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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

oder Schilderungen aus seiner Insel-Heimath zu geben; es war aber Alles fühlbar eine nur durch gegenseitige Höflichkeit gemachte Unterhaltung, zwischen welcher ein Etwas stand, das keine offene Annäherung dulden wollte. Die Mädchen schwiegen, wenn nicht Eugenie, welcher sich der Gast mit Vorliebe zuzuwenden schien, von diesem zu einer kurzen Antwort in’s Gespräch gezogen ward, und oft traten Pausen ein, in welchen nur das Klappern der Teller in den Händen der Dienerin und das Walten Anna’s, welche die Stelle der Hausfrau versah, hörbar wurde. Dazu schien Hellmuth, je länger Gruber’s Abwesenheit dauerte, jemehr einer stillen Unruhe zu verfallen, und als endlich das Dessert, kaum von einem der Anwesenden berührt, herumgereicht war, sagte der Hausherr sich erhebend: „Ich denke, wir trinken den Kaffee im Vorderzimmer, und Du, Eugenie, giebst unserm Gaste ein Stückchen deutscher Musik, während ich einen Blick in’s Geschäft hinunter thue! Werden Sie mich einen Augenblick entschuldigen, Herr Maçon?“

„Fräulein Eugenie wird mich ganz glücklich machen, ich bin ein leidenschaftlicher Musikfreund!“ erwiderte Maçon sich den Damen nach erhebend, und Hellmuth faßte mit einem Nicken der Befriedigung die Hand seiner Tochter. „So komm, Kind, ich werde Dir den Flügel öffnen, und nun zeige was Du kannst!“

Maçon war den beiden Vorangehenden einen Schritt nachgetreten, wandte sich aber, als die Dienerin in diesem Augenblicke das Zimmer verließ, plötzlich nach der zurückgebliebenen Anna.

„Fräulein,“ sagte er halblaut, und sein Auge ruhte groß und fest in dem ihren, „Sie frugen mich einmal, ob Sie mich beleidigt hätten; ich mißverstand Ihr damaliges Wesen, da ich keinen Begriff von Ihrer Stellung in der Welt hatte – jetzt möchte ich Sie fragen: habe ich Sie mit etwas beleidigt, oder haben Sie wirklich nur den einen deutsch-bürgerlichen Maßstab zur Beurtheilung aller Menschen?“

Sie wechselte flüchtig die Farbe, ohne das Auge zu senken.

„Meine Schwester erwartet Sie, Herr Maçon!“ sprach sie dann in dem ihr eigenen tiefen Klange der Stimme.

„Sie haben Recht – aber ich werde mir zu gelegener Zeit Ihre Antwort erbitten, Fräulein, sollte ich auch noch einmal als zudringliches Gewürz gekennzeichnet werden!“ Ein leichter Humor zuckte wieder um seinen Mund, darauf wandte er sich mit der lauten Frage: „Gehen Sie mir voran, Fräulein?“ nach der Thür. –

Hellmuth hatte, kaum daß er Eugenie nach dem Besuchszimmer geleitet, von hier aus seinen Weg nach dem Comptoir genommen, wo Gruber, scharf vor sich niederblickend, an seinem Pulte lehnte und einzelnen leisen Aeußerungen des neben ihm stehenden Comptoirdieners zu horchen schien. Beide waren von dem Gegenstande ihres Gesprächs sichtlich so eingenommen, daß sie Hellmuth’s Eintritt nicht wahrnahmen, und der Letztere warf erst einen raschen Blick über die ruhig und ganz in gewohnter Weise arbeitenden Commis, ehe er an das Paar herantrat.

„Etwas Besonderes, Herr Gruber?“ fragte er, „ich sähe es gern, wenn Sie bei uns blieben, da Sie unsern Gast bereits kennen!“

„Es ist allerdings etwas Besonderes, das mich hier gehalten, Herr Hellmuth,“ erwiderte der Procurist zögernd und leise, „und wenn ich nicht gefürchtet hätte, noch mehr zu stören, hätte ich Sie selbst rufen lassen. Es wäre aber wohl gut, die Angelegenheit nicht hier zu verhandeln.“

„Kommen Sie in mein Zimmer,“ sagte der Kaufherr und schritt langsam dem jungen Manne voran. „Was ist es?“ fragte er, als die Thür sich hinter Beiden geschlossen; aber nur die sich schärfer markirende Furche zwischen seinen Augen ließ eine Spannung in seinem Innern errathen.

„Es sind hier in der letzten halben Stunde die Abschlüsse von drei unserer befreundeten Bankgeschäfte eingelaufen, obgleich der gegenseitige Abschluß sonst immer monatlich erfolgte, und zugleich das Ersuchen um umgehende Saldirung,“ begann Gruber, einige Papiere auf das Pult des Principals legend. „Wäre dies in einem einzigen Falle geschehen, so hätte es sich vielleicht erklären lassen; so aber ist das Ereigniß so auffällig, daß ich kaum gewußt hätte, was daraus zu machen, wenn nicht Willmann bestimmt gemeint hätte, daß –“ er stockte, als finde er nicht die rechte Ausdrucksweise für den Nachsatz.

„Nun was? sprechen Sie gerade heraus!“ rief Hellmuth, welcher mit einem Blicke die Papiere überflogen, während sein Gesicht eine Art von Unbeweglichkeit annahm.

„Daß Meier die Ursache dieses auffälligen Verfahrens sei und irgend eine Macht in der Hand haben müsse, um ein solches Zeichen des Mißtrauens hervorzurufen. Willmann behauptet, Meier heute Morgen auffällig geschäftig in sämmtlichen drei Banklocalen gesehen zu haben.“

„Meier!“ neigte Hellmuth langsam den Kopf, und eine augenblickliche Pause entstand. „Haben Sie saldirt?“ fragte er dann, noch immer in Gedanken versunken.

„Die Beträge sind zu bedeutend, Herr Hellmuth, als daß es sich bei der späten Stunde so ohne Weiteres hätte thun lassen!“

„Gut, so ordnen Sie die Angelegenheit im Laufe des morgenden Vormittags. Im Uebrigen aber,“ fuhr Hellmuth fort, „können sich möglicherweise ähnliche Ereignisse wiederholen, für welche Sie, der Sie ein Stück unserer Familie sind, ein Verständniß haben müssen, und so will ich Ihnen jetzt nur zwei Worte zur Aufklärung sagen, bis sich eine gelegenere Zeit zu Weiterem findet – wir dürfen den Mann, der heute unser Gast ist, nicht zu lange allein lassen. – Dieser junge, so liebenswürdige Mensch,“ fuhr er mit einem Zucken seiner Augenbrauen fort, „ist nur in unserer Stadt, um meinem Geschäfte das Fundament, auf welchem es seit zwanzig Jahren ruht, zu nehmen. Hierbei werde ich allerdings auch noch ein Wort mit reden müssen, und er soll das Werk schwerer finden, als er vermuthet; indessen hätte sich ein beiderseitig befriedigendes Arrangement wohl leicht gestalten lassen, wenn nicht diesem Meier, welcher die Verhältnisse in ihren Details kennt und im Augenblicke nur seinen selbstsüchtigen Plänen nachgeht, jedes Mittel recht wäre, mir entgegenzuarbeiten und meine Stellung so unsicher als möglich zu machen!“

„Aber, Herr Hellmuth,“ versetzte Gruber ängstlich, „ich verstehe nicht ein Wort von den Verhältnissen, die Sie mir andeuten!“

„Sie sollen mit kurzen Worten klar sehen,“ antwortete der Kaufherr finster, „ich bedarf eines Freundes mir zur Seite. Als solchen betrachte ich Sie, und als solcher werden Sie meine Mittheilung würdigen. Es sind länger als zwanzig Jahre her, als ich mich etablirte, ich fing klein und mit geringen Mitteln an, aber hatte durch eine lange Zeit, in welcher ich hier als Gehülfe gearbeitet, mir das Vertrauen der ersten Geschäfte erworben, und ich dachte auch nur an langsames, durch Pflichttreue unterstütztes Emporkommen. Da kommt eines Tages ein Mann zu mir – durch einen meiner frühern Principale an mich gewiesen – und bietet mir ein bedeutendes Capital zur Verwerthung im Geschäfte an, wenn ich ihn an dem Gewinne Theil nehmen lassen wolle; ich entschließe mich, da ich meine Selbstständigkeit gern bewahren mochte, aber erst dazu, als der Mann beim abendlichen Zusammensein mir seine Verhältnisse völlig eröffnet: daß er in Frankreich bedeutend politisch gravirt sei – die nähern Umstände thun hier nichts zur Sache – nur noch zu rechter Zeit sein Vermögen gerettet, allein dabei nur mit Noth sich der Verhaftung und einem sichern Tode entzogen habe; daß er unter allen Umständen, was auch über ihn selbst noch kommen möge, sein Vermögen zu Gunsten seines mitgebrachten kleinen Sohnes in treuen Händen wissen möchte, und daß er unsere stille Residenz als den geeignetsten Ort für seinen Aufenthalt, sein Eintreten in ein Geschäft aber der Behörde gegenüber als den besten Grund für sein andauerndes Verweilen betrachte. Damals stand noch ganz Deutschland wider den neuen französischen Kriegsgott, und ich hatte in dieser Beziehung keinen Grund, gegen das gemachte Anerbieten ein Bedenken zu hegen – die eingeschossenen Mittel mußten überdies das Geschäft auf eine Stufe heben, die es nach langen Jahren vielleicht erst erreicht haben würde – die vertrauende Weise des Mannes, der sich keinem der großen Geschäftsmänner hatte offen geben mögen und mir durch das, was er über mich gehört, Vertrauen zu mir gewonnen hatte, kam dazu, und ich ging auf seinen Vorschlag ein. Sein Geld ward vorläufig unter meinem Namen in einzelnen hiesigen Bankhäusern untergebracht, und er erhielt nur eine einfache Quittung von mir darüber; ehe wir aber dazu gelangten, unsern eigentlichen Geschäfts-Contract abzuschließen, trat auch eine wohl schon längst vorbereitete politische Wandlung unserer Regierung zu Tage, die sich später in einem offenen Bündniß mit Frankreich zeigte, und Maurer, wie sich der Mann damals nannte, kam eines Abends in einer Hast und Bestürzung nach Hause, wie ich sie seinem ruhigen, bestimmten Charakter kaum zugetraut. Er behauptete, einem französischen Polizeiagenten begegnet und von diesem erkannt worden zu sein, er wollte nicht eine Nacht mehr in

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 131. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_131.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)