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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

und mehr als eine ist den schönsten der Tode gestorben. Und weil die Weihekraft der großen Stunde alle Alter und Geschlechter, alle Stände und Berufsclassen mit Macht durchdrungen hatte, ward es möglich, daß das kleine, arme Preußen im Frühling und Sommer von 1813 nicht weniger als 271,000 Streiter unter die Fahnen bringen konnte. Ach, das war damals ein Leben und Weben im alten Breslau, wo die Schalen der Weltgeschickswage auf- und abstiegen, wo das Herz Deutschlands schlug, wo in der rauchigen Bierstube „zum Scepter“ die edelste Blüthe deutscher Jugend sich drängte, um in die Freischaar der Lützower einzutreten, in jene „Schwarze Schaar“, in deren Sinn der Krieg, zu welchem sie sich rüstete, kein Krieg war, „von dem die Kronen wissen,“ kein Fürsten- und Diplomatenkrieg, sondern ein Volkskrieg, aus dem Mutter Germania in verjüngter Herrlichkeit hervorgehen sollte! Und wie bog sich in diesen Tagen der „Altar des Vaterlandes“ unter der Last der auf ihn gehäuften Opfergaben! Das Einzige, Letzte, Theuerste, mit rührender Beeiferung ward es dargebracht, und kecklich darf man sagen, daß wie mit seinem Blute so auch mit seinem Gute niemals ein Volk freigebiger gewesen sei, als das preußische im Jahre 1813, wenn man betrachtet, daß das arme und ausgesogene Land neben den von Gemeinde- und Staatswegen geforderten Opfern noch freiwillige im Betrage von Millionen aufgebracht hat.

Daß, was Preußen durch den Befreiungskrieg errang, in gar keinem Verhältniß zu seinen Anstrengungen und Leistungen stand, daß die ursprüngliche Idee dieses Krieges, d. h. die Wiedergeburt und zeitgemäße, auf der Basis bürgerlicher Freiheit zu bewerkstelligende Neugestaltung des deutschen Reiches, wie sie durch das berühmte „Manifest von Kalisch“ vom 25. März dem deutschen Volke feierlich verkündigt und verheißen wurde, gar nicht zur Erfüllung kam, ist auf verschiedene unheilvolle Ursachen zurückzuführen. Erstens auf die Schwäche der preußischen Diplomatik, welcher Richtung und Energie zu geben die Hardenberg und Humboldt nicht das Zeug hatten. Zweitens auf die Falschheit des Czaren Alexander, welcher zwar die Kräfte Deutschlands zu seinen widernapoleonischen Zwecken ausnutzen wollte, aber selbstverständlich der Schaffung eines großen und mächtigen Deutschlands durchaus entgegen war. Drittens auf die verhältnißmäßig geringe Tragweite des deutschen Erhebungsgedankens. Denn es muß gesagt werden, daß es nur ein Märchen ist, wenn geglaubt wird, die Flamme des Befreiungskrieges habe hingeschlagen über alles deutsche Land, wie sie der Meinung des Freiherrn von Stein zufolge hätte thun sollen und können. Sie that es aber nicht. In Oesterreich hatte, wie das eine durchaus natürliche Folge des von Franz und Metternich consequent eingehaltenen Mißregierungssystems war, der Widernapoleonismus nicht entfernt einen freiheitlichen und deutschnationalen Charakter, sondern einen ausgeprägt reaktionären, aristokratisch-absolutistischen und widerdeutschen. Aber auch abgesehen von Oesterreich, hatte die Bewegung nur das östliche und nördliche Deutschland ganz und voll ergriffen, während sie im südwestlichen nur sporadisch vorkam, nur einzelne Bekenner und Förderer hatte. Die rheinbündischen Fürsten waren fanatische Napoleonisten und blieben es, bis ihnen unter österreichischer Vermittelung ihre volle Souverainetät gewährleistet wurde und damit den nationalen Hoffnungen die Axt an die Wurzel gelegt war. Allerdings war der Wellenschlag des deutschen Gedankens stark genug, um auch in die höfischen Regionen hinaufzureichen, und es waren in diesen Kreisen z. B. der Kronprinz Wilhelm von Würtemberg im freisinnig-nationalen und der Kronprinz Ludwig von Baiern im mittelalterlich-romantischen Sinne davon erfaßt; aber bekannt ist auch, daß Beide ohne allen Einfluß auf das Verhalten ihrer Höfe gewesen sind. In Würtemberg war die größte Kraftäußerung des patriotischen Geistes von 1813 diese, daß ein, wohlverstanden noch nach dem Beitritte des Königs zur widernapoleonischen Allianz, im Local des Stuttgarter Lesevereins angeschlagener obrigkeitlicher Befehl, „nicht über Politik zu reden,“ herabgerissen wurde und zwar „ungestraft“. Wir wissen auch, daß besagter König, als die Nachricht eingegangen, daß Napoleon den unfähigen Wrede bei Hanau über den Haufen gerannt habe, sich zu einem Siegesbanket niedersetzte und unter Trompeten- und Paukenschall ein Hoch auf seinen „erhabenen Protector“ Napoleon ausbrachte.

Es ist eine schmerzliche Thatsache, daß der Empereur hauptsächlich durch den umfassend und eifrig geleisteten Gehorsam, welchen seine Befehle bei den Rheinbundsfürsten fanden, deren Truppen sich bis zum Herbst mit unbestrittener Tapferkeit für den Zwingherrn schlugen, in den Stand gesetzt war, im Frühlingsfeldzug von 1813 den verbündeten Preußen und Russen noch einmal den Meister zu zeigen und dadurch namentlich dem Kaiser Alexander die Ueberzeugung beizubringen, daß Rußland, Preußen und England mitsammen unvermögend wären, den Napoleonismus zu bewältigen. Die Folge hiervon war, daß man Oesterreichs Beistand um jeden Preis erkaufen zu müssen glaubte, und der Preis, welchen Oesterreich dafür forderte und bewilligt erhielt, ist wahrlich ein hoher gewesen. Der starre und zähe Kaiser Franz, in dessen Hand der frivole, bis zur letzten Faser entdeutschte Metternich nur ein schmiegsames, geschickt zugeschnittenes und wohleingeöltes Werkzeug war, ließ sich, also zum Meister der Situation geworden, durch seine Minister „von dem Bonaparte losmachen“, wie er es nannte. Denn er haßte, wie bekannt, seinen Herrn Schwiegersohn gründlich; aber durchaus nur darauf zielend, die gute Gelegenheit zu benutzen, um Oesterreich seine ehemalige Machtstellung zurückzuverschaffen, wollte er den Napoleonismus nur eingeschränkt und keineswegs vernichtet wissen. Erstens, weil ihm die napoleonische Macht als Gegengewicht gegen die russische dienlich schien; und zweitens, weil sich seinem Haß doch wieder ein geheimes Gefühl der Achtung, ja so zu sagen der Zärtlichkeit für den Vernichter der Revolution und schwiegersöhnlichen Meisterdespoten beimischte. Metternich, ein Staatsmann ohne alle Initiative und aller selbstständigen Ideen bar, aber ein Meister der Formen diplomatischer Spiegelfechterei, vollbrachte die ihm übertragene Arbeit, Oesterreich aus dem französischen Lager in’s verbündete hinüberzulootsen, mit Geschicklichkeit, wenn auch nur unter dem mächtigen Beistand der starren Hartnäckigkeit Napoleon’s. Er stellte zunächst den ersehnten Beitritt seines Kaisers zu ihrer Allianz den Verbündeten in Aussicht, aber unter zwei Grundbedingungen. Zum Ersten müßte in das ganze widernapoleonische Geschäft ein „correcterer Styl“ als der bisher eingehaltene gebracht werden. Von „Freiheit“, „deutschem Vaterland“, „Volksrechten“, „nationaler Verfassung“ und anderen dergleichen „Ungeheuerlichkeiten“ mehr, wie die „beklagenswerthe“ Proklamation von Kalisch sie „leider“ in Umlauf gebracht, müsse unbedingt Abstand genommen, jenes „gefährliche“ Manifest selbst für immer der Vergessenheit überwiesen, ferner jede Appellation an das Nationalgefühl der Massen vermieden, der mit Kundgebung „jakobinischer“ Grundsätze begonnene Krieg durchaus in die correcten Geleise eines „nüchternen Cabinetskrieges“ hinübergeleitet, jede Betheiligung der Völker an den öffentlichen Angelegenheiten, soweit sie nicht eine allerhöchst befohlene sei, energisch zurückgewiesen und dafür gesorgt werden, daß die unbequeme und verdammliche Hitze des „Freiheits- und Vaterlandsrausches“ unter dem Kühlapparat „reindynastischer Interessen“ unschädlich „verdampfe“. Zum Zweiten dürfe dem Empereur nicht zu Viel zugemuthet und müsse – wie das Oesterreich in seinen „maßvollen“ Friedensvorschlägen präcisiren werde – insbesondere zu dessen Gunsten auf die „Chimäre“ der vollständigen Befreiung eines „chimärischen“ Deutschlands von den Franzosen verzichtet werden. Diese Bedingungen und Bestimmungen gingen Rußland und Preußen ein, und darauf hin schloß Oesterreich mit ihnen den Reichenbacher Vertrag (27. Juni), kraft dessen es versprach, der widernapoleonischen Allianz beizutreten, falls Napoleon die Friedensvorschläge Oesterreichs verwerfen würde.

Er verwarf sie. In der That, er verwarf diese „maßvollen“ Friedensbedingungen, welche ihn im Grunde ganz als den gelassen hätten, der er war. Denn die Franz-Metternich-Politik wollte ihm ja alles Ernstes den Besitz von Frankreich, Italien, Belgien, Holland, der Schweiz, dem linken Rheinufer, Westphalen und dem Rheinbunde lassen, dessen Auflösung nur als „wünschbar“ bezeichnet wurde. Wundersam, aber sehr wahr: Deutschland hat nie einen grimmigeren Feind, aber auch nie einen besseren Freund wider Willen gehabt, als den Napoleon! Nicht allein deshalb, weil sein eiserner Zwingherrnbesen Berge von mittelalterlichem Unrath aus deutschen Landen weggefegt hat; auch nicht deshalb nur, weil seine Tyrannenfaust dem schlafenden Deutschthum so in die Seele griff, daß es endlich wieder erwachen mußte; sondern auch und ganz insbesondere deshalb, weil er in seinem Kaiserwahnsinn den elenden, undeutschen und widerdeutschen franz-metternichischen Frieden, welchen er im Juni zu Dresden, im August zu Prag, ja, wenigstens was die Hauptsache, d. h. die Fortdauer seines Kaiserthums betraf, noch im folgenden Jahre zu Chatillon hätte schließen können, hochmüthig verwarf.

Er that es, wie Jedermann weiß oder wissen könnte, zu Metternich’s tiefem Bedauern, und der österreichische Minister hat,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 666. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_666.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)