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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

zwei besten Freunde neben mir fielen, und so laut ich auch mein Drauf! und Vorwärts! brüllte, der Kanonendonner brüllte doch noch viel lauter. Aber dreingeschlagen habe ich mit dem Flintenkolben ohne Barmherzigkeit, und erst als wir unter den saubern Franzosen ordentlich aufgeräumt hatten, kam ich wieder zur Besinnung. ’s hat Mancher unter meinem Kolben bluten müssen, aber – lieber Herr – meine beiden Freunde sind doch drum todt geblieben!“

Die öffentliche Festfeier begann am Sonntag Mittag um 12 Uhr, durch eine große Gesangsaufführung auf dem Marktplatze. Tausende von Zuhörern füllten den weiten Platz und die angrenzenden Straßen, doch hatte man unmittelbar vor der Sängertribüne für die Veteranen und für die Vertreter der Städte genügenden Raum vorbehalten. Ein für das Fest von dem Capellmeister E. Reinecke in Musik gesetztes Te Deum, von etwa 200 Sängern vorgetragen, machte den Anfang, und diesem folgte, nachdem die Damen sämmtlicher gemischten Gesangvereine die Tribüne betreten hatten, das Hallelujah aus Händel’s „Messias“. Einen wahrhaft erhebenden Eindruck machten diese mächtigen Chöre, ebenso wie der von Nägeli 1813 componirte Arndt’sche Lobgesang, woran sich unmittelbar der Choral „Nun danket alle Gott“ anschloß, der von dem gesammten Publicum mit angestimmt wurde.




Das Dienstmann-Institut.

Wir lenken heute die Aufmerksamkeit unserer Leser einem der neuesten Institute zu, das wir als einen bedeutenden Fortschritt in der sich immer mehr vervollkommnenden Organisation des großen Verkehrswesens begrüßen müssen: das Dienstmann-Institut.

Um den Segen einer Einrichtung recht zu würdigen, muß man sie genossen haben und dann plötzlich wieder entbehren. Die Dienstmann-Institute lassen diese Probe noch zu, da von den 3500 deutschen Städten noch lange nicht 200 sich ihrer Einführung erfreuen. Der Geschäftsmann, der aus einer Stadt mit einem wohlgeleiteten derartigen Institut in eine Stadt ohne ein solches kommt, empfindet annähernd das Gefühl, das über uns Alle hereinbrechen würde, wenn plötzlich alle Eisenbahnen und Telegraphen wieder verschwunden wären und alle alten Landkutschen und Postwagen, Frachtkarren und Staffetenreiter wieder in Bewegung gesetzt werden müßten. Und wer abseits von Bahnschienen und Telegraphendrähten wohnt, der denke sich den Zustand, wenn plötzlich Alles, was Glas ist, davon wäre, aus Schränken, Küchen und Fenstern, dann wird auch ihm das richtige betreffende Entbehrungsgefühl klar werden.

Allerdings vorzugsweise für große, volk- und betriebreiche Städte eine Wohlthat der neuern Zeit, haben diese Dienstmanns- oder Packträger-Institute nach mehr als einer Richtung zugleich eine volkswirtschaftliche Bedeutung. Wer an die ehemaligen selbstständigen Lohnboten, Kärrner, Schiebeböcker und Eckensteher zurückdenkt, wird zugeben müssen, daß die Art von Freiheit der Bewegung, welche zwischen ihnen und dem Publicum statt hatte, weder für dieses, noch für jene ersprießlich war. Es wurde zwischen beiden ein fortwährender Kleinkrieg geführt, der auf gegenseitige Ueberlistung, Ueberrumpelung, Uebervortheilung hinzielte. Dem Publicum war keinerlei Garantie für die Zuverlässigkeit solcher Diener geboten, und letztere selbst entbehrten ebenso die bestimmte Aussicht auf regelmäßigen Erwerb. Von dort drückte das Mißtrauen auf eine ganze große Classe von Arbeitern, und in diesen setzte sich eine Gehässigkeit gegen jeden bessern Rock fest und bildete sich eine renommistische Verachtung jedes Besitzes aus. „Wie gewonnen, so zerronnen“ – „Von der Hand in den Mund“ – das waren Lebensregeln in dem Kreise.

Unter diesen Verhältnissen litt der momentane Arbeitgeber so sehr, wie der momentane Arbeiter. Uebereinstimmend war nur, daß man gegenseitig sobald als möglich von einander loszukommen suchte. Jener trug lieber eine schwerere Kostenlast, wenn nur der Auftrag vollzogen war, und was hatte dieser für Vortheil von dem einzelnen höher erschwindelten Preis? Fragt die Destillationen, fragt die dickhälsigen „Carolinen“ in der Tasche des dienstbaren Mannes. Bis zu dem Geldbeutelchen eines Familienschreins, oder bis zur Hausfrau ist in der Regel blitzwenig davon gekommen.

So mochte das Bedürfniß Jahre lang nach einer Form geforscht haben, wie dieser täglich drückenderen Verkehrsnoth abzuhelfen sei. Einen Anfang zu einer Besserung erkennt man zuerst an Orten von bedeutendem Fremdenzusammenfluß; dort hat man wenigstens das Führerwesen obrigkeitlich zu ordnen und zu überwachen angefangen, um die Fremden vor Unverschämtheiten und Uebervortheilungen der Straßenspeculation zu wahren. Der große Geschäftsverkehr entzog sich jedoch absichtlich der obrigkeitlichen Fürsorge und litt lieber noch länger am alten Uebel, bis endlich die rechte Form auf anderen Lebensgebieten hervortrat und nun auch für unsern betreffenden Fall angewendet werden konnte.

Es mußte nämlich erst der große Wurf gelingen, sogar in Deutschland der Anschauung Anhang zu verschaffen, daß mit vereinten Kräften mehr auszurichten sei, als die einzelne Kraft leisten könne. Englands sprechende Beispiele brachten endlich auch bei uns die Association zu Ehren, und als eines ihrer gelungensten Kinder trat das erste Dienstmann-Institut in’s Leben, das folgenden grundsätzlichen Einrichtungen huldigte: 1. fester, bestimmter Lohn für die Arbeiter, 2. gute, nicht allzustrenge, aber ein richtiges Maß von Disciplin schaffende Instructionen, 3. ein fester, jede Willkür abschneidender Tarif, und 4. unbedingt festzuhaltende Controle durch sogenannte Garantiemarken. Ein solches, unter ebenso energischer als redlicher Leitung stehendes Institut ist für den Verkehr in und außer dem Hause, wie bereits bemerkt, eine große, eine unschätzbare öffentliche Wohlthat.

Der Arbeitgeber wendet sich jetzt an den Arbeiter als an das Mitglied einer öffentlichen Verkehrsanstalt, kann daher von ihm verlangen, daß er streng nach Instruction und Tarif handle. Seine Aufträge werden pünktlich und zuverlässig besorgt, die Kosten sind der Arbeitsleistung entsprechend festgestellt und nicht wie früher der Willkür des Einzelnen überlassen. Uebertritt der Dienstmann seine Instruction oder läßt er sich sonst ein Vergehen zu Schulden kommen, so erfolgt eine ernste Rüge, nach Befinden Entlassung; kurz der Auftraggeber weiß, er hat in dem Dienstmann einen Arbeiter vor sich, dem er Alles anvertrauen kann, denn selbst in dem Falle, daß er in irgend einer Beziehung durch einen Dienstmann zu Schaden gekommen sei, bürgt die sicherste Garantie für den Verlust.

Daß durch solche Institute der Verkehr erleichtert und in Folge dessen auch gehoben wird, wer sollte das leugnen? Ein billiger, jede Eigenmächtigkeit ausschließender Tarif macht den Dienstmann überall und zu jeder Zeit zum gesuchtesten Arbeiter; er schafft ihm allerwegen Beschäftigung und viele neue Arbeit, die es früher gar nicht für ihn gab. Der Dienstmann ist ein unentbehrlicher Helfer bei allen möglichen Bedürfnissen; er ist Bote, Aufwärter, Transporteur, Krankenwärter, Billeteur, Kutscher, Feuerlöschgehülfe etc.; er ist, wenn es sein muß, der zarteste postillon d’amour; im eleganten Uniformfrack dient er als Tafelgehülfe, Diener, Kellner, Portier etc.; er trägt nicht blos Holz und Kohlen, sondern sagt uns auch, ob die empfangene und bezahlte Waare richtig gemessen war; kurz er führt jeden ehrbaren Auftrag schnell, billig und sicher aus, ist ein steter Helfer und Unterstützer in allen möglichen Geschäften und Vorkommnissen des täglichen Lebens, bei Tag wie bei Nacht zu allerlei schweren oder leichten Dienstleistungen bereit und somit für Alle und Jeden, für Private und Behörden das personificirte, unentbehrliche perpetuum mobile des öffentlichen Verkehrs.

Solcher Weise bieten die Dienstmann-Institute für Arbeiter, Arbeitgeber und den Verkehr im Allgemeinen die unschätzbarsten Vortheile und sind demnach in socialer wie in volkswirtschaftlicher Beziehung von größter Bedeutung.

Das Verdienst der ersten Begründung eins solchen Instituts gebührt dem Bromberger Kaufmann Eduard Berger, der leider durch frühen Tod ereilt ward und die Früchte seines schaffenden Geistes nicht reifen sah. Seitdem sind fast in allen größeren Städten Deutschlands solche Institute entstanden. Als eins der vorzüglichsten Dienstmann-Institute, welches wegen seiner eben so das Wohl der Arbeiter bezweckenden Thätigkeit, wie die mancherlei Bedürfnisse des öffentlichen Verkehrs in umfassendster Weise befriedigenden

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 715. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_715.jpg&oldid=- (Version vom 23.12.2022)