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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

von den für die verschiedenen Waarenpartieen und Artikel erzielten Preisen sorgfältige Niederschrift nehmen müssen, damit alsbald die Preislisten zusammengestellt werden können, die noch heut’ Abend autographirt über den Canal hinüber an alle Geschäftsfreunde des Continents versandt werden.“ Die stillen Herren, die so apathisch aussehen und keine Miene verziehen, welche, den schwarzen, spiegelglatten Cylinder tief in den Nacken gerückt und die Hände in den Hosentaschen oder den Armlöchern der Weste, dem Versteigerer den Rücken zukehren, – das sind die Käufer, und gar mancher Crösus, mehr als ein Citymagnat ist darunter, der allmächtig herrscht an der Börse.

Wir haben zufällig eine Theeauction getroffen. Man scheint schon im besten Zuge zu sein, aber im ganzen Saale ist auch nicht ein einziges Theeblättchen zu erblicken. Wenn man uns sagte, daß hier Zündhölzchen oder Stecknadeln versteigert würden, wir fänden kein einziges Anzeichen, welches uns die Wahrscheinlichkeit solcher Behandlung in Zweifel ziehen ließ. Indessen beruhigen wir uns, der englische Kaufmann gehört zu den Letzten, welche die Katze im Sacke nehmen. Der zu verkaufende Thee selbst liegt zwar draußen in den Docks oder in den großen Lagerhäusern an der Themse, doch von allen Kisten hat der mit der Versteigerung beauftragte Mäkler Proben genommen. In seinem Comptoir in Fenchurchstreet oder in den sogenannten königlichen Börsengebäuden – einer Reihe von Häusern hinter der Börse – oder in sonst einem rußigen Winkel der City findet sich ein, wer auf die verkäufliche Partie speculirt, unterwirft die Muster einer gründlichen Prüfung durch Auge, Nase und Zunge, empfängt einen Katalog der zur Versteigerung bestimmten verschiedenen Warenposten, vermerkt an den Rand, wie viel er für diesen oder jenen Artikel anzulegen gesonnen ist, und bietet demgemäß, wenn der Tag der Auction erscheint. Sowie bei den großen Güter- und Herrschaftslicitationen, die namentlich während der Saison in London statt haben, nicht ein Stäubchen von dem zu verkaufenden Grund und Boden zum Vorschein kommt, ebenso wird in Mincing Lane kein Körnchen von den großen Cubaer Zuckerblöcken, kein Blättchen aus den Tausenden von Kisten chinesischen Thee’s, kein Bröckchen von den Massen südamerikanischen Talgs sichtbar, welche der Hammer hier zuschlägt. Nur ein einziger Artikel macht eine Ausnahme von dieser Regel, die indischen Shawls. Von ihnen kann sich der Mäkler natürlich kein Zipfelchen zur Probe abschneiden oder abreißen; folglich muß sich die kostbare Waare bei der Auction den Speculanten in natura vorstellen.

Ich verdanke alle diese Belehrungen meinem Nachbar, einem behaglichen alten Londoner, der jetzt zwar selbst weder mehr kauft noch verkauft, aber aus alter Gewohnheit dem Markt von Mincing Lane ab und zu seinen Besuch abstattet. Als ehemaliger Theemäkler, der nun in einer netten Cottage draußen in Clapham sich des wohl in’s Trockene gebrachten Schäfchens freut, kennt er genau, was sich auf den Markt von Mincing Lane bezieht, so daß wir seiner Auskunft volles Vertrauen schenken dürfen.

Inzwischen nimmt die Auction ihren gleichmäßigen Fortgang. Ein Schweigen herrscht im Saale, wie in der Kirche. Die Käufer sitzen so steif und unbeweglich wie eine Quäkerversammlung, die auf den heiligen Geist wartet, kaum daß einmal ein leises Flüstern in dieser oder jener Gruppe vernehmbar wird. Ja nicht selten bietet man lediglich mit Zeichen und Mienen. Ein bloßes Nicken, ein Augenzwinkern, ein Hüsteln oder Grunzen genügen dem Auctionator; er weiß, wie viel Pfunde, Schillinge oder Pence die Pantomimen bedeuten, er kennt ja Art und Weise jedes einzelnen Käufers und weiß gründlich, was Mr. Smith braucht oder Mr. Brown sich nicht entgehen lassen darf, und wenn Dieser mit dem rechten oder Jener mit dem linken Auge zwinkert, wenn sich ein dritter das Kinn oder ein Vierter die Nase reibt, so ist das Alles unserm eingeweihten Mäkler eine durchaus verständliche Telegraphie. Namentlich, so sagt mir mein freundlicher Gewährsmann, waltet diese Mimik beim Verkaufe der Kaschmir-Shawls vor. Wir müssen es unserer Quelle auf’s Wort glauben; denn uns selbst von dem Hergange bei einer dieser großen Shawlauctionen zu überzeugen, bietet leider der heutige Markt zufällig keine Gelegenheit.

„Kiste 22–31,“ ruft der Mäkler gravitätisch von seinem Throne herunter. „Wie viel für Kiste 22–31? Zwölf, meine Herren?“

„Zwölf,“ murmelt eine Stimme, ohne daß ihr Besitzer aufblickt von seinem Pulte. „Zwölf ein Viertel“ – „dreizehn“ – „dreizehn ein halb“ – „vierzehn“ – „vierzehn ein Viertel“ – „vierzehn und einen halben Pence“ – „vierzehn drei Viertel“ – „fünfzehn“. „Niemand mehr?“ Die Frage erfolgt in fast strengem Tone, gewissermaßen gebieterisch. Doch nichts regt sich, kein Zucken, kein Blinzeln, kein Nicken, kein Grunzen. „Also fünfzehn; fünfzehn Pence, meine Herren.“ Und der Hammer fällt mit sanftem, gentlemanischem Klopfen auf den Bord des Katheders. Die Stahlfedern der Commis kritzeln hurtig über die Blätter ihrer Taschenbücher und registriren den Verkauf, Posten und Preis. Die Käufer thun’s und vor Allem der Schreiber des Proclamators.

Ohne Pause kommt eine andere Partie an die Reihe und ist ebenso rasch an den Mann gebracht. Manchmal gehen zehn, zwölf Partien – Loose nennt sie der Engländer – von je zehn Kisten in einem Athem weg, wenn die Qualität die gleiche, folglich der zu zahlende Preis annähernd der nämliche ist.

So werden im Laufe weniger Stunden in einem einzigen dieser Verkaufssäle häufig Summen in Umlauf gesetzt, d. h. Alles nur auf und in Papieren, welche das Budget manches unserer deutschen Staaten mit einem recht artigen Deficit belasten würden.

Und solcher Auctionsräume befinden sich überhaupt zehn in dem Gebäude, in jedem aber spielt sich so ziemlich die gleiche Scene ab, nur die Namen der ausgerufenen Waaren sind überall andere. Bei uns hier heißt er Thee, im Nachbarsaale Zucker, daneben Häute, drüben Indigo oder Cochenille und so fort. Auch Anordnung und Einrichtung sämmtlicher dieser Localitäten ähneln sich wie ein Ei dem andern; blos die Größe der Zimmer ist verschieden, je nachdem sich mit den in ihnen versteigerten Waaren ein allgemeineres oder ein beschränkteres Handelspublicum befaßt.

In der Regel verlaufen alle Auctionen so ruhig und ungestört, wie unsere Theeversteigerung, so daß an manchem Tage wohl fünfzig und mehr Verkäufe verschiedenartiger großer Warenpartien abgehalten werden und ihre tägliche Durchschnittszahl auf 20 bis 25 veranschlagt werden kann. Indessen ab und zu, in Zeiten politischer Krisen und merkwürdiger mercantilischer Conjuncturen, wo die Speculation besondere Dimensionen annimmt und eine gesteigerte Concurrenz hervorruft, bieten die London Commercial Sale Rooms nicht ganz das friedliche Bild, das Stillleben, möchte ich sagen, das wir heute gesehen und beobachtet haben. Dann ist’s nicht mehr genug mit einem Kopfnicken oder Augenzwinkern, dann geht’s wild und stürmisch her, dann schreit es durcheinander wie auf einem neapolitanischen Markte oder in der Pariser Börse, ja dann giebt’s wohl mitunter auch drastische Scenen zu schauen, und es ist keineswegs etwas Unerhörtes, wenn Mr. John den Mr. James gemüthlich niederboxt, weil Beide das höchste Gebot gethan haben wollen.

Die Londoner Commercial Sale Rooms sind der größte Markt für Colonialwaaren auf der Erde; wie wir gesehen haben, faßt der Engländer den Begriff dieser Producte etwas weiter, als wir, indem er u. A. auch die feinen Gewebe, die in den Himalayathälern gefertigt werden, der Kategorie der „Colonial Goods“ einreiht. In Mincing Lane lassen die großen Londoner Importhäuser ladungsweise versteigen, was ihnen die Schiffe von allen Richtungen der Windrose zuführen. Hier versorgen sich die Colonialwaarengroßhändler nicht nur Londons und Englands, sondern aus den Haupthandelsplätzen des Continentes; nur in einigen Artikeln, den sogenannten Gewürzen namentlich, ist noch heute Amsterdam der erste Stapelort der Welt.

Der Markt von Mincing Lane hätte in diesem Jahre der Feste und Jubiläen beiläufig auch seinen fünfzigsten Geburtstag feiern können; denn 1813 war es, wo die Sale Rooms eröffnet und den Kaufleuten und Mäklern der City als ein „Centralmarkt für Colonialwaaren“ übergeben wurden.

Schon die Waarenmenge, welche an einem einzigen Tage in diesen Sälen von einer Hand in die andere übergeht, will uns bedünken, als wäre sie ein Fabeldatum aus einem arabischen Märchen – denken wir vollends an die Ziffern, welche die verflossenen fünfzig Jahre zusammen repräsentiren, an die Summen, die während dieser Periode hier gewonnen und verloren worden sind, so schwindelt uns der Kopf. Ja, der Umsatz eines einzigen Jahres erreicht schon eine so ungeheuerliche Höhe, daß dem Continentalen aller und jeder Maßstab abhanden kommt. Wir müssen darauf verzichten, mit den uns vor Augen gebrachten Ziffern eine bestimmte Vorstellung zu verbinden und uns mit der allgemeinen Idee des Massenhaften

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 763. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_763.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)