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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

 

Die Versöhnung mit dem Geiste, der ihm so angemessen jetzt in der alten Abtei lebt, mit dem Manne, der kein Verständniß für seine Zeit hat, wird durch seine Armuth und sein glückliches Familienleben bewirkt. Die Armuth dieses Königs im Exil, die uns auf jedem Schritte in Brombach mitleiderregend entgegentrat, stimmte uns wehmüthig. In dem wahrhaft imposanten Pferdestalle der ehemaligen Aebte standen zwei kleine unansehnliche Pferde und eine Kuh, in der Remise eine Kutsche, die keinerlei Anspruch auf Eleganz erheben durfte. Das war die Equipage der herzoglichen Familie. Die jüngsten Kinder wurden von einer Bonne in einem Kinderwäglein spazieren gefahren, wie es die bürgerlichen Mittelclassen zu besitzen pflegen. In dieser Art war Alles, was wir sahen. Uebrigens das Haus unheimlich öde. Die bewohnten Zimmer waren natürlich nicht für uns zugänglich, auch hatten wir keine Lust, sie zu betreten.

Wir hatten in Wertheim gehört, Dom Miguel sei im Bade in Mergentheim. Als wir in Brombach nach ihm fragten, lächelte der Einwohner, der uns Auskunft gab, mit den Worten: „Der kann in kein Bad gehen; er verreist nie, er bleibt Sommer und Winter hier.“

„Aber womit beschäftigt er sich denn das ganze Jahr lang?“ fragte ich von dieser Antwort schmerzlich berührt.

„Er geht viel auf die Jagd, die er leidenschaftlich liebt.“

„Aber er kann doch nicht immer auf die Jagd gehen? Er liest und schreibt wohl viel oder dictirt seinem Secretair, vielleicht seine Memoiren, die gewiß interessant werden dürften?“

Der Mann schüttelte mit dem Kopfe. „Davon hab’ ich nie gehört. Die herzogliche Familie gewährt sich selbst die beste und schönste Unterhaltung, denn ihre Glieder lieben sich einander sehr zärtlich.“

So ist Dom Miguel ein glücklicher Familienvater; wirklich wurde uns die Herzogin als eine vortreffliche und sehr liebenswürdige Dame geschildert, die an dem alternden Gatten mit großer Liebe hange und opferfreudig das Exil mit ihm theile. Sieben allerliebste Prinzessinnen sind dieser glücklichen Ehe bereits entsprungen und wachsen in der idyllischen Einsamkeit dieser Taubereinöde auf, ihrem, wie die Eltern der Sage nach hoffen, künftigen glänzenden Loose entgegen. Der Herzog soll die jugendliche Gattin und die blühende Kinderschaar mit der größten Zärtlichkeit lieben, in seiner ältesten Tochter die dereinstige legitime Königin von Portugal, in den anderen die Gemahlinnen europäischer Fürsten sehen. Fließt doch in ihren Adern reinstes Fürstenblut, und ist er doch überzeugt, daß der Absolutismus und die katholische Kirche wieder in schönsten Flor kommen werden. Der Mann lebt in einer merkwürdigen Selbsttäuschung, aber wie er nun einmal ist in seiner Totalität, ist er eine interessante poetische Erscheinung.

Die Geschichte hat über Dom Maria Evarist Miguel, Herzog von Braganza, zu Gericht gesessen und ihr strenges, jedenfalls gerechtes Urtheil über ihn gesprochen; später wird auch die Poesie ihre mildere Stimme über ihn abgeben, und vielleicht tragen dann diese Spalten der Gartenlaube dazu bei, daß ihr Urtheil freundlicher und versöhnender werde.



Vorlesungen über nützliche, verkannte und verleumdete Thiere.
Von Carl Vogt in Genf.
Nr. 9. Die Schrecken oder Geradflügler. Die Wanzen oder Halbflügler.
(Schluß.)
Die Schaben als Preußen, Russen und Schwaben – Der Ohrwurm – Die intelligenten Wanzen – Bett-, Koth-, und Kohlwanze – Anakreon und die Cicaden – Blattläuse – Die Blattläuse als Milchkühe der Ameisen – Schildläuse.

Was die Werren im Garten, das sind die Schaben, Kakerlaken oder Schwaben (Blatta) in den Häusern – häßliche, nächtliche, unheimliche Gesellen, mit haarigem, plattgedrücktem, seitlich zackigem Körper, langen Stachelbeinen und noch längeren dünnen Fühlhörnern, die sich Tags über in Winkel und Ritzen drücken, Nachts dagegen herumlaufen und Alles benagen, was nur irgend Nahrung bieten kann. In dem östlichen Europa namentlich geht ihre Zahl über alle Beschreibung – in Rußland besonders wimmeln nicht nur die Bauernhäuser und Kneipen, sondern die Gasthöfe und Edelsitze von diesen häßlich riechenden Thieren so sehr, daß mir Freunde erzählen, die Wände hätten ihnen in Gaststuben anfänglich aus gebuckeltem Nußbaumholz gebildet erschienen, bis sie sich überzeugt hätten, daß es nur Schaben gewesen seien, die eine an der andern unbeweglich die Wand tapezirten! Sonderbarer Weise schiebt denn auch ein Volksstamm dem andern die Einführung dieses Ungeziefers zu: die Russen nennen sie „Preußen“ und sind fest überzeugt, daß die germanische Race der slavischen durch Ueberlassung dieser Schmarotzer einen Schabernack hat anthun wollen – die biederen Tyroler, welchen die Glaubenseinheit so sehr an das Herz gewachsen ist, daß sie vor Allem den katholischen Glauben als Bedingung zur Berechtigung des Aufenthaltes in ihrem Lande verlangen, nennen sie „Russen“ und halten sie wahrscheinlich für geheime Sendlinge der ketzerischen, griechischen Propaganda – und die übrigen deutschen Volksstämme nennen sie „Schwaben“, als wenn die gemüthlichen Träger der Reichssturmfahne neben anderen Wohlthaten auch diese dem gemeinsamen deutschen Vaterlande erwiesen hätten.

Sonderbar ist die Fortpflanzungsweise dieser nächtlichen Nager, vor denen nichts sicher ist, selbst nicht einmal die Fußsohlen der Kranken, die wir aber vorzugsweise in Vorratskammern, in Bäckereien und Mehlhandlungen antreffen. Die Weibchen legen nicht große vielzahnige Eier, welche sie lange Zeit im After steckend mit sich herumtragen, wie es noch in einem neuesten Buche über die Naturgeschichte der keinen Feinde der Landwirtschaft heißt, das sonst vortreffliche Beobachtungen enthält – diese Anfangs gelben, später braunwerdenden, verhältnismäßig sehr großen Körper, welche das Weibchen mit sich herum trägt, sind Eihülsen, wahre Cocons, mit lederartiger Hülle, welche erst im Inneren 30 und 40 Eier enthalten.

Wo sie sich einmal eingenistet haben, ist ihre Vertilgung schwer – sonst aber kann man sie sich durch häufiges Waschen der Stubenböden und Ecken mit heißem Wasser, durch Schwefeldampf, durch mit Arsenik vergiftetes Mehl oder Zwieback und durch Kälte in den Räumen leicht vom Leibe halten. Letzteres Mittel besonders wirkt vortrefflich; denn trotz ihrer Verbreitung im Norden scheuen die Schaben nichts mehr als Luft und Kälte. Offenstehen von Thüren und Fenstern durch einige kalte Winternächte tödtet sie ebenso sicher, wie die Stubenfliegen.

Ich darf den Ohrwurm oder Ohrgrübler (Forficula auricularia) nicht vergessen. Wer jemals die prächtige Schlingpflanze mit dunkelblauen Glocken, welche die Botaniker Cobaea scandens nennen, gepflanzt und gezogen hat, der wird sich auch des Aergers erinnern, welchen ihm die Ohrwürmer gemacht haben. Zu Hunderten sitzen sie in den Glocken, fressen sie durch, speisen die Blätter – kurz, gebehrden sich, als sei die Cobaea ihr Lieblingsgericht. Außerdem aber gehen sie auch nächtlicher Weile an Früchte, an die Blumenblätter der Rosen, Dahlien und Nelken, und im Nothfalle an die meisten krautartigen, saftigen Blumenpflanzen, wie Petunien. Tags über bergen sie sich in Ritzen und Löchern, und mag es wohl auch einigemal geschehen sein, daß ein Ohrwurm einem im Grase Schlafenden in das Ohr oder die Nase kroch – gewiß nur, um einen Schlupfwinkel zu finden. Das Gekrabbel im Ohre soll eine höchst unangenehme Empfindung sein, doch ist es in solchem Falle leicht, sich von dem Eindringling zu befreien, indem man einige Tropfen Oel in das Ohr träufelt, die auf den Ohrwurm ganz dieselbe Wirkung äußern, wie auf die Werre. Man fängt indessen die Ohrwürmer sehr leicht, indem man hohle Hörner oder Klauen von Schafen und Kühen an die Spaliere hängt. Sie verkriechen sich darin vorzugsweise gern.

Die Wanzen oder Halbflügler. (Hemiptera.)

Ein Schnabel, meist gegliedert, fest, rund, röhrig, der meist gegen die Brust hin eingeklappt werden und sehr empfindlich stechen kann – vier Flügel, die bald gleichmäßig geadert und durchsichtig,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 685. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_685.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)