Seite:Die Gartenlaube (1864) 045.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Matthäus Friedrich Chemnitz,
der Dichter des Liedes „Schleswig-Holstein, meerumschlungen“.

Seit jenem 24. Juli 1844 ist in Schleswig-Holstein kein Tag der Freude und kein Tag der Trauer begangen worden, an welchem nicht dieses Lied erklungen wäre, und als im August des Jahres 1845 zum ersten Male die 36 Schlagbäume des deutschen Bundes von den Sängern des deutschen Volkes niedergesungen wurden, als das erste große deutsche Sängerfest zu Würzburg das beredteste Bild vom Einheitsdrang der Nation darstellte, fehlten auch die Sänger von Schleswig-Holstein nicht, und ihre siegreiche Volkshymne ward hier zum Eigenthum der deutschen Nation.

So hat denn dieses Lied das 20. Jahr seiner wunderbaren Wirksamkeit begonnen, es reiht sich mit jedem Tage mehr an Bedeutung jenen Nationalgesängen an, welche in der Geschichte Europa’s ihre Stelle behaupten: dem ehernen Kampflied des Protestantismus „Ein’ feste Burg ist unser Gott“, das in den Glaubenskriegen Tausende in die Schlachten geführt, der „Marseillaise“, die zum unsterblichen Freiheitslied der Franzosen geworden ist, und der ewigen deutschen klagenden Frage: „Was ist des Deutschen Vaterland?“ Und mehr als irgend früher ist es heute nicht blos das Schlagwort im ganzen deutschen Volk, sondern die Augen der ganzen gebildeten Welt, wie sie auf die rollende Schicksalswoge von Schleswig-Holstein gerichtet sind, müssen sich auch auf das Lied richten, das jene Woge unaufhörlich umrauscht. Helfe nur der Himmel in den deutschen Herzen und Häuptern, daß die Kriegsmusik der Sachsen, wie sie mit dieses Liedes Klängen ihren Einzug in die erste Stadt des meerumschlungenen Landes verherrlichte, mit ihnen auch den Siegerheimzug feiere!

Die patriotische Glorie, in welche die Zeit das Lied gehoben hat, macht es uns zur Pflicht, über den Ursprung desselben unseren Lesern einiges Nähere mitzutheilen.

Zu dem oben genannten schleswig-holsteinischen Sängerfest hatte der in Berlin lebende Kreisjustizrath Dr. Straß unter drei kleinen Liedern auch eines auf die Herzogthümer zur Composition eingesandt, das mit folgenden Versen beginnt:

Schleswig-Holstein, schöne Lande,
0 Wo mein Fuß die Welt betrat,
O, daß stets an eurem Strande
0 Keime wahren Glückes Saat!
Schleswig-Holstein, stammverwandt,
Haltet fest der Eintracht Band!

Das friedlich-gemüthliche Liedchen wurde von dem Cantor Bellmann componirt, und die Melodie fand allgemeinen Beifall. Um so mehr bedauerte man, daß der Text, der in weniger erregter Zeit geschrieben war, mit der Stimmung des Landes nach dem schleswigschen Landtagsschluß nicht in Einklang stehe. Um diesen Mißklang zu beseitigen, dichtete Matthäus Friedrich Chemnitz, der damals als Rechtsanwalt in Schleswig lebte, mit Zugrundelegung des Straß’schen Textes das neue Lied.

Außer dem Versmaß, an das er durch die Melodie gebunden war, und dem ersten Verse des Refrains „Schleswig-Holstein, stammverwandt“ entnahm jedoch Chemnitz dem Straß’schen Texte nur die Verse:

Gott ist stark auch in den Schwachen,
Wenn sie gläubig ihm vertraun,
Straß: Und ein gut gelenkter Nachen
Chemnitz:      Zage nimmer – – und dein Nachen
Straß: Kann 0 trotz Sturm den Hafen schaun.|
Chemnitz: Wird

Chemnitz: Alles Uebrige im Chemnitz’schen Liede ist selbstständige Dichtung und an Kraft dem Straß’schen bei Weitem überlegen. – Die erste Ausgabe des Chemnitz’schen „Schleswig-Holstein, meerumschlungen“ mit der Bellmann’schen Composition erschien noch 1844 in der M. Bruhn’schen Buchhandlung und ist auf dem Titelblatte geschmückt mit der Vignette der Doppel-Eiche. Die fremde Grundlage

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 45. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_045.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)