das Schwert wieder in die Hand genommen werden.

Beim Schmieden des Schwertes mußte der Henker gegenwärtig sein, wenn der letzte Hammerschlag auf die Klinge gethan ward. Aus der Werkstätte ward es sorgfältig eingewickelt in die Behausung getragen und dann dort bis zum ersten Gebrauche verwahrt. Eine noch nicht gebrauchte Klinge war eine „Jungfernklinge“. Unmittelbar nach der Hinrichtung eines Delinquenten band man drei Tage und drei Nächte ein Bündel Kreuzdornzweige an die Klinge, nachdem dieselbe äußerst sorgfältig gereinigt war, damit keine Zauberei an dem Schwerte hafte, und der ruhelose Geist des Gerichteten dem Zimmer des Henkers fern bleibe. Das Schwert, welches der Henker bei seiner Einsetzung empfing, ward ihm vom Gerichte übergeben. Nach einer gewissen Anzahl damit vollzogener Hinrichtungen ward es sein Eigenthum, und er durfte es bei einer Versetzung oder Aufgebung seiner Stelle mitnehmen, wofür er drei Kreuzpfennige zahlte. In einigen Städten verwahrte man das Richtschwert auf dem Rathhause, von wo es zwei Gerichtsboten in einer verschlossenen Kiste zum Henker trugen, wenn es gebraucht werden sollte.

Außer diesen unmittelbar zur Henkerspraxis gehörigen Gebräuchen diente das Richtschwert dem Träger noch als Geleit und Beglaubigung; dann aber war es in gewisser Beziehung ein Maßstab für die Ansprüche, welche der Henker bei einigen Vorgängen erheben durfte. Einer der bemerkenswerthesten Fälle dieser Art war das alte Recht des Freimanns, die Habe des Selbstmörders, welche er als Nachrichter der Stadt, auf dem gefundenen Leichnam stehend, mit seinem Richtschwerte im Kreise um den Cadaver herum erlegen konnte, sein eigen nennen zu dürfen. Noch im 18. Jahrhundert ereignete es sich, daß ein Kornwucherer sich erhängte. Derselbe hatte alle seine Geldsäcke rund um sich gehäuft und in deren Mitte seinem Leben ein Ende gemacht. Der Freimann nahm Alles laut Richterspruch in Besitz.

Mit dem Richtschwerte belehnt, vereidigt und geprüft erwartete der neu bestellte Scharfrichter nur den Augenblick, der ihn in die Praxis einführen sollte. In der Handwerkssprache hieß dies: „das Meisterstück machen.“ Auch hier gab es einen Gewerksstolz. Der Scharfrichter machte sein Meisterstück nicht durch Hängen, sondern durch Köpfen. Der Strick war niedriger als das Schwert. Zur Noth verrichteten die Knechte die Arbeit mit dem Strange, aber das Schwert zu schwingen auf den Nacken des Verurtheilten, das ließ sich der Meister nicht nehmen.

Der Tag, wo die erste Kraftprobe abgelegt werden sollte, war ein feierlicher. So verhärtet die Natur des jungen Meisters auch schon sein mochte – war er doch von Jugend auf an Schauerscenen aller Art gewöhnt –: es bewegte ihn dennoch wundersam der Gedanke, daß ein Mitmensch von seiner Hand sterben mußte, daß die schnelle Beförderung vom Leben zum Tode, die einzige Wohlthat, welche der zitternde, angsterfüllte Sünder noch erwarten durfte, in seine, des Scharfrichters, kraftvolle und geübte Faust gelegt war. Andererseits fürchtete er wiederum im Falle des Mißlingens die Volksrache. So wichtig das Amt des Scharfrichters war, es bedurfte dennoch mannigfacher Vorkehrungen, um beim Mißglücken einer Execution die verhaßte Persönlichkeit vor thätlichen Angriffen zu schützen. Die Aufgabe war, mit einem sichern Hiebe den Kopf vom Rumpfe zu trennen, oder den Strick so richtig zu schlingen, daß der Verurtheilte kaum noch eine Bewegung machte. Häufig genug war es vorgekommen, daß der Hals des Schlachtopfers durch ungeschickte Hiebe zerfleischt wurde, daß der Strang riß, daß die Festbindung des Delinquenten nicht regelrecht vorgenommen war, und daß derselbe in der Todesangst aufsprang und dergl. Dann

  1. Im siebenjährigen Kriege kamen bei der österreichischen Armee Husarenklingen in Gebrauch, welche ebenfals mit Quecksilberrinnen versehen waren.
  2. Dergleichen Klingen sind sehr selten geworden. In der Nürnberger Sammlung befinden sich auch neuere Richtschwerter mit Scheiden.
  3. Solche Schwerter zeigen einen Daumenring und haben zuweilen das Paternoster aufgeätzt.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 618. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_618.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)