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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)


großen Schwärmen vorkämen. Gewöhnlich aber lassen sie den Schaden, welchen sie verursachen, ihrer geringen Zahl wegen eben so wenig bemerkbar werden, als die Haus- und Feldgrillen (Acheta domestica und camptestris)[1], welche durch ihren unangenehmen, schrillenden Gesang weit mehr lästig fallen, als durch ihre Gefräßigkeit.

Ein höchst unangenehmer, zerstörender Gast ist aber in unseren Feldern und Gärten die Maulwurfsgrille (Gryllotalpa vulgaris), deren vielfache populäre Namen schon darauf hindeuten, wie zerstörend das Thier in unseren Pflanzungen haust. Rind-, Raub,- oder Schrotwurm, Werre und Werbel oder Ackerwerbel, Erdkrebs, Erdwolf oder Moldworf heißt das häßliche Thier mit dem dicken Leibe, den es auf der Erde schleift, den breiten schaufelförmigen Grabfüßen, dem langen, panzerähnlichen Brustschilde und dem kleinen Kopfe mit listigen Augen und einer Menge von Anhängseln, Freßspitzen, Tastern, Fühlern, Kinnbacken und Kinnladen. Dem Maulwurfe ähnlich lebt die Werre in der Erde, wo sie vielfach hin – und hergewundene Gänge nahe an der Oberfläche gräbt, die ein wenig aufgeworfen erscheinen und sich besonders nach Regen leicht erkennen lassen, weil sie früher trocknen als die umgebende Erde. Man kann leicht in einen solchen Gang den Finger einbringen. Fährt man ihm nun mit den Finger nach, so dauert es selten lange, bis man den Gang in die Tiefe sich senken sieht und mit dem Finger nicht weiter folgen kann. Hier ist nun der Eingang zu der unter9rdischen Wohnung, die aus glätteren, geräumigen Gängen mit kesselartigen Erweiterungen besteht, während die Jagdgänge, die auf der Oberfläche sich finden, nur leichthin aufgeworfen werden und häufig zusammenfallen, auch keine geglätteten Wände zeigen. Will man eine Werre fangen, so braucht man nur den Eingang ein wenig mit dem Finger festzudrücken, damit er nicht einfällt, und dann mittelst eines dutenförmig zusammengerollten Blattes, oder noch besser, mittelst eines Papiertrichters erst einige Tropfen Oel und nachher Wasser in den Gang zu gießen. Es braucht oft viel Wasser – drei bis vier Gießkannen voll – ehe sich sämmtliche verzweigte Gänge so gefüllt haben, daß kein Wasser mehr eindringt. Nun aber krabbelt es auch aus dem Boden hervor – oft an dem Loche selbst, in welches man Wasser goß, oft auch an einer ganz anderen Stelle. Die Werre kriecht heraus, klebrig, ekelhaft fett, halb erstickt. Oft besitzt sie nicht einmal die Kraft mehr herauszukriechen – oft auch gelangt sie nur gerade an die Oberfläche und stirbt unter Zuckungen. Das fette Oel hat sich an ihren Leib gehängt, die Luftlöcher verstopft und die Bestie eben so gut erstickt, als wenn man einem Säugethiere den Hals zugeschnürt hätte.

Thun wir aber nicht vielleicht Unrecht, indem wir die Maulwurfsgrille verfolgen? Hat der Maulwurf nicht Jahrhunderte lang unter dem allgemeinen Vorurtheil des Volkes gelitten, bis die neuere Zeit versuchte, ihm sein Recht angedeihen zu lassen?

Wir können gewiß nicht leugnen, daß die Werre mit Wohllust auch über thierische Nahrung herfällt und einen Engerling oder Regenwurm, den sie auf ihren dunkeln Wegen trifft, nicht verschont. Ihre ungemein große Gefräßigkeit läßt sie sogar die Jungen und Larven ihrer eigenen Art tödten und aufzehren. In Gefangenschaft schneiden sie sich unter einander an und fressen sich, wie die Löwen in der Fabel, gegenseitig auf, so daß nur die Schwanzspitzen übrig bleiben. „Ueber alle Begriffe geht,“ so erzählt Nördlinger, „was in dieser Beziehung mein Vater mit ansah. Er hatte bei Bearbeitung eines Blumenbeetes im Garten eine Werre mit dem Spaten auf den Weg ausgeworfen und durch die Mitte entzwei gestoßen, in der irrigen Meinung, das Thier dadurch getödtet zu haben. Als nach einer Viertelstunde seine Augen wieder auf die Werre fielen, war ihr Vordertheil beschäftigt (wer weiß ob nicht in dem Gefühle der Leere ihres Bauchs) heißhungrig den weichen Hinterleib aufzuzehren. Das gräuliche Schauspiel wurde schnell durch einige weitere Spatenstiche unterbrochen.“ Die Geschichte klingt fast wie aus dem Münchhausen, dessen durch das Fallgitter geteiltes Roß fortfährt Wasser zu saufen, und dennoch ist sie vollkommen wahr, denn ich habe selbst Gelegenheit gehabt, Aehnliches zu beobachten. Thierische Nahrung verschmäht also die Werre keineswegs, und manche ihrer Gänge mögen zur Aufsuchung derselben getrieben werden. Wenigstens bemerkte ich häufig in meinem Garten, daß die Werren ihre Gänge um die Zuckererbsen herum trieben und diese ungestört fortkeimen und wachsen ließen, während man hätte erwarten sollen, daß sie die Erbsen anfressen würden. Wahrscheinlich jagten sie da die Schneckchen, welche die Erbsen fressen.

Aber diese Fähigkeit oder Lust, Alles zu verzehren, hindert durchaus nicht, daß die Werre auch Pflanzen angreift und gründlich zerstört. Man braucht nur ihren Mageninhalt zu untersuchen, um sich zu überzeugen, daß er theilweise aus Pflanzenstoff gebildet ist. Ferner lassen sich die Zerstörungen in den Pflanzungen durchaus nicht wegleugnen, und wenn man früh Morgens oder gegen Sonnenuntergang aufmerksam und still beobachtet, wird man leicht mit dem Spaten in der Hand constatiren können, daß eine Salatpflanze ihr Haupt neigt, weil die Werre eben ihre Wurzel zernagt. So ausgiebige Verheerungen wie der Engerling mag sie in Wiese und Feld wohl nicht erzeugen, da auch trotz ihrer Größe ihre Kiefer schwächer zu sein scheinen und sie also Baum- und Rebwurzeln nicht oder nur in der höchsten Noth angreift – aber im Garten ist sie eben so verderblich, wenn nicht verderblicher als der Engerling, welcher doch nur von unten her die Wurzeln frißt, während auf den zahlreichen Gängen der Werre auch die noch jungen Sämlinge und Setzlinge in Folge der mechanischen Lockerung ihrer Wurzeln verdorren.

Auch eine Werre kann lieben. Im Juni und Juli kommt eine eigene Bewegungslust über sie, in welcher sie häufig sogar bei Tage ihre Löcher verlassen, auf dem Boden herumlaufen oder schwerfällig schnurrend umherfliegen. Auch setzt sich das Männchen gern vor die Eingangslöcher und geigt mit den Hinterbeinen an den Flügelrändern, was einen leise zirpenden Ton hervorbringt, der demjenigen der Feldgrillen ähnlich, aber weit gedämpfter ist.

Das Weibchen legt in der Erde, meist in der Tiefe eines halben Fußes, ein Nest an, welches in einem faustgroßen Erdballen besteht, der in der Mitte eine nußgroße geglättete Höhle enthält. Der Gang, welcher von der Oberfläche in dieses Nest führt, zeigt eine spiralige Krümmung mit allmählicher Senkung und läßt sich von dem geübten Auge leicht erkennen, so daß es vortheilhaft ist, an solchen Orten, wo die Werren große Verwüstungen anrichten, die Arbeiter zum Erkennen und Aufsuchen der Nester anzulernen. In die sorgfältig geglättete innere Höhlung legt das Weibchen zuweilen über zweihundert Eier und hält sich dann in der Nähe, wie wenn es über dem Neste wachte. Die nach einem Monat ausgekrochenen Jungen gleichen fast großen Ameisen, halten sich noch in Schaaren zusammen und verwüsten besonders gern die Grasplätze, auf denen sich ihre Gegenwart durch gelb werdende, abdorrende Flecken erkennen läßt. Im Winter gehen sie in die Tiefe – im Sommer kommen sie mehr an die Oberfläche – mit jeder Häutung nimmt die Länge ihrer Flügel zu, die erst nach der fünften Häutung vollständig werden. Sie durchlaufen so, wenn auch mit verhältnismäßig weit geringerer Mühe, etwa alle Stadien, welche die Bekleidung der schweizerischen Armee durch unzählige Commissionen, Berichte und Beratungen der eidgenössischen Räthe durchlaufen hat – von der flügellosen Aermelweste zum Halbfrack, zum Schwalbenschwanz und endlich zum Waffenrocke, der doch die nach Jahn wichtigsten Theile des Kriegers deckt, nämlich Kreuz und Bauch.

Das Ausnehmen der Nester und das Fangen mittelst Eingießen von Oel und Wasser mögen wohl die einzigen nachhaltigen Vertilgungsmittel der Werren sein. Durch das letztere Mittel habe ich wenigstens in meinem Garten, der durch leichten humusreichen Sandboden dem Raubzeuge aller Art unendlichen Vorschub leistet, ihre Verwüstungen ziemlich beschränkt. Man räth auch Eingraben von Pferdemist im Herbste in einer Tiefe von etwa 1–2 Fuß an, indem die Werren sich der Wärme wegen dorthin zögen, in das Misthäufchen einwühlten und dann nach eingetretenem Froste leicht herausgenommen und vertilgt werden könnten. – Es hat mir aber scheinen wollen, als sei das Mittel übler als der Nutzen, den es bringen soll, indem die Werren sich auch nur in die Nähe der erwärmten Stelle ziehen, dort leichter überwintern und so sicherer im Frühjahre Schaden zufügen.

(Schluß folgt.)


  1. WS: fehlende Klammer ergänzt
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 647. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_647.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)