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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

„Ei, wir haben zwei Gäste, Du ignorirst den Herrn Gruber, als ob er Dich hören könnte!“ unterbrach sie die Schwester, während ein leichter Schalk in ihren Mundwinkeln zuckte.

„Laß das jetzt!“ war die rasche Antwort, während dennoch ein helles Roth in die Wangen der Sprecherin trat; „ich muß wissen, wer der Mensch ist, um dessenwillen der Vater schon am Abend vorher seine Anordnungen für das Mittagsessen trifft und uns eine gewählte Toilette anempfiehlt; wenn Jemand davon Kenntniß hat, so ist es Willmann –!“ Sie ging rasch nach der Thür, dort die Glocke ziehend, und nach kurzer Weile erschien eine Dienerin, wohl so alt, als beide Mädchen zusammengenommen, welcher Eugenie sich mit einer Miene voller Vertraulichkeit zuwandte. „Sehen Sie doch zu, Margarethe, ob Sie dem Willmann nicht ein heimliches Wort sagen können, wir möchten ihn sprechen, aber bald.“ Die Dienerin nickte, als sei ihr ein derartiger Auftrag kaum ungewöhnlich, und verschwand.

„Aber warum interessirt Dich nur der Fremde so sehr? Hast Du nicht gehört, daß Gruber ebenfalls eingeladen ist?“

Eugenie machte eine Bewegung der Belästigung. „Ich glaube, weil Du seine Vertraute in Bezug auf mich gewesen bist, wirst Du in seiner Seele schon eifersüchtig auf den Fremden. Ich habe den jungen Mann recht gern – nun gut, was aber weiter?“

„Daß er mir trotz seiner blonden Haare und der Weichheit in seinem Wesen, die nicht mein Geschmack sind, doch als eine viel zu achtbare Persönlichkeit erscheint, als daß man mit ihm spielen sollte,“ erwiderte Anna mit einer eigenthümlichen Bestimmtheit. „Und meinst Du es aufrichtig mit ihm, so habt Ihr Beide noch einen viel zu harten Kampf um des Vaters Zustimmung vor Euch, als daß der geringste leichtsinnig gesäete Zweifel zwischen Euch selbst sich rechtfertigen ließe.“

Eugenie verzog die frischen Lippen. „Wir sind noch nicht so weit miteinander, als daß nur eine bestimmte Aussprache zwischen uns erfolgt wäre; ich sehe also auch nicht ein, welchen Zwang ich mir, einer einfachen Neugierde halber, auferlegen sollte. Papa rechnet auf unsere Freundlichkeit gegen den fremden Gast – will Jemand mir ein Verbrechen daraus machen, nun gut, ich bin gegen Niemand eine bindende Verpflichtung eingegangen!“

Anna hielt die großen Augen noch eine Weile ernst auf die Sprecherin gerichtet, als diese bereits ihren früheren Platz am Flügel eingenommen hatte und zerstreut einzelne Accorde anschlug; dann senkte sie das Gesicht nach der Stickerei in ihrem Schooße, diese wie mechanisch entrollend.

Kein Wort fiel weiter zwischen Beiden, bis sich geräuschlos die Thür aufthat und Willmann’s kahles Haupt mit einem: „Darf ich eintreten?“ halb in der Oeffnung zeigte.

Anna schien kaum Notiz von ihm zu nehmen, aber Eugenie erhob sich rasch, den Kopf wie in leichtem Trotze zurückwerfend. „Nur herein, Willmann!“ rief sie, und als die kleine Gestalt das Zimmer betrat, zog sie rasch einen Stuhl herbei und deutete mit einem bestimmten: „Hier, setzen Sie sich!“ darauf. Der Comptoirdiener, wie längst an eine ähnliche Verfahrungsweise gewöhnt, zögerte auch keinen Augenblick, dem Befehle nachzukommen, und sie ließ sich unweit von ihm auf einem Divan nieder.

„Papa hat uns für morgen einen Gast von weither angekündigt,“ begann sie, „und Sie sollen uns sagen, Willmann, was Sie von diesem wissen, oder was sonst damit zusammenhängt, damit wir uns danach einrichten können. – Sie werden doch jedenfalls schon etwas von der Angelegenheit kennen?“

Der Comptoirdiener begann plötzlich wunderlich zu blinzeln und seinen Mund krampfhaft nach allen Seiten zu ziehen. „Ich – ich muß Ihnen sagen, Fräulein Eugenie, daß ich von einem Gaste nicht das Geringste weiß,“ sagte er endlich, „wenn er aber von weither kommt und die Ankündigung erst jetzt erfolgt ist, so wird es wohl derselbe sein, von welchem Herr Hellmuth vor einer Stunde erst einen Brief erhalten hat – und es muß jedenfalls eine sonderbare Bewandtniß mit ihm haben. Herr Meier ist heute Abend ohne Weiteres aus dem Comptoir entlassen worden, und das hängt mit dem Fremden zusammen, ich habe meine bestimmten Gründe dafür – um Gotteswillen aber lassen Sie nichts darüber laut werden,“ setzte er mit einem neuen Zucken seines Gesichts hinzu, „Sie wissen, wie der Herr Papa ist.“

„Ohne Sorge, Willmann, was geht mich denn der Herr Meier an? Das ist Papa’s Sache!“ unterbrach ihn Eugenie mit einer leichten Bewegung von Ungeduld, „ich will von dem Fremden selbst etwas hören. Wissen Sie von ihm etwas?“

„Er ist vorgestern angekommen und soll stark von der Sonne gebräunt sein, ich habe das aus Herrn Hellmuth’s eigenem Munde, das ist aber auch Alles, was ich weiß!“ war die Antwort.

Eugenie erhob sich mit einem kurzen Achselzucken. „Deshalb hätten wir Sie freilich nicht zu plagen brauchen,“ sagte sie, sich abwendend, aber Anna hatte bei den letzten Worten des Kleinen mit einer leichten Spannung in ihrem Gesichte ihren Sitz verlassen.

„Es war ja wohl vorgestern Abend, als Sie mich vom Posthofe abholten?“ begann sie; im gleichen Augenblicke aber trat auch ein leichtes Roth in ihr Gesicht, und wie sich einer Uebereilung bewußt werdend, fuhr sie fort: „Herr Meier war doch damals noch in Vaters vollem Vertrauen, was kann denn ein Fremder von weither mit unseren Verhältnissen zu thun haben?“

„Ich habe nur meine Gedanken darüber, wie sie mir aus einzelnen Worten des Herrn Meier gekommen sind, möchte aber um Gotteswillen nicht, daß etwas weiter davon laut würde,“ erwiderte Willmann, mit einem neuen krampfhaften Augenzwinkern von seinem Stuhle sich erhebend, „mir ist es aber, als käme mit dem Fremden wahrlich kein guter Engel in’s Haus!“

„Sie fangen an interessant zu werden mit Ihren Räthseln,“ wandte sich Eugenie nach ihm zurück, „was meinen Sie aber, wenn wir uns daran machten, den bösen Engel zu bekehren?“

Der Comptoirdiener sah die Sprecherin mit großen Augen an und nickte dann zwei Mal ernsthaft, wie von einer plötzlichen Idee berührt. „Es würde mir leid thun um Jemand, Fräulein Eugenie, der freilich kein Engel, aber ein recht guter Mensch ist,“ sagte er dann langsam, „aber es wird ja Alles kommen, wie es Gottes Wille ist. – Im Uebrigen, wenn mich die Fräulein nicht mehr brauchen – es wartet noch Arbeit auf mich –“ schloß er und wandte sich mit einer Verbeugung dem Ausgange zu.

„Er wird auch alt, der Willmann – früher war er anders!“ sagte Eugenie, als die Thür sich hinter dem Kleinen geschlossen, mit einem leichten Runzeln ihrer weißen Stirn und warf sich auf ihren früheren Platz am Flügel, regellos in die Tasten hineingreifend. Anna hatte schon während der letzten Worte ihren Sitz wieder eingenommen und schien, dem leise wechselnden Ausdruck ihres Gesichtes nach, eine ganze Reihe von Gedanken zu verfolgen.




3.

In dem Comptoir brannte nur noch eine einsame Lampe über Gruber’s Pulte, als der alte Diener dort eintrat, und auf diesen schien der junge Mann auch nur gewartet zu haben. „Etwas für mich, Willmann?“ fragte er halblaut, Jenem entgegengehend.

Der Ankömmling aber warf erst einen halbscheuen Blick nach der erleuchteten Glasthür zu Hellmuth’s Cabinet, ehe er mit vorsichtig gedämpfter Stimme erwiderte: „Ich hätte schon etwas, aber nur von mir selbst. Ich habe immer gesagt, daß die Neugierde die eigentliche Schlange im Paradiese gewesen ist, der heute noch kein Frauenzimmer widerstehen kann, und sollte Jede darum noch einmal ihr Paradies verlieren, und gerade so steht es oben bei den Fräulein. Herr Hellmuth hat den Ausländer für morgen zu Tische geladen – was mit dem los ist, wissen wir alle Beide nicht, etwas Gutes aber sicherlich nicht, sonst hätte der Herr Meier nicht so unverblümte Worte gegen mich gebraucht und sich so ohne Weiteres wegschicken lassen, und der Herr Papa hätte auch nicht heute Abend schon oben den Besuch zu morgen angekündigt; das aber, weil es ungewöhnlich ist, paßt so recht für die jungen Frauenzimmer. Sie wollten von mir nichts weiter als das Nähere über den Fremden wissen, und als ich geradezu sagte, es würde wohl kein guter Engel mit ihm in’s Haus kommen, meinte Fräulein Eugenie, sie würde versuchen, ihn zu bekehren –“

„Und was meinte Anna?“ unterbrach ihn der Hörer in sichtlich aufsteigender Sorge.

„Sie ist immer ruhiger, wenn sie auch die Jüngere ist; trotzdem konnte ich auch ihr anmerken, daß sie nicht gleichgültig über den ausländischen Besuch war; und nun möchte ich Ihnen Eins rathen. Sie gehen ja auch einmal ab und zu nach dem Hôtel Français, wo der Fremde logirt; sehen Sie sich doch einmal heute Abend noch das Geschöpf an, wenn Sie es vor die Augen bekommen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 98. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_098.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)