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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Lebemann, nicht den Teufelsvasallen, sondern einen gutmüthigen, allerdings schlauen Gesellen. Letztere Eigenschaft prägte sich besonders auf seinem Gesichte aus, als er auf die Frage Kirchmayer’s: „Ich komme eigens hierher, um Euch zu fragen: habt Ihr ihn?“ das Glas erhob und mit zufriedenem Lächeln, die Augen blinzelnd, entgegnete: „Ich habe ihn.“

Kirchmayer, ein schöner, stattlicher Mann, dessen geistreiches Antlitz den Gelehrten erkennen ließ, schlug mit der Faust auf den Tisch, daß die Gläser erklangen. „Ihr habt ihn wirklich?“

„Heute wieder mit ihm experimentirt,“ lachte Kunckel.

„Wie, sollte etwa jenes Licht, das ich vorhin aus dem Hause strahlen sah – sollte –“

„Es kam von ihm,“ sagte Kunckel. „Nehmt erst Speise und Trank zu Euch, dann sollt Ihr hören.“

Während die beiden Freunde sich an dem Tische des Adepten laben, möge hier einige Nachricht über das Leben und Treiben des seltsamen und verdienstlichen Mannes Platz finden.

Johannes Kunckel, von Hause aus Apotheker, hatte sich bald auf das Studium der Metallurgie geworfen und sich namentlich in der Kunst, die zusammenhängenden Bestandtheile zu scheiden, hervorgethan. Bei diesen Beschäftigungen war es ihm gelungen, eine vorzüglich schöne verschiedenartige Glasmasse herzustellen, der er durch chemische Processe die mannigfaltigsten Farben zu geben wußte. Kunckel hatte in mehreren Ländern seine wissenschaftlichen Resultate verwerthet, und obgleich ein für seine Zeit sehr erleuchteter Kopf, ward er dennoch von der allgemein herrschenden Sucht, den Stein der Weisen zu suchen und Gold zu machen, erfaßt. Durch diese Manie (gleichbedeutend mit der unserer Zeit, nämlich mit der Geisterklopferei und Tischrückerei etc.) zeichneten sich das 17. und 18. Jahrhundert aus, was um so weniger verwundern darf, wenn man erwägt, daß es vorzugsweise die Fürsten waren, welche oft mit ungeheuren Kosten alchymistische Versuche anstellen ließen oder selbst anstellten. Jeder Mensch ist eben das Kind seiner Zeit, und sogar der große Kurfürst, Friedrich Wilhelm von Brandenburg, unterlag dem Einflusse seines befangenen Jahrhunderts. Er hatte von Kunckel viel gehört und berief ihn an seinen Hof, damit er in Brandenburg für den Kurfürsten arbeite. Kunckel war in sächsischen Diensten. Kurfürst Johann Georg II. von Sachsen hatte ihn nach Dresden gezogen, auch in der gewissen Voraussetzung, bald ungeheure Goldklumpen in seine Münze schleppen zu können. Unter den vorhandenen Papieren befindet sich ein „A. S.“ unterzeichnetes Schreiben, welches auf geheimnißvolle Weise Kunckel auffordert „in Dienste hoher Herren, die sich nicht nennen wollen, zu treten“, er möge seine Antwort nach Prag an Achatius Schleicher senden. Da unmittelbar hinter diesem Schriftstück der Contract, wenn man es so nennen will, zwischen Kunckel und dem Kurfürsten von Sachsen folgt, so ist ziemlich gewiß, daß jenes Briefchen von einem sächsischen Hofbeamten ausging und daß der „hohe Herr“ eben Kurfürst Johann Georg war. Der Vertrag datirt vom 6. October 1677. Wann Kunckel von Dresden nach Berlin übergesiedelt, ist schwer zu ermitteln, doch hatte er schon 1680 auf dem Kaninchenwerder ein Laboratorium.

Der Kurfürst Friedrich Wilhelm bedingte sich freilich nicht Goldmacherei aus, sondern in der von ihm aufgestellten Schenkungsacte (dat. v. 27. April 1685) steht immer noch, daß Kunckel gehalten sein solle, „chymische Arbeiten“, namentlich aber „rare Gläser zu liefern“, doch unterliegt es keinem Zweifel, daß der Kurfürst Gold erwartete. Kunckel stand in hoher Gunst. Er erhielt den Kaninchenwerder zum Geschenk für sich und seine Erben, auch Geld zum Bauen eines Hauses, Braugerechtigkeit etc. Seine Hauptarbeit war die Bereitung schöner Glassachen. Dabei studirte er sehr fleißig Chemie und lieferte ausgezeichnete Präparate. Er hatte 1678 zwei Bücher geschrieben und in die Welt gesendet.[1] Seit dem Jahre 1669 aber fesselte eine Entdeckung seine Aufmerksamkeit, die für den Chemiker freilich vom höchsten Interesse sein mußte. Mit alchymistischen Arbeiten beschäftigt, hatte ein Laborant durch Zufall eine eigenthümliche Substanz in seinen Retorten entdeckt.

Vergebens hatte Kunckel sich bemüht, von dem Entdecker die Mittheilung des Processes zu erhalten, durch welchen der wunderbare Stoff sich gewinnen ließ. Der Erzeuger jener Materie war ein Kaufmann, Brandt in Hamburg, der bei alchimistischen Versuchen sein ganzes Vermögen geopfert hatte. Kunckel hatte Brandt bestürmt, ihn in das Geheimniß einzuweihen. Letzterer war jedoch entweder hartnäckig bei seiner Weigerung geblieben, oder hatte dem Suchenden ein unrichtiges Verfahren angegeben, genug – Kunckel sah sich genöthigt, auf eigne Faust nach dem sonberbaren, geheimnißvollen Stoffe zu forschen. Seit 1669 beschäftigte er sich mit diesem Thema.[2] Welcher Stoff war es? Die Leser werden es bald erfahren, denn als Kirchmayer den Adepten auf der Insel besuchte, war die Materie bereits von Kunckel wieder entdeckt. Kirchmayer’s Person mag hier auch noch in der Kürze besprochen werden. Er war einer der tüchtigsten Köpfe seiner Zeit. 1635 in Franken geboren, von seinen Eltern zum geistlichen Stande bestimmt, ging er später zur Rechtsgelehrsamkeit über. Er sprach viele Sprachen, schrieb sehr gute Werke über römisches Recht und trieb leidenschaftlich Chemie. Dieses Steckenpferd hatte ihn mit Kunckel vereinigt, dessen Versuchen er höchst aufmerksam folgte. In Dresden laborirten sie oft zusammen. Kirchmayer war dabei ein vollkommener Weltmann und bei vielen Höfen hoch angesehen.[3]

Nachdem die Tafel aufgehoben war, nahm der Adept eine mit Gläsern geschlossene Laterne. Er zündete das vor dem silbernen Reflector stehende Licht an, ergriff sein Schlüsselbund und forderte Kirchmayer auf, ihn zu begleiten. Beide durchschritten einen Gang. Kunckel öffnete eine niedrige, eiserne Thür. Scharfer, schwefelartiger Geruch drang aus dem Gemache. Die Männer betraten das Laboratorium. Bei dem Scheine des grellen Lichtes sah Kirchmayer sogleich die wunderliche Ausstattung, welche, wie bei allen Laboratorien, in zahllosen Retorten, Helmen und Recipienten, Büchsen, Kräuterbündeln und ausgestopften Unthieren, Büchern, Kolben, Gerippen, Winden und Maschinen bestand. Kunckel setzte das Licht nieder und trat an den noch warmen chemischen Ofen.

„Hier ist wieder etwas in Arbeit,“ sagte er. „Ihr sehet diese glasirdne Retorte mit dem langhalsigen Recipienten. In der Retorte sind vier Pfund gepulverter Bolus und – was glaubt Ihr wohl sonst noch?“

„Nun?“

„Ihr sollt es nachher erfahren. Ich habe den Inhalt der Retorte schon durch alle Grade getrieben. Als Ihr anpochtet, war ich eben beim Feuern, um den letzten Gang machen zu lassen. Indessen thut die Unterbrechung nichts, mein Ofen ist noch thätig. Was ich gewonnen habe, sollt Ihr jetzt nahe bei sehen, obwohl Ihr es schon von Weitem betrachtet habt. Kommt.“

Kunckel schritt mit Kirchmayer auf das nach dem Flusse hinausgehende Fenster des Laboratoriums zu. Den Marmortisch, welcher vor dem Fenster stand, bedeckten allerlei chemische Präparate und verschiedene Instrumente. Der Adept rückte zwei mit Wasser gefüllte Krystallbecken zurecht, deren Oeffnungen durch schwere Glasdeckel geschlossen waren. Als Kirchmayer aufmerksam das Gefäß betrachtete, sah er in dem Wasser eine Anzahl fingerdicke Stäbchen schwimmen, welche bei der Bewegung zu funkeln schienen. Kunckel hob den Deckel ab und nahm eines der Stäbchen heraus. Sofort flammten seine Finger, und häßlich riechender Dampf wirbelte empor. Kirchmayer trat zurück.

„Da seht Ihr es,“ lachte der Adept, „hab’ ich es gefunden? Nun sollt Ihr’s in vollem Glanze schauen. Gebt Acht.“ Er nahm behutsam das Präparat zwischen die Glieder einer Zange und entzündete es. Ein strahlendes, grünliches Licht verbreitete sich in dem Gemache und warf seinen Schein durch das Fenster weit hinaus auf die Wasserfläche. Die beiden Männer und der abenteuerliche Apparat, welcher sie umgab, waren wie von Zauberflammen umspielt. Der Wind heulte in den Rauchfängen, und als das wundersame Licht leuchtete, ertönte von draußen her ein Schrei, vermuthlich aus der Kehle eines erschreckten Schiffers kommend, der gerade bei der Zauberinsel vorüber steuerte.

„Kunckel, Ihr habt gesiegt,“ sagte Kirchmayer, als das Stäbchen von der Flamme verzehrt und der Glanz erloschen war.

„Nicht wahr?“ frohlockte der Adept. „Herr Brandt in Hamburg wird sich ärgern. Ich habe es allein wieder aufgefunden. Nun rathet, woraus ich es ziehe! denkt Ihr aus Gold, Silber oder irgend einem Metalle? aus Erde oder Gestein? Nichts von alledem. Dieses wunderbare Material hole ich mir aus Menschenharn,


  1. Die Glaskunst oder ars vitriaria. Leipzig 1679. 4. – Chymische Brille, oder Anmerkungen von denen Principiis chymicis. Leipzig 1678.
  2. Nach den meisten Berichten hat ein gewisser Krafft den Kunckel auf Brandt’s Erfindung aufmerksam gemacht. Schon Leibnitz hat über die chemischen Versuche Brandt’s und Kunckel’s geschrieben.
  3. Kirchmayer hat viele Schriften hinterlassen. Er machte große Reisen und starb 1700.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 778. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_778.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)