Seite:Die Gartenlaube (1864) 025.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Urtheil herbeigeführt und das Land behalten. Doch als er zum Sterben kam, da schlug ihm das Gewissen. Auf dem Sterbelager ruft er seinen Sohn, den künftigen Stellenbesitzer, zu sich, bekennt den Meineid und bittet, sofort nach seinem Tode das Stück Land an den rechtmäßigen Eigenthümer zurückzugeben, da er sonst nicht ruhig sterben könne.

Der Sohn: „Aberst Vader, dat is jo use beste Wische by de Stäe, de köhn wy jo van de Stäe ganz nich missen.“

Der Vater sterbend: „Dat is ook so, myn Söhn, Du bist’n braven Jung, denn laat my man rösten in de Hölle.“[1]

Diese Anekdote ist nicht schlecht erfunden. Sie zeigt uns die bäuerliche Auffassung, die unbedingte Unterordnung der persönlichen Interessen unter die Interessen der Stelle, in der höchsten Consequenz. Es ist eben die verfluchte Schuldigkeit des echten Bauern vom alten Schlage, „in der Hölle zu rösten“, wenn es zum Besten der Stelle nöthig ist. Im Ganzen aber ist dies ein überwundener Standpunkt; der Bauer vom alten Schlage wird in der modernen Welt nur noch selten gefunden. Die neue Gottheit der gierig nach Gewinn jagenden Welt, das „Geldmachen“, das goldene Kalb, welches Alle anbeten, ist auch bei dem Bauer eingezogen, und als Diener dieser neuen modernen Gottheit nennt er sich auch nicht einmal gern mehr „Bauer“, sondern wird zum „Landmann“ oder „Landwirth“ oder gar zum „Oekonomen“ oder „Gutsbesitzer“. Im Oldenburger Lande, namentlich in denjenigen Bezirken, wohin die moderne Geldcultur noch weniger gedrungen ist, findet man jedoch vereinzelt noch Landleute, welche als würdige Repräsentanten des echten Bauernstandes gelten können.

Ein solcher Bauer vom alten Schlage war der reiche Hausmann Henken-Frers zu H. Ich hatte ihn kennen gelernt und sein Vertrauen erworben durch einen Riesenproceß, welchen ihm ein ehemaliger Mündel an den Hals geworfen und ich mit großer Mühe zu einem für ihn guten Ende geführt hatte. Seitdem hielt er unverbrüchlich zu mir; ich war sein Mann, mochte es sich um Processe oder um Landtagswahlen, um Gemeindeangelegenheiten oder Wahlen zur Synode oder was sonst handeln, selbstredend, soweit das Interesse seiner Stelle nicht entgegenstand. Henken-Frers war früher verheirathet gewesen, die Frau aber schon vor langen Jahren gestorben. Seitdem lebte er, reich, durchaus nicht ungebildet, aber schlicht wie ein Bauer, auf seiner stattlichen Hufe mit seinen beiden einzigen Kindern und einer Schwester, welche die Stelle der Hausfrau vertrat und zu der Henken-Frers das unbedingteste Vertrauen hatte.

Eines Tages sandte mir Henken-Frers seinen Wagen und einen Brief, in welchem er meldete, er müsse in den nächsten Tagen sterben, wünsche aber vorher noch sein Testament zu machen. Der Amtmann habe ihm nun gesagt, daß dasselbe so, wie er (Henken-Frers) es wünsche, nicht gemacht werden könne. Er bäte mich deshalb, zu ihm zu kommen, da ich ja wohl Rath schaffen werde. Ich machte mich auf den Weg und gelangte bald über die dürre braune Haide, welche nur an den Rändern, von den Vorposten der Civilisation, den sogenannten Anbauern, nach und nach in Angriff genommen und mit langjähriger Arbeit in Cultur gebracht wird, zu den grünen „Büschen“ (Holzungen) des Ammerlandes und in das Dorf H–, den Wohnort des Henken-Frers. Die stattliche Stelle desselben befand sich in der Mitte des friedlichen Dorfes. Eine prächtige Eichenallee führte durch ein großes Heck (Thor) über grünes Weideland zu dem mit alten Bäumen bestandenen Hofe. Von diesen Bäumen und einem Gemüse- und Blumengarten umgeben, lag das lange niedrige Bauernhaus, in welchem vorn das Vieh und hinten die Menschen ihr Quartier haben, mit seinem hohen grauen Reitdache, zwar nicht elegant, aber behäbig und wohnlich da. Misthaufen und Schweine bildeten freilich die nächste Aussicht; aber weiterhin schweifte der Blick über frische Wiesen und wohlangebaute Ackerfelder zu den stattlichen Büschen der Stelle, welche seit Jahrhunderten unberührt waren. Gesättigte Ruhe ist der Charakter einer solchen niederdeutschen ländlichen Ansicht.

Ich trat durch die große Einfahrtsthür in das Haus und passirte, auf der Diele von gestampftem Lehm, zunächst die zwei Reihen wohlgenährten Viehs, für welches das Winterfutter bereits auf den „Hillen“ (dem Raume über dem Viehstande) und auf dem Heuboden über der Diele in Masse aufgespeichert lag. Die Kühe kauten, behaglich hingestreckt, ihr Futter; eine Gesellschaft Hühner suchte eifrig nach ausgefallenen Körnern, unter Anführung des Haushahns, der in stolzer Positur die Arbeit überwachte. Von da gelangte ich in den offenen Küchenraum, in dessen Mitte noch das althergebrachte freundliche Heerdfeuer – der Sammelplatz der sämmtlichen Hausgenossen – brannte. Geschirre aller Art, Teller und Schüsseln, Pfannen und Töpfe, Tassen und Kannen, Löffel und Gabeln und die vielen andern Dinge, welche in einem großen Bauernhause gebraucht werden, waren hier an den Wänden, in großen Schränken, oder wo sonst geeigneter Platz, blank geputzt, in bunter Reihe aufgestellt. Die „Butterkaren“ und das gelegentliche Brüllen einer Kuh lieferten die Musik, und der Haushund erhob sich langsam von seinem warmen Platz am Heerde, um den fremden Eindringling mit gebührendem Gebell zu empfangen.

Auf meine Frage nach dem „Bauern“ wurde ich in eines der hinter dem Küchenraume befindlichen Zimmer geführt. Dasselbe war zwar etwas niedrig, aber sonst – wie es bei dergleichen großen Bauernhäusern schon lange der Fall – ziemlich komfortabel, mit Sopha, eleganten Stühlen und Mahagonitischen, mit hübschen Gardinen und Blumen vor den Fenstern versehen, ziemlich so, wie man derlei „beste Stuben“ auch bei dem Mittelstande in den Städten findet. Ausgezeichnet ist solche „beste Stube“ bei den Bauern in der Regel dadurch, daß in einem großen Glasschranke die werthvollsten Geschirre, Tassen, Silbergeräthe etc. zur Ansicht aufgestellt sind, daß sämmtliche Stühle in der accuratesten Linie neben einander an den Wänden stehen und daß der Fußboden auf das Sorgsamste mit frischem weißem Sand bestreut ist; doch darf sich bei Leibe kein Sandkorn unter die Stühle selbst verirren.[2] Alles in Allem genommen, macht ein solches großes niederdeutsches Bauernhaus mit dem Reichthume seiner offen daliegenden Vorräthe, vollgepfropft mit Vieh, Futter für dieses, Lebensmitteln, Kisten und Kasten, Geräthen und Geschirren jeder Art, einen recht angenehmen heimischen Eindruck, namentlich von dem freundlichen Heerdfeuer aus, welches indeß leider mehr und mehr aus unsern Bauernhäusern verschwindet. –

Doch endlich zur Sache. Ich traf meinen alten Freund in der besten Stube im „Alkoven“, zwar „bettlägerig und krank, aber, wie eine mit ihm angestellte Unterredung ergab, bei gesunden Geisteskräften,“ wie man einen ordentlichen Menschen, welcher sein Testament machen will, eben treffen muß. Die eisernen Gesichtszüge waren noch die nämlichen, wie früher, zeigten denselben Ausdruck frischen Muths, wie immer.

Henken-Frers trug mir nun vor: Er müsse in diesen Tagen sterben. Morgen werde es wohl noch „gut gehen“, aber übermorgen sei gewiß der letzte Tag. Dagegen lasse sich ja an weiter nichts sagen; er sei alt genug, seine Frau ihm schon lange vorangegangen, und wenn sein Grunderbe auch noch nicht volljährig wäre, so könne er sich darauf verlassen, daß seine alte treue Schwester nach seinem Tode bis zur Volljährigkeit des Grunderben Alles ganz so gut „verwahren“ werde, wie bisher. Nur Eins lasse ihn nicht ruhig sterben, und deßhalb habe er mich rufen lassen. Man habe ihm nämlich gesagt, daß das Gericht, wenn er sterbe, da der Grunderbe noch minderjährig und eine Wittwe (welche sonst den Nießbrauch und die Verwaltung behält) nicht vorhanden sei, Vormünder bestelle und diese zwinge, alle „Mobilien und Movenzien“ öffentlich zu verkaufen und die Stelle im Licitationswege zu verpachten.

„Den Schimp un de Schanne“ – so fuhr er fort – „much ick nu doch um de heele Weld nich hebben, datt see hier in’n Huse in alle Eggen herum schnüstert unn dat Good tosämen hält unn usen Kram öpentlich vor Geld verkoopt. Unn datt schull myn Söhn mit ankieken! Unn denn schull hier up use Stäe een Hürmann sitten und dat Land utsugen, um dat Geld ut so maken. Näh, dat kann nich gahn, un schall nich gahn, un davör mött’ See sorgen, datt ett nich geiht, sünst kann ick nich ruhig starven. Ick bin doch Herr up myne Stäe, un wenn de Herr Amtmann


  1. Der Sohn: „Aber Vater, das ist ja die beste Wiese bei unserer Stelle, die können wir ja gar nicht entbehren.“ Der Vater: „Das ist auch wahr, mein Sohn, Du bist ein braver Junge, dann laß mich nur braten in der Hölle.“
  2. Man ermöglicht dies letztere dadurch, daß man beim Sandstreuen ein Bret vor die in gerader Linie aufmarschirten Stühle stellt und so verhindert, daß beim Sandstreuen irgend ein Sandkorn unter die Stühle geräth, was durchaus unzulässig ist.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 25. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_025.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)