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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Weihnachten und St. Kilian im erwähnten schimpflichen Aufzuge in den Dom gehen, vor den Domherren niederfallen und die Züchtigung von ihnen heischen. Wiederverheirathung nach dem Tode ihrer Frauen wurde verboten. – Es kam natürlich ganz allein auf die Herren selbst an, was sie von den ihnen auferlegten Strafen ausführen wollten und was nicht.

Das Volk war gerechter als der Papst. Als Junker Bodo, nach Jahren in die Heimath zurückgekehrt, die Rabensburg wieder aufzubauen begann, wozu König Otto nicht nur die Erlaubniß, sondern auch die Handfrohn der benachbarten Gemeinde Veitshöchheim bewilligt hatte, war Jedermann gegen ihn und die Seinen. Verarmt mußten die Rabensburger den verhaßten, fluchbeladenen Namen ablegen und als gewöhnliche Ritter von Reinstein aus dem nicht mehr zu behauptenden Dynastenstande treten. Die Burgruine kam in Besitz des Stephansklosters in Würzburg.

Die Falkenbeger erlangten erst nach zweihundert Jahren, unter dem berüchtigten Bischof Johann II. von Würzburg (1411–1440), einem echten Junker, dem für Geld Alles feil war, die äußere Ehre wieder.

Bischof Konrad prangt aber in der Geschichte mit Recht als fränkischer Brutus. Doch seinen Dichter hat er bis heute noch nicht gefunden.




Bilder aus der kaufmännischen Welt.

Nr. 1. Ein Londoner Auctionshaus.

Ich saß im Lesezimmer bei Wylde, das jeder Deutsche kennt, welcher, freiwillig oder unfreiwillig, längere Zeit in London gehaust hat. Hier am Ostende des Squares, dem Centrum des Fremden-, insbesondere des französischen und italienischen Viertels, hatte ich mir mit einem Freunde am britischen Museum ein Rendez-vous gegeben, um mit ihm von der eleganten Hungerfordkettenbrücke aus nach einer heitern gastlichen Villa am Themseufer von Putney zu dampfen. Doch halbe Stunde auf halbe Stunde verrann, ohne daß mein Gefährte erschien.

Schon hatte ich alle möglichen Zeitschriften von jeder erdenklichen Tendenz und Farbe durchstöbert, deren ich habhaft werden konnte, da griff ich aus purer Verzweiflung zu einem Blatte, das hier sehr unbeachtet auf einem Seitentische vegetirte. Wohl hatte es sich mir gar manchmal schon in den Weg gedrängt, wenn ich nach anderen Journalen suchte, immer aber war’s wie ein unebenbürtiger Gesell wieder bei Seite geschoben worden, ohne daß ich es nur eines einzigen Blickes gewürdigt hätte. Es war die „Daily Commercial List“ (die tägliche Handelsliste). Gott im Himmel, was hatte ich mit der zu schaffen? Die Gesammtsumme der Verkäufe, die ich noch in London realisirt, beschränkte sich auf die Veräußerung eines bereits im Zustande arger Offenherzigkeit aus Deutschland importirten Schlafrockes und eines in allen Farben schillernden total formlosen Calabresers, die ich eines Tages an den betriebsamen Sohn Abrahams verhandelt hatte, welcher jeden Morgen sein „Alte Kleider!“ in meiner Straße ertönen ließ, und mit meinen Käufen, – nun da hatte es auch seine eigene Bewandniß.

Heute aber guckte ich aus Aerger und Langeweile wirklich in die Daily Commercial List hinein; doch klug konnte ich aus dem Galimathias nicht werden, der mir darin gedruckt schien. Da sollten Dinge unter den Hammer kommen, von denen ich in meinem ganzen Leben noch nie gehört hatte – und die mir auch heute zum Theil noch einigermaßen unbekannte Größen sind. Der Eine bot „vierzig Ballen Bucha-Blätter“ aus, ein anderes Haus wünschte sich von „42 Bündeln Piassava“ zu befreien, und erst als mir unter diesen Fabelwesen auch die Namen von bekannteren Handelsartikeln auftauchten, gewann ich die Ueberzeugung, daß ich nicht zufällig einen Auctionskatalog aus dem Monde erwischt hatte. Aber die ungeheuerlichen Zahlen, in denen sich die Liste erging, machte mich von Neuem stutzig. Ich las von 7179 Kisten Thee, von 34,000 Schafhäuten vom Cap, von 28,374 Smyrnaer dito, von 16,000 Lammfellen von Buenos Ayres, von 40,000 Bambusrohren, von 500 Ballen Lumpen, von 1500 Kisten Havanna-Zucker, von 4000 Säcken Reis, von 500 Fässern Palmöl und 400 Tonnen Talg, von 50 Tonnen Elfenbein und 3 Tonnen Walroßzähnen – und, wohlgemerkt, das Alles sollte an einem Tage, morgen am 3. Juli, und in einem Hause, den sogenannten London Commercial Sale Rooms (den Londoner Handels- Auctionszimmern) in Mincing Lane, den Meistbietenden zugeschlagen werden! Der Palast jenes morgenländischen Prinzen, den ein flottes Pferd erst in sieben Tagen und sieben Nächten umgaloppiren konnte, mußte ein wahres Schilderhäuschen sein gegen den Riesenbau, welcher solche märchenhafte Waarenschätze barg. Wieder ein neues Wunder der endlosen Wunderstadt!

Noch saß ich in meinem Staunen, und die ungeheuerlichen Ziffern wirrten sich in meinem Hirn zu noch ungeheuerlicheren Berechnungen zusammen, da kam mein Freund. Meine neue Entdeckung ersparte ihm den Vorwurf, den vor einer Viertelstunde meine Ungeduld schon bereit gehalten hatte, und während wir nach der Dampfschiffstation zustrebten, wurde bereits für den nächsten Vormittag eine Expedition nach diesem räthselhaften Auctionslocale, dem Markte von Mincing Lane, wie es im Publicum heißt, beschlossen. Denn auch mein Freund kannte von dem Wunder noch nichts als den Namen.

Von unserm westendlichen St. John’s Wood hatten wir eine meilenweite Reise nach diesem Mincing Lane, das, ein enges, finsteres, aber handel- und wandelbelebtes Gäßchen, im Osten der Bank und unfern vom Tower liegt, also ganz und gar im Bezirke, wo der Londoner Großhandel oder, besser gesagt, der große Welthandel überhaupt seine düsteren Sitze aufschlagen hat. Vier Mal mußten wir den Omnibus wechseln, ehe wir vor den London Commercial Sale Rooms standen.

Das soll das Haus sein, in welchem so unglaubliche Waarenmassen versteigert werden? Unmöglich! riefen wir Beide und starrten die einfache, doch solide Steinfaçade an, die sich unsern Blicken bot und weder in Form noch Größe die geringste Spur von Phantastischem und Märchenhaftem an sich trug. Gut englisch nüchtern und hausbacken, unterschied sich das Gebäude von seiner Nachbarschaft höchstens durch einen etwas mehr geschonten Teint. Es schien uns minder rußig und schwarz, als man’s vom Mauerwerk in dieser Stadt des Qualms und Kohlenstaubs gewöhnt ist. Indeß die Inschrift über der Thür beweist uns, daß wir am rechten Ziele angelangt sind.

Darum hinein, denn es ist elf Uhr, die Stunde, wo die Auctionen beginnen. Wir treten ein und finden uns sofort in einem recht anständigen Menschenknäuel, der sich in einem geräumigen Gemache um eine Tribüne drängt, welche sich der Thür gegenüber erhebt. Das Geschäft ist bereits in flottestem Gange – in Porter und Ale, in Sherry und Portwein, in Lendenstücken und Hammelsrippen. Das aber, vergnüglich wie es sonst ist, war nicht das Schauspiel, um dessen willen wir uns in diesen unfashionablen Ostwinkel verbannt hatten. Also hinaus aus dem Erfrischungssaale und, vorüber an seinen lockenden Düften und Geistern, die Treppe zum ersten Stocke hinauf!

Auf dem Corridore, von dem verschiedene Seitengänge nach einer Menge von Zimmern auslaufen, schwirrt es wie in einem Bienenstocke. Mäkler und Kaufleute, Commis und Schreiber strömen ab und zu, haben aber den Kopf so voller Geschäfte und Zahlen und die Füße so eilig, daß wir Noth haben, nur den Saal zu erfahren, in welchem die erste Versteigerung abgehalten wird.

Endlich ist’s uns doch geglückt, einen etwas weniger geschäftigen Herrn aufzuspüren, der uns eine Secunde ruhig Stand hält.

„Die zweite Thür links, meine Herren.“

Wir öffnen schüchtern, wie echte Deutsche. Der Saal, der sich uns aufthut, ist von Mittelgröße und rundum mit amphitheatralisch geordneten Bänken besetzt. Vor diesen befindet sich eine Reihe kleiner Schreibpulte, und in der Mitte ist eine Art von Katheder errichtet, das drei Personen Sitz- und Schreibapparat gewährt. Augenblicklich thronen aber nur zwei auf diesem Podium, der Auctionator und sein Commis. Auf den rundum aufsteigenden Bänken mögen siebenzig bis achtzig Männer sitzen. Fast alle sind junge Leute, jeder hat einen Katalog vor sich und sein kleines Ledertintenfaß in der Hand und macht sich eifrig Notizen.

„Die Käufer gewiß?“ wende ich mich an meinen Nebenmann zur Rechten, dessen gemüthliches Gesicht auf einige Mittheilsamkeit Hoffnung macht.

„Gott bewahre, Herr; blos die Commis der Mäkler, welche

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 762. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_762.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)