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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Im Damenzimmer.
Skizze von Louise Ernesti.
1.

Eines der traurigsten Gefühle des Menschenherzens ist, wenn es sich losreißen soll und muß von der Stätte, wo sein Glück geblüht, sein Glück zurückbleibt. Gleich tief mag ein Jeder das empfinden, und doch – wie verschieden wird’s ertragen! Der Eine nimmt’s hin, still und ergeben, der Andere giebt seinen Jammer durch laute Klagen kund; Dieser findet Trost in dem Gedanken, daß es eben ein unabwendbares Geschick ist, vielleicht so besser, als anders sei, Jener wiederum sträubt sich gegen das an ihn herantretende Weh bis zur letzten Secunde, bangt, hofft, verzweifelt und sucht – trotzdem kein Entrinnen möglich – unablässig einen Ausweg im Labyrinthe seines Elends!

Wie ertrug die Frau, die wir vor uns sehen, jenes Schicksal? Daß sie nicht zu den sanften geduldigen Charakteren gehörte, zeigte der flüchtigste Blick auf ihre Erscheinung, die ungeachtet der leidenschaftlichen Aufregung, welche ihr ganzes Wesen verrieth, wunderbar schön, außerordentlich anziehend und fesselnd war. Zum herrlichsten Modell einer Niobe hätte sie dienen können, wenn sie still, tief in ihren Schmerz versenkt dastand; einer wilden Rachegöttin aber wurde sie ähnlich, flammte das dunkle Auge hell auf und flogen über die feinen Linien des Gesichts die finstern Schatten böser Leidenschaften. Nie würde man in solchen Momenten für möglich erachtet haben, daß jene funkelnden Augen einst ruhig, mild wie Sterne geleuchtet, diese von Zorn, Haß, ohnmächtiger Wuth entstellten Züge, vormals das reinste Glück, die höchste Seligkeit verkündet.

Sowie es von Zeit zu Zeit licht aufblitzte in den nachtschwarzen Augen, so durchblitzten auch fort und fort neue Ideen das Hirn jener Frau, die sich schon Tage lang mit Plänen und Entwürfen gemartert; wie diese bebenden Lippen, so zuckte auch immer und immer wieder krampfhaft das Herz, wenn der Rest von Vernunft oder kurze Ueberlegung das mühsam Ersonnene als Trugbild einer glühenden, aufgeregten Phantasie erkannt und verworfen. Kein Ausweg! – keiner!

„Fort! fort!“ so stieß die Unglückliche nach jeder neuen bittern Erkenntniß laut, fast schreiend, dieses eine für sie so inhaltschwere Wort aus; aber kaum daß sie sich erhoben, nur wenige Schritte gegen die Thüre gemacht, da taumelte sie mit dem leisen Wehruf: „ich kann nicht! – kann nicht!“ nach dem Divan zurück.

Es mochten wohl schöne goldene Bilder einer vergangenen Zeit sein, die jetzt an ihrer Seele vorüber zogen, denn ein strahlender Ausdruck von Glück kam plötzlich über sie, und träumend schloß sie die Augen, daß sie den Mann nicht sahen, der unbemerkt, eine hohe ernste Gestalt, in das Zimmer getreten war. Da schaute sie auf, und ihr Blick traf ihn. Um wie viel heller leuchtete nun ihr tiefes Auge, welch wunderbarer Schein von Licht und Glanz überstrahlte jetzt erst ihre beweglichen Züge. „Du hier! – Du – zu mir gekommen!“ rief sie aufjubelnd und stürzte der Thür entgegen, an der die stolze, so schöne Erscheinung noch, ohne ein Wort zu sagen, weilte. Kraftlos sanken ihre ausgebreiteten Arme nieder, als er ruhig um einige Schritte zur Seite trat und kalt, strenge sagte:

„Der Wagen wartet jetzt drei Stunden, Gräfin, es ist die höchste Zeit, daß Sie reisen – endlich endlich dieses Haus verlassen!“

Diese Worte, die einzigen von den Lippen, die einst tausend Worte der Liebe gesprochen; diese Worte, von kurzem eisigem Blick aus Augen begleitet, die einst lang, tief voller Zärtlichkeit an ihren Zügen gehangen. – Armes Weib, das erleben zu müssen! – beklagenswerthes Weib, diesen Wechsel Dir selbst bereithet zu haben!

Vernichtet stand sie da und schaute starren Blicks auf die leere Stelle, wo er noch eben geweilt. Vielleicht würde sie das Ganze als Vision betrachtet haben, wenn sie nicht bald neuen Beweis für die furchtbare Thatsache erhalten hätte.

Ueber die Schwelle des Zimmers glitt wenige Minuten, nachdem der Mann gegangen, eine ältere Dame mit milden, sanften, wenn auch kummervollen Zügen. Sie näherte sich der regungslos Dastehenden und freundlich ihren Arm um die Unglückliche schlingend, sagte sie liebevoll: „Arme, arme Natalie!“

„Was willst Du, Clara?“ entgegnete die Frau heftig und entwand sich dem Arme, „willst Du Dich an den Früchten Deiner Thaten erfreuen, an meinem Jammer weiden? oder,“ fügte sie bitter hinzu „kommst Du auch, mich zu mahnen, daß die Pferde ungeduldig sind, das Opfer Deiner Ränke zu entführen und Dir freien Spielraum zu lassen?“

„Liebe Natalie, Nichts von dem Allen! ich kam einzig, Dich anzuflehen, zu reisen – da Dein Bleiben Alles verschlimmert. O geh, Natalie, und ich schwöre es Dir zu, bei meiner Seele Seligkeit, Du wirst’s nicht bereuen, Dich jetzt seinem Willen gefügt zu haben. Was von meiner Seite geschehen kann, Dich bald, so bald wie möglich hierher zurückzubringen, es wird geschehn. Glaube, vertraue mir.“

Ein höhnisches Lachen war die Antwort; dringender fuhr die Andere fort:

„Natalie, verscherze nicht Dein ganzes Glück! Noch einmal: reise, reise! Reize ihn, den Du so furchtbar beleidigt hast, nicht zum Aeußersten.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 625. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_625.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)