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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

und war dann auf dem Bauernwagen einen Tag und fast eine Nacht gefahren. Die Ereignisse im Schloß Hawichhorst hatten ihn vom ersten bis zum letzten Momente in beinahe ununterbrochener Aufregung erhalten. Das hatte seine Kraft zuletzt brechen müssen.

Die Tante Therese rieb ihm die Stirn und die Schläfen mit Wasser, mit Essig, mit Essenzen; sie hatte schon früher Alles für die Pflege des Kranken hingebracht. Er kam wieder zu sich und schlug die Augen auf; aber er fiel in einen Schlummer der völligen Erschöpfung.

„Es geht nicht,“ sagte der Verwalter, „wenigstens nicht in der ersten Viertelstunde. So lange muß er ruhig schlafen.“

„Und dann?“ fragte die Tante.

„Wollen wir hoffen, daß der Schlaf ihm neue Kräfte gebracht hat.“

„Wenn es nicht zu spät sein wird!“

„Fürchten wir das nicht. Bereiten wir uns vielmehr vor. Ich werde nach unten sehen, um mich umzuschauen, was es dort giebt, wie wir danach weiter zu verfahren haben. Legen Sie unterdeß Alles für die sofortige Flucht zurecht.“

Er ging, und die Tante legte zurecht, was für die schleunigste Flucht erforderlich war. Sie war bald fertig und setzte sich dann an das Bett des Schlummernden, der ruhig schlief. Auch meine Tante faltete die Hände. Sie war fromm und gottesfürchtig, sie hob die Augen gen Himmel und betete: „O du lieber Gott im Himmel, erhalte ihn mir. Laß es gnädig an uns vorübergehen.“

Man hörte, wie draußen das große Einfahrtsthor geöffnet wurde, wie die Franzosen in den Hof ritten. Aus dem Hofe kamen sie in das Haus. Das Geräusch drang aus der Halle bis in die Thurmstube empor, dann hörte man aber in dem entlegenen Stübchen nichts mehr, und es blieb abermals still, tief still. Der Verwundete schlummerte fort. Die Tante saß noch an seinem Bett, als der Verwalter zurückkehrte. Sein Gesicht zeigte Ruhe.

„Das Schloß können wir nicht verlassen,“ sagte er.

„Warum nicht?“

„Es ist auf allen Seiten strenge von den Franzosen eingeschlossen. Ich suchte vergebens hinauszukommen. Sie scheinen einen Ueberfall und ein Eindringen der Preußen in das Haus zu befürchten.“

„Und warum das?“

„Der Besitz des Hauses giebt große Vortheile für einen Kampf, und der Kampf muß sich jedenfalls morgen erneuern.“

„Sie sagen das Alles so ruhig, Herr Buschmann?“

„Ich bringe zwei andere gute Nachrichten.“

„Theilen Sie sie mit.“

„Der verwundete französische Officier ist der Sohn des obersten der Carabiniers. Er ist in der Brust schwer verwundet, und der Vater ist außer sich vor Angst und Schmerz. Darum wurde so besonders dringend der Einlaß in das Schloß begehrt. Ihr Bruder Franz ließ sofort den Verwundeten in sein eigenes Zimmer, in sein Bett bringen. Er sorgte dann für alle möglichen Bequemlichkeiten[1] und legte selbst mit Hand an, wo er konnte. Die Sorge und Aufmerksamkeit haben den Obersten gerührt. Er hatte erfahren, wo er war, in dem Hause des vor zwei Jahren von den Franzosen erschossenen jungen Advocaten. Es hatte ihn tief ergriffen. Sagen Sie den Ihrigen, hatte er zu Franz gesagt, daß ich keinen Theil an jenem Ereignisse hatte; der Verrath eines deutschen Edelmannes hat den Unglücklichen dem Tode zugeführt.“

„Es ist eine hoffnungsreiche Nachricht, die Sie da bringen,“ athmete die Tante Therese auf. „Und die zweite?“

„Ihre Frau Mutter hat die Frau jenes Verräthers bei dem Leben ihrer Kinder beschworen, ihren Gatten vor einem zweiten Morde zu bewahren. Sie hat sie dafür mit verantwortlich gemacht. Die erschütterte Frau wird Alles aufbieten. Sollte der Elende dennoch den zweiten Mord begehen wollen, würde jetzt, könnte der Oberst die Hand dazu bieten? Und er allein commandirt im Schlosse.“

Die Tante wollte ruhig werden, wie der Verwalter es war. Der verwundete Freiherr erwachte. Aber der Schlaf hatte ihm keine neuen Kräfte gegeben, er schlug matt die Augen auf und bat mit schwacher Stimme um einen Trunk Wasser, welchen ihm die Tante reichte.

„Ich kann nicht fort, Therese!“ sagte er dann. „Laß mich hier bei Dir sterben. Ich wollte es ja.“

Es war die völlige Resignation der tiefsten Erschöpfung.

„Du wirst nicht sterben,“ erwiderte ihm die Tante. „Du wirst genesen und leben.“

Sie theilte ihm die Nachrichten des Verwalters mit, die ihn wieder belebten und ihm doch wieder Kraft, und mit der Kraft wieder Muth gaben.

Draußen in dem Gange vor dem Thurmstübchen wurden Stimmen laut. Es war in dem schmalen, dunklen Gange, in den man auf der Wendeltreppe von der Halle aus gelangte, an dem die Zimmer lagen, in welche der Commandant der französischen Gensd’armerie mit seiner Familie aufgenommen war, und an dessen Seite der schwachsinnige Freiherr Max sein Wohnzimmer hatte. Die Stimme des Schwachsinnigen wurde zuerst vernommen.

„Dort ist er, dort, meine Herren!“ rief er eifrig und geschäftig. Er sprach zu Mehreren.

„Es ist so!“ fügte die Stimme des Gensd’armerieofficiers in französischer Sprache hinzu.

„So holen wir die Befehle des Obersten ein!“ sagte eine dritte Stimme. Sie war eine fremde und sprach gleichfalls französisch.

Schritte entfernten sich in dem Gange; sie gingen der Wendeltreppe zu, diese hinunter. Aber nur der Gensd’armerieofficier und der Fremde mußten die Treppe hinuntergegangen sein. Die Thür des Schwachsinnigen wurde auf- und wieder zugemacht. Er war in sein Zimmer gegangen.

„Was war das? Wären wir doch verrathen?“

Die Gefahr war wieder da; sie wuchs. Da war auch der klare Muth der Tante Therese wieder da.

„Ich muß wissen, was es war. War es Verrath, so muß ich ihm zuvorkommen. Der Oberst, der jene Worte meiner Mutter sagen ließ, kann nicht das Werkzeug des elenden Verräthers werden. Er allein hat hier zu befehlen. Ich werde zu ihm dringen, an das Lager seines verwundeten Sohnes. Würde er da widerstehen können? Und wenn doch Adalbert, Du fühlst Dich wieder kräftig – ich sehe es Dir an.“

„Ich fühle mich wieder kräftig, Therese!“ Der Verwundete richtete sich auf, zum Zeichen, daß er wahr spreche.

„Wohlan, Buschmann, so machen Sie Alles zur sofortigen Flucht fertig. Aber verlassen Sie dieses Stübchen nicht eher, als bis ich wieder da bin. Wir müssen zusammen bleiben, Adalbert, zusammen leben oder sterben.“

Sie verließ das Gemach durch die Thür, die in den schmalen dunklen Gaug führte. Der Verwalter schloß hinter ihr zu. Sie ging in das Zimmer des Schwachsinnigen.

„Freiherr Max, mit wem sprachen Sie im Gange?“

Ihr Gesicht war strenge, befehlend; es lag eine furchtbare, eine Entschlossenheit zum Aeußersten dann. Der Irre erschrak vor ihr, aber wie ein Kind. Er antwortete gehorsam.

„Mit dem Fremden, Mamsell Therese, den Sie in die Zimmer meines Bruders einquartiert haben.“

„Und mit wem noch?“

„Es war ein Officier von den Franzosen da unten; ich glaube, der Adjutant des Obersten.“

„Und über wen sprachen Sie?“

„Nun, über den preußischen Officier, den Sie in das Thurmstübchen einquartiert haben.“

„Sie haben ihn den Franzosen verrathen?“

„Ich, ich, Mamsell Therese? Der Fremde hat ihn verrathen. Ich zeigte ihnen nur die Thür des Thurmstübchens. Ich hatte Alles gehört, und, Mamsell Therese, diese Preußen haben sich hier in Westphalen nicht gut benommen.“

„Freiherr Max,“ sagte meine Tante, „wenn die Franzosen den preußischen Officier finden, wissen Sie, was mit ihm geschieht?“

„Nun?“

„Sie erschießen ihn.“

„Ah! Aber warum ist er preußischer Officier?“

„Und, Freiherr Max, wissen Sie, wer dieser preußische Officier ist?“

„Nun? nun?“

„Es ist Ihr Neffe, der Freiherr Adalbert. Ihn haben Sie den Franzosen verrathen.“

„Ah, mein eigener Neffe? Der künftige Herr? Auch mein Herr! Der Reichsfreiherr!“

Der Irre lachte lustig, indem er die Worte sprach. Gott

  1. WS: Im Original Bequemlichlichkeiten
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 738. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_738.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)