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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

daß ich ihr Gesicht nicht weiter sehen sollte. Und dabei hatte er sich geschwind zusammengenommen. Schloß Hawichhorst? fragte er, als wenn er in seinem Leben noch nichts von dem Schlosse gehört hätte. Und wer bewohnt es? Ich nannte ihm den Namen der Frau Mama. Ich meinte doch, er sei noch einmal weiß im Gesichte geworden. Die Frau hörte ich schwer aufseufzen, als wenn sie keinen Athem mehr bekommen könne. Er war aber ruhig geblieben und fragte mich, wer Sie seien, Mamsell, und wer sonst im Schlosse wohne. Es war mir aber so ängstlich geworden, und ich mußte fort, um Ihnen die Sache zu erzählen.“

Die Tante war ängstlicher geworden, als die Magd. Wer konnte erschrecken bei dem Namen des Schlosses Hawichhorst, bei dem Namen der Familie, die es bewohnte? Sie konnte nur an einen einzigen Menschen denken, und ein Schauder durchzuckte sie, als sie an ihn dachte. Aber die alte Christine hatte ihr noch mehr mitzutheilen.

„Und wie ich in den Gang kam, Mamsell, da kam erst recht die Angst über mich. Der Freiherr Max vertrat mir auf einmal den Weg. Er hatte gehorcht. „Was für Leute sind in dem Zimmer?“ fragte er mich.

„Ich kenne sie nicht, Euer Gnaden.“

„Du kommst von ihnen. Du mußt es wissen.“

„Es sind Franzosen,“ sagte ich. „Ich hatte ihm vorher, als ich ihn in sein Zimmer zurückbrachte, gesagt, das Schießen da hinten am Walde komme von den Franzosen; die müßten abziehen, und nun machten sie sich noch ein Plaisir, indem sie da alle Edelleute der Nachbarschaft todtschössen. Er möge sich nur ja fest in seiner Stube verschließen, damit sie ihn nicht auch holten. Das hatte geholfen; er verschloß sich in seine Stube, und ich dachte jetzt, es würde wieder helfen, wenn ich ihm sagte, daß Franzosen da seien. Aber es half nicht.

„Du lügst,“ sagte er, „ich habe sie Deutsch sprechen hören.“

„Euer Gnaden,“ erwiderte ich ihm, „es giebt auch Franzosen, die Deutsch sprechen.“

Und nun hatte ich Oel in’s Feuer gegossen. Es war ihm auf einmal ein Gedanke gekommen.

„So, so?“ sagte er. „Also Franzosen? Und da hinten im Thurme ist der preußische Officier. Ja, ja, Christine, erschrick nur nicht; es hilft Dir nichts; und leugnen hilft Euch auch nichts, Dir nicht und Deiner Mamsell Therese. Ich habe die Uniform in der vorigen Nacht gesehen, im klaren Mondscheine. Und ich kenne die preußische Uniform. Und Franzosen sind hier, sagst Du? Höre, Christine, die Preußen haben uns auch nicht gut gethan, hier in Westphalen, als sie vor zehn Jahren ins Land kamen. Das war ein Hochmuth und ein Dickthun und ein Besserwissen, und es war doch nichts, als ein pauvrer Adel von gestern oder vorgestern, der keine anderthalb Ahnen hatte. Der alte Blücher soll der einzige anständige Mensch unter ihnen gewesen sein. – Aber was ich sagen wollte, Christine, wenn in dem Zimmer Franzosen sind, dann muß ich wahrhaftig zu ihnen, um ihnen zu sagen, daß in dem Thurmzimmerchen ein Preuße steckt.“

Und damit wollte er an mir vorüber. Ich war so erschrocken, daß ich am ganzen Leibe zitterte. In meiner Angst wußte ich anfangs nur ein Mittel, ihn zu halten. Aber ich wagte es doch nicht, es war Ihr Geheimniß, Mamsell, daß der Freiherr Adalbert, sein Neffe, in dem Thurmstübchen sei, und wer wußte, wer der fremde Herr war, der mir mit seinem Erschrecken so zweideutig vorkam? Ich griff zu einem anderen Mittel, und das glückte.

„Euer Gnaden,“ sagte ich. „Ich schicke die Mamsell Therese zu Ihnen. Die weiß, wer der fremde Officier ist, und sie wollte schon zu Ihnen kommen, um Sie über ihn um Rath zu fragen. Sie ist in Verlegenheit; da sollen Sie ihr helfen.“

Das that ihm gut. Er ging in sein Zimmer und versprach mir, darin zu warten, bis Sie zu ihm kämen.“

„Und was sage ich ihm?“ fragte sich die Tante.

Aber sie hatten die steile Treppe des Thurmes erstiegen, und standen vor der Thür des kleinen Zimmers, in welchem der Verwundete lag. Dieser durfte von den Mittheilungen der Magd nichts erfahren. Die Tante mußte zudem eilen, um zu dem Irren zu kommen, sie öffnete also die Thür und teilte dem Verwundeten den Zweck ihres Kommens mit. Sie und die alte Christine hoben eine Diele in dem Fußboden des Stübchens auf, ließen durch die Oeffnung den Korb mit den Gold- und Silbersachen in einen dunklen Raum hinein, der darunter verborgen war, fügten die Diele wieder ein, und kehrten auf dem Wege zurück, auf dem sie gekommen waren. Alle Thüren wurden wohl verschlossen, die Schlüssel nahm die Tante zu sich.

Es war Alles eilig geschehen, und ebenso eilig wollte die Tante zu dem Irren. Es war zu spät. Das Unglück hatte schon angefangen über sie hereinzubrechen.

„Der Verwalter ist zurück,“ sagte die Großmutter zu der Tante, als diese in das Wohnzimmer zurückkam. „Er kam vor zehn Minuten an.“

Die Tante hatte oben in dem Thurme seine Ankunft nicht hören können. „Was für Nachrichten bringt er?“ fragte sie.

„Wie es scheint, gute. Die Preußen sollen die Franzosen geschlagen haben und sie jetzt nach der anderen Seite des Waldes hin zurücktreiben. So haben die Leute gesagt.“

Die Tante setzte leichteren Herzens ihren Weg zu dem Wahnsinnigen fort. Aber wie bald sollte es ihr wieder schwer werden. Schon in der Halle, am Fuße der Wendeltreppe, begegnete ihr der Verwalter. Er kam von oben. Dort, in dem Seitengange, gegenüber dem Zimmer des schwachsinnigen Freiherrn Max, befand sich die Rentstube mit der Casse. Er war sofort nach seiner Rückkehr dahin geeilt, um die Rettung der Casse auf alle Fälle vorzubereiten. Daß die Preußen gesiegt hätten, war nur ein Gerücht, es konnte auch anders gekommen sein oder noch kommen, auch trotzdem, daß man seit einiger Zeit kein Schießen mehr gehört hatte. Der Verwalter kam der Tante mit verstörtem Gesichte entgegen.

„Was ist vorgefallen, Herr Buschmann?“ rief sie.

„Mamsell, wissen Sie, wen Sie im Hause haben?“

„Und wen?“

„Den Gensd’armerie-Commandanten – den Mörder Ihres Bruders – Fritz!“

Meine Tante hatte es geahnt; sie hatte nicht daran denken wollen. Bei der Nachricht drohte sie zusammenzusinken.

„Woher wissen Sie es?“

„Ich kenne ihn, denn ich habe ihn oft in der Stadt gesehen. Ich sah ihn da oben wieder. Und, Mamsell Therese, Sie haben noch Jemanden im Hause aufgenommen, einen preußischen Officier.“

„Mein Gott, woher wissen Sie das?“

„Aus dem Munde des Freiherrn Max. Als ich in der Rentstube war, hörte ich im Gange gehen. Ich dachte mir, daß es der Fremde sei, von dessen Ankunft mir Christian erzählt hatte. Der Schritt des Freiherrn Max war es nicht. Dieser mußte aber ebenfalls das Gehen vernommen haben, seine Thür öffnete sich, und ich hörte ihn im Gange mit Jemandem sprechen. Und was ich hörte, erfüllte mich mit Schrecken.

„Sie sind Franzose, mein Herr?“ sagte der Freiherr.

„Ich, mein Herr?“ wurde ihm geantwortet.

„Ja, ja, ich weiß es, und will Ihnen etwas sagen. Sehen Sie die Thüre da hinten?“

„Ich sehe eine Thür.“

„Die führt zu dem Thurmstübchen, und in dem Stübchen ist ein verwundeter preußischer Officier, er trägt den Kopf verbunden und eine Binde um den Arm –“

Weiter ließ ich ihn nicht reden. Ich wußte nicht, mit wem er sprach; aber eine schwere Ahnung ergriff mich, wer der preußische Officier sein könne. Ich ließ Alles liegen und eilte in den Gang. Da sah ich auch, wer es war, mit dem der Freiherr redete, und ein doppeltes Entsetzen ergriff mich. Sollte der Mörder, der vor mir stand, hier noch einmal zum Mörder werden? Und an wem, wenn meine Ahnung richtig war?

„Freiherr Max,“ sagte ich strenge zu dem Schwachsinnigen, „gehen Sie im Augenblick auf Ihr Zimmer, und verlassen Sie es nicht wieder.“

Er gehorchte ohne Widerrede, wie ein Kind, das ein böses Gewissen hat. Ich wandte mich dann an den Fremden.

„Mein Herr, ein Irrsinniger sprach mit Ihnen. Sie werden danach die Bedeutung seiner Worte ermessen. Hier im Hause ist kein anderer Fremder, als Sie mit Ihrer Familie.“

„Ich bin Ihnen für Ihre Auskunft verbunden,“ antwortete er höflich.

Er kehrte in sein Zimmer zurück. Ich ordnete schleunig meine Sachen in der Rentstube, um zu Ihnen zu eilen. – Mamsell Therese, ist ein verwundeter preußischer Officier in dem Thurmstübchen?“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 722. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_722.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)