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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Trupp magerer Birkenstämme, die, an irgend einem sandigen Verbindungswege stehend, ihr dünnes Haupthaar im Winde flattern lassen, der endlosen Monotonie einige Abwechselung. In dieser unfreundlichen Gegend, da wo die Straße von Mastricht nach Herzogenbusch die limburgische Grenze überschreitet, liegen ungefähr zehn bis zwölf Ortschaften, in denen sich vor sehr langer Zeit zwei merkwürdige Gesellschaften bildeten, die den Grund zu einem bei der Unfruchtbarkeit des Bodens überraschenden Wohlstand legten.[1] Es sind die der Kupferwaarenhändler und die der Haarkäufer, deren Wohnungen durch die Ziegeldächer, die grün gefirnißten Fensterläden und Thüren mit ihren blitzenden Messinggriffen, sowie durch gesteigerten Comfort, durch größere Ordnung und Reinlichkeit im Innern sich vor den andern strohbedeckten Hütten der übrigen Dörfler vortheilhaft auszeichnen.

Jede dieser zwei Genossenschaften zerfällt wieder in mehrere sogenannte Compagnien. Die erstere, von der ich hier nicht erzählen will, hat das Herzogthum Nassau und das Königreich Dänemark, wo sie auch ihre eigenen Kupferkesselfabriken besitzen, zum Vertrieb der Waaren gewählt. Die Haarkäufer dagegen suchten ihren Wirkungskreis in einem Theile Westphalens, in Hessen, auf dem Eichsfelde, in Thüringen, auf dem Rhöngebirge und in dem angrenzenden Theile des Königreichs Baiern. Es sind meistens kräftige, gutgewachsene Leute, oft mit anziehenden romanischen Köpfen. Sie halten unter sich stets auf strenge Zucht und Ordnung, sind in Gesellschaft nie aufdringlich, vielmehr ernst und schweigsam und meiden jeden öffentlichen Wortwechsel oder Streit. Sie werden daher überall gern gesehen und mit Achtung behandelt. Kein Wirth, bei dem sie länger verweilen, kümmert sich um das, was sie genießen, denn vor der Abreise legt der Haarkäufer sein Notizbuch, in welches er selbst das Geringste aufgezeichnet, dem Wirthe vor, und dieser weiß, daß er mit einem redlichen Manne abrechnet. Ihre „Geschäftssprache“ ist ein Dialekt des holländischen Idioms, den sie, um ihn unverständlicher zu machen, zum Ueberfluß noch mit einer Art von Rothwelsch vermischt haben. Ohne Ausnahme sind sie eifrige Katholiken, deshalb scheut Keiner weder Jahreszeit noch Wetter, wenn es gilt, den oft weit entfernten Ort ihres sonn- oder festtäglichen Gottesdienstes zu erreichen.

Meistens bestehen die Mitglieder der verschiedenen Compagnien, die sich nach den Orten ihrer Hauptniederlagen: Heiligenstadt, Dingelstedt, Mellrichstadt, Salzungen und Fritzlar benennen, aus Verwandten und ergänzen sich in der Regel auch lediglich aus diesen. Hat sich einer derselben zu dem Geschäft entschlossen, was gewöhnlich mit dem 15. oder 16. Jahre geschieht, so verpflichtet er sich, der Compagnie sechs Jahre lang als Knecht zu dienen, und wandert während dieser Periode unter der Führung eines der Sprache, der Wege und des Geschäfts vollständig kundigen älteren Cameraden mit auf den Handel, bis ihm dieser entweder allein anvertraut werden kann, oder er, was übrigens selten geschieht, wieder zurück nach der Heimath gesendet werden muß. Nach diesen sechs Jahren, während welcher Zeit er die Stätte, wo seine Wiege stand, nicht besuchen darf, tritt er mit Einlage seiner Dienstzeit als Capital nunmehr als vollständig gleichberechtigtes Mitglied in die Compagnie und erhält die Erlaubniß, von Zeit zu Zeit nach Hause reisen zu dürfen.

Das Einkaufen der Haare geschieht theils durch den Tausch gegen bunte Kattuntücher, theils gegen baares Geld. Die Haarkäufer sehen dabei am meisten auf die Länge und Feinheit des Haares, weniger auf die Farbe. In ihren Niederlagen wird dann die erworbene Waare nach Farbe und Feinheit sortirt, gereinigt, eingeölt, über dem Abschnitt einige Finger breit mit Bindfaden fest umwickelt, gut verpackt und nach ihren Bestimmungsplätzen, den meisten Hauptstädten Europa’s, ja selbst nach Amerika, abgesendet.

Freilich ist heutzutage dieser Handel nicht mehr so einträglich, als in den ersten Decennien dieses Jahrhunderts. Damals war auch der Haarkäufer ein anderer als jetzt, er war stets ein lustiger und durstiger Geselle, der oft wochenlang mit seinen Cameraden an dem Orte verweilte, wo sich seine Niederlage befand, und singend und scherzend aus einer Schenke in die andere zog. Jetzt aber geizt er mit seiner Zeit, denn will er dem Geschäft noch etwas abgewinnen, so giebt es weite Touren zu machen, hauptsächlich nach den vom Verkehr abgelegenen Ortschaften des Gebirges, da in den unteren Geländen und Thälern mitten von der hereinfluthenden Mode verdrängten Hauben und Mützen nicht mehr die genügende Ausbeute zu finden ist. Rückt das Alter heran, so pflegt sich der Haarkäufer nach seinem Dorfe zurückzuziehen, wo er inzwischen meistens Haus und Familie begründet hat, und der von der letzteren inzwischen betriebenen Landwirthschaft nunmehr selbst vorzustehen.

In einem dieser Dörfer mußte ich einst Nachtquartier nehmen. Das Wirthshaus wurde von einem ehemaligen Haarkäufer gehalten, der sein Schäfchen in’s Trockene und das eigentliche Geschäft aufgegeben hatte. Das ganze Haus war ein Bild von wohltuender Sauberkeit und behaglicher Ordnung. Als ich in das räumige Gastzimmer eintrat, saß der alte Wirth an dem von breitem Schornsteinmantel bedachten Kaminfeuer. Er hatte beide Hände auf die Arme des aus Weiden geflochtenen Lehnstuhls gestützt. Zwischen den Fingern der Linken hielt er den frisch gestopften irdenen Stummel, während die klugen Augen sinnend auf dem über dem Feuer hängenden eisernen Topfe weilten, in welchem die neben ihm sitzende Ehehälfte eben die Grütze in die siedende Buttermilch rührte. Eine tiefe Stille herrschte in dem weiten Räume. Bei meinem Gruß indeß richtete sich der Hausherr auf und ging mir mit einem kurzen, aber warmen „Willkommen“ entgegen. Auch die Alte verließ ihren Suppenkessel, und nun thaten die beiden Alten was sie konnten, um es mir, dem zeitweilig einzigen Gaste, so behaglich wie möglich zu machen. Es waren ein Paar prächtige Leute. Sie lebten jetzt ganz allein in ihrer stillen Wirthschaft, denn die Söhne hantirten noch draußen in der Welt als eifrige Haarkäufer.

Wie in Holland üblich, stand bald ein heißer Wachholdergrog auf dem Tische, die ebenfalls landherkömmliche Thonpfeife brachte mir die Alte, und ehe noch der Zeiger der urgroßväterlichen Wanduhr viel Weiler gerückt war, saßen wir im lustigen Plaudern. Oder ich vielmehr im aufmerksamen Zuhören; denn der Alte hatte sich ganz in die lieben Erinnerungen seiner Jugend und meiner Heimath, des grünen Thüringen, vertieft, das er manch liebes Jahr durchwandert hatte. „Wahrhaftig,“ fuhr er fort, indem er einen befriedigten Blick in der großen Stube umherwarf, von deren Gesimse, Wänden und Schränken ein ungewöhnlicher Reichthum von kupfernem und zinnernem Hausgeräthe blitzte, „ja, wahrhaftig, ich müßte undankbar sein, wenn ich im Geiste nicht noch dann und wann auf und zwischen den mächtigen Bergen Eures Thüringer Landes verweilen wollte. Gerade eben wie Ihr kamt, stand ich in Gedanken, den schweren blauen Plüschsack auf dem Rücken, mit meinen älteren Cameraden wieder dort, am Fuße jener gewaltigen Berge, und maß gerade wie damals den steilen Fußpfad, der uns nach dem nächsten Gebirgsorte bringen sollte. Dazumal hatte ich noch junge Beine, ich mußte hinauf, und es geht Alles, wenn man nur ernstlich will. Späterhin that mir’s Keiner gleich, und es giebt dort wohl keine Straße, keinen Fußpfad, den ich nicht, freilich oft keuchend und in Schweiß gebadet, gemessen, ich konnte dann immer noch beim Eintritt in eines jener Dörfer mein: „Haare, Haare verkoop“! kräftig und so lange die Straße hinaufrufen, bis ich das Schild oder den grünen Tannenbusch der Schenke erblickte. Dann aber war’s vorbei, denn das Bier war fast immer vortrefflich, und ein guter, alter Nordhäuser steht unserm Schiedamer nicht viel nach. Doch lange durfte ich dabei nicht verweilen, denn die Frauensleute hatten mich gehört und winkten da und dort aus Thür und Fenster.

Aber laß Dich das nicht irren, liebe Frau,“ — schaltete er zu seiner Ehehälfte gewendet ein – „das Winken galt niemals meiner Person, immer nur den schönen, bunten Tüchern in dem gefüllten Plüschsacke, denn die Frauensleute sind sich ja überall gleich und schmücken sich gerne mit bunten Lappen. Die beste Ernte habe ich immer vor der Zeit ihrer Kirmsen oder anderer Festtage gehalten. Für eins oder zwei meiner Tücher ließen sich die Meisten unter Scherz und Lachen das schönste Haar abschneiden, unter ihren Hauben und Kopftüchern bemerkte man das Stoppelfeld ja doch nicht groß. Einen Kranz, der die Blößen deckte, ließ ich ihnen ja immernoch stehen. Freilich traf es sich auch, daß eine einmal andern Sinnes war und weder von uns noch unseren Tüchern etwas wissen wollte.

So kann ich bis heute es noch nicht vergessen, als ich auch einmal wieder droben in einem jener Dörfer in der Schenke saß, wo sie sich im Winter wegen des hohen Schnees einen Ein- und Ausgang

  1. Durch Anlegung eines Canals, der einen Theil dieser Haidestriche bewässert, ist in neuerer Zeit der Boden dieser Gegend wesentlich verbessert werden.
    D. V.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 60. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_060.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)