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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Kind; in ihrer Erwartung getäuscht, zogen die Feinde bald ab, ohne große Unbill zu verüben.

Der Flüchtling erinnerte sich in seiner Verlassenheit eines Freundes in Colberg, zu diesem nahm er seinen Weg, meist zu Fuß wandernd, nur mit wenig Wäsche und mit noch weniger Geld versehen. Glücklich langte er nach mehreren Tagen vor der bereits von den Franzosen eingeschlossenen Festung an, in die er auch, da zu jener Zeit die Belagerung noch keine allzustrenge war, unter dem Anschein eines Spaziergängers aus der Stadt, ohne weitere Schwierigkeiten eingelassen wurde und bei seinem Freunde, dem Rector Schäfer, gastfreundliche Aufnahme fand. Sonst möchte es auch schwer gehalten haben, in der mit Truppen und vielen Flüchtlingen aus der Nähe und Ferne angefüllten Stadt ein Unterkommen zu finden.

Hier beginnt nun eine höchst bewegte und interessante Zeit für unsern Steinbrück; fast die ganze Sturm- und Drangperiode der denkwürdigen Belagerung Colbergs hat er mit durchgemacht; denn es war Anfangs Januar, als er dort eintraf, und erst einige Tage, nachdem der in Tilsit abgeschlossene Waffenstillstand bekannt gemacht war, am 6. Juli verließ er Colberg wieder. Es liegt mir ein vom 14. März bis zum 6. Juli fortgehendes genaues und ausführliches, von ihm selbst geschriebenes Tagebuch vor, das über diesen höchst merkwürdigen Zeitabschnitt viel Beachtenswertes mittheilt und dessen Veröffentlichung ohne Zweifel einen wichtigen Beitrag zu der Geschichte der letzten Belagerung Colbergs liefern würde. Ich muß mich hier freilich darauf beschränken, kurz die ferneren Schicksale unseres Helden nach Anleitung dieses Tagebuches zu erzählen.

Bald nach seiner Ankunft in Colberg meldete sich Steinbrück bei dem damaligen Commandanten der Festung, dem Obersten v. Loucadon, und bat denselben im Namen der in Westpreußen dem Könige treu gebliebenen Städte, ein Commando dorthin zu schicken, um diese vor den polnischen Insurgenten zu schützen; auch hoffte er mit diesen Truppen zu den Seinen zurückkehren zu können. Das Erstere mußte der Commandant ablehnen, da es ihm an Truppen fehlte, ihn selbst aber versprach er zu schützen und ihn weder an die Polen, noch an die Franzosen auszuliefern. So mußte denn freilich Steinbrück seinen Plan aufgeben, vor Aufhebung der Belagerung in die Heimath zurückzukehren, und von dem Augenblick an, wo er darüber Gewißheit erhielt, stand auch sein Entschluß fest, den Colbergern in ihrer Noth treu zur Seite zu stehen. Bald schloß er sich an den wackeren Nettelbeck an und nahm Theil an dem Dienst der Bürgerwehr, später wurde er von dem nachherigen Commandanten Gneisenau bisweilen auf dem Militärbureau mit Schreibereien beschäftigt. Uebrigens fand er in mehreren Familien der Stadt, in denen er noch von seiner Schulzeit her bekannt war, freundliche Aufnahme und liebevolle Theilnahme, an Allem aber, was die Stadt betraf, und an jedem Vorfall in dieser kriegerischen, unruhigen Zeit nahm er den lebhaftesten Antheil. Den größten Eindruck scheint, nach seinen ausführlichen Aufzeichnungen zu urtheilen, Schill’s Persönlichkeit und sein Auftreten auf ihn gemacht zu haben, auch läßt er den militärischen Talenten und den vortrefflichen Eigenschaften des zu jener Zeit noch wenig bekannten Majors v. Gneisenau[1] volle Anerkennung zu Theil werden, der den alternden Commandanten, Obersten von Loucadon, seit dem 29. April ersetzte.

Trotz der großen Sorge um das Schicksal der Seinen und trotz der steten Angst, in welcher alle Bewohner Colbergs bei dem von Tage zu Tage heftiger werdenden Bombardement schwebten, fehlte es doch dem Bedrängten nicht an erhebenden, freudigen Stunden. Eine solche wurde ihm bald nach seiner Ankunft zu Theil, als er eines Morgens zu dem Commandanten beschieden ward, der ihm in Gegenwart der Officiere folgende so eben von Memel per Estafette eingegangene Cabinetsordre vorlas, die wir uns nicht versagen können, ihrem Wortlaut und ihrer Orthographie nach hier genau wiederzugeben:

„Seine(r) Königlichen Majestät“, so lautet das uns im Original vorliegende Schreiben, „haben aus einer Anzeige des General-Lieutenant von Monstein zu Danzig mit ganz besonderer Zufriedenheit ersehen, wie pflichtmäßig sich der Prediger Steinbrück zu Preusch-Friedland gegen das Ansinnen des dasigen Land- und Stadtrichter V…, die feindliche Authorität von der Canzel zu proklamiren benommen hat, und daß derselbe außerdem mit eigner persönlicher Gefahr alles was in seinen Kräften gestanden angewendet hat, die Unterthanen in der Pflicht gegen ihren Landesherrn zu befestigen, damit der feindlichen Gewalt nicht weiter als so weit und so lange sie das Gegentheil erzwingen konnte nachgegeben werde. Ohnerachtet nun dem Prediger Steinbrück das Bewußtseyn, seine Pflichten gegen seinen Landesherrn und Vaterland erfüllet zu haben, künftig vorzüglich zur großen Beruhigung gereichen, und die Erinnerung hieran ihm glückliche Tage bewürken müssen, so verdient indeß doch diese von ihm erwiesene so standhafte Treue gegen seinen Landesherrn eine ausdrückliche Anerkennung und Belohnung. Seiner Königlichen Majestät haben dahero nicht allein befohlen, daß auf die Beförderung und Verbesserung der Dienstlage des Prediger Steinbrück bey der ersten Gelegenheit Bedacht genommen werde, sondern wollen demselben auch hierdurch ausdrücklich Allerhöchstdero besondere Zufriedenheit über sein Wohlverhalten zu erkennen geben, und ihn der ferneren Königlichen Gnade versichern.

Memel den 27. Januar 1807.

(L. S.)

(gez.) Friedrich Wilhelm.“ 

Die auf sehr bescheidenem Papier geschriebene Cabinetsordre trägt die eigenhändige Unterschrift des Königs und ist mit dessen Privatsiegel untersiegelt. Dieselbe mußte übrigens nach einer ebenfalls bei den Papieren noch befindlichen „Allerhöchsten Verordnung“ d. d. 19. Februar 1807, die an sämmtliche Superintendenten in Pommern gerichtet ist, von allen Kanzeln im Lande verlesen werden. Für die dringendsten Bedürfnisse sorgte außerdem der König, indem nach einem zweiten Cabinetsschreiben, datirt Bartenstein, den 25. Apri 1807, dem Prediger Steinbrück ein kleines Wartegeld von dem Gouvernement in Colberg ausgezahlt werden mußte.

Aus Steinbrück’s denkwürdigen Colberger Erlebnissen theile ich nur das Folgende, die Schilderung der letzten Tage der Belagerung, nach dem von ihm hinterlassenen Tagebuche mit. „Bisher,“ so beginnt er den Bericht über jene Tage, „war mein und aller Colberger Loos erträglich, aber das Schlimmste bestanden wir erst während des schrecklichen Bombardements, welches um 2 Uhr Morgens am 1. Juli anfing und erst nach 38 Stunden, am 2., Nachmittags 4 Uhr endete; nur zu vier verschiedenen Malen wurde eine Pause von einer Viertelstunde gemacht, um die Geschütze abkühlen zu lassen. Man schätzte die während der 38 Stunden abgefeuerten Paßkugeln, Bomben und Granaten auf 6000 bis 8000, von denen die bei weitem größere Mehrzahl in die Stadt fiel. Da die Domstraße, in welcher ich wohnte, unmittelbar mit dem Wall und der Schanze auf demselben in Verbindung stand, so war die Erschütterung so heftig, daß ein Glas und eine Pfeife, welche auf dem Fensterbret standen, gleich bei den ersten Schüssen herunterfielen, und daß Alles auf dem Tische sich bewegte. Mein Wirth, Schäfer, der bald nach dem Beginn des Bombardements, Morgens um 4 Uhr ausgegangen war, kam nach kurzer Zeit mit der Nachricht zurück, daß der Hafen vom Feinde genommen und kaum ein Boot gerettet sei, um die Communication mit der See zu unterhalten. Ich lief auf den Wall und die dort befindliche Schanze, die „Katze“ genannt, wo Gneisenau fast fortwährend sich aufhielt. Von hier aus sah ich das nächste Dorf zwischen dem Wall und dem Strande, Stubbenhagen, mit Sturm nehmen und die Italiener bis an das Glacis vordringen. Die Kugeln der Jäger und Schützen erreichten die Wälle, und ein Mann neben mir wurde durch den Kopf geschossen. Ich kehrte in meine Wohnung zurück und setzte mich auf das an der Wand stehende Bett; eine Bombe schlug zwischen meiner und des Nachbars Wohnung nieder. Durch die Erschütterung wurde ich von dem Bette bis an die Stubenthür geworfen, aber zu meinem Glücke; denn durch das Platzen der Bombe stürzte auch die Stubendecke ein und verschüttete das Bett, so daß ich aller Wahrscheinlichkeit nach getödtet worden wäre, wenn ich nicht den Augenblick vorher von jener Stelle geschleudert worden. Ich mußte nun daran denken, die Wohnung zu verlassen; aber wo konnte ich jetzt noch Schutz vor dem Verderben finden? Alle meine Freunde waren bald nach dem Beginn des Bombardements in die bombenfest eingerichteten Casematten geeilt; dazu war es jetzt bei dem ununterbrochen anhaltenden Kugelregen zu spät; ich flüchtete deshalb auf den ganz in der Nähe gelegenen hohen Thurm der Marienkirche, wo eine Warte eingerichtet war, der ein gewisser Roland vorstand, welcher durch Signale mit den schwedischen und englischen Schiffen correspondirte und alle Abende einen Rapport


  1. Gneisenau kam als Major nach Colberg, wurde aber noch während der Belagerung zum Oberstlieutenant ernannt.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 58. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_058.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)