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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

die lange erwartete Entscheidung durch die Preußen herbeigeführt.

Dem Wunsche Wellington’s gemäß traf hier jetzt eine starke preußische Colonne, der Heerestheil Zieten’s, der über Ohain marschirt war, zu seiner Unterstützung ein. Es war die Brigade Steinmetz mit ihren Bataillonen, Batterien und den kühnen Reiterschwadronen unsers Bildes in voriger Nummer. Allen voraus eilte der Oberstlieutenant von Reiche, Chef des Generalstabes bei Zieten. Ihm schien die Schlacht keinesweges ungünstig für Napoleon zu stehen. Bald hörte er auch, daß es der letzte Moment sei, thatkräftig mit einzugreifen, indem sich Wellington im andern Fall zum Rückzug genöthigt sehen würde. Reiche suchte den Anmarsch möglichst zu beschleunigen. Gerade eben waren Papelotte und La-Haye vor diesem linken Flügel Wellington’s genommen; es handelte sich zunächst darum, die Franzosen wieder aus der wichtigen Position zu vertreiben. Da räumten, durch den Anmarsch der Preußen erschüttert, die Franzosen gegen sieben Uhr, ohne angegriffen zu sein, die erst vor kurzem besetzten beiden Pachthöfe, und nun konnten bald zwei preußische Batterien zur Unterstützung der Engländer auf eine Anhöhe bei Smouhen aufgefahren werden. Aber bei dem entsetzlichen Pulverdampf, bei dem Hin- und Herwogen der Massen, mußte es zweifelhaft sein, ob die Geschütze Freund oder Feind treffen würden. Alle schwankten, was zu thun sei. Da sagte Reiche: „Ich übernehme alle Verantwortung,“ und richtete dann selbst die sechszehn Geschütze mitten auf den dicksten Haufen. Die Kugeln schlugen rechts ein in die von Ney geführten Angriffscolonnen, links in Lobau’s Heertheil, der um Planchenois kämpfte. Gleichzeitig ließ Zieten eine Angriffscolonne unter dem Obersten von Hofmann gegen französische Schaaren, die soeben Nassauer geworfen hatten, stürmend vorrücken. Es entstand bei Smouhen ein kurzes, aber lebhaftes Treffen, in dem die Preußen Sieger blieben.

Das Gefecht kam jetzt auf der ganzen Linie der Franzosen eine kurze Weile zum Stehen. Aber der Eindruck, den Zieten’s Erscheinen, besonders sein kräftiges Eingreifen durch die beiden Batterien bei Smouhen machte, muß ein ungeheurer gewesen sein. Bald begannen die feindlichen Angriffscolonnen zu wanken. Nur die Garden suchten ihre Haltung noch zu bewahren. Frohlockend sahen die Verbündeten, wie sich die Reihen der Feinde auflösten, wie dann, es mochte acht Uhr Abends sein, eine allgemeine wilde Flucht ihren Anfang nahm. Napoleon selbst sagte: „C’est fini.

Um diese Zeit kam zu den beiden von Reiche dirigirten Batterien ein Adjutant Wellington’s und forderte ihn auf, mit Schießen einzuhalten, weil der Herzog mit der ganzen Linie vorrücken wolle. Sofort schwiegen die Kanonen.

Wellington stieg dann mit seinen stark gelichteten Reihen die Anhöhen hinab und fand dabei, nach eigenem Geständniß, keinen erheblichen Widerstand mehr. Als er aber am Fuße der Stellungen der Franzosen angekommen, formirte der Herzog schnell seine Truppen, denn oben hielten noch einige feindliche Bataillone. Zum Angriff kam es auch hier nicht. Als die Engländer vorgingen, wichen die Feinde. Das war – nur englischer Uebermuth kann es verhehlen – Zieten’s Werk. Oberst Hofmann hatte jetzt die Franzosen geworfen. Er drängte unaufhaltsam hinter ihnen her. Und gleichzeitig brach Zieten mit Reitern vor. Die Wellington entgegenstehenden Bataillone wurden dadurch vollends erschüttert; sie wichen, ehe der Herzog sie erreichte. Jetzt hatte sich auch der blutige Kampf um Planchenois entschieden. Vergeblich war Lobau’s Heldenmuth, vergeblich der tapfere Widerstand der Garden; sie wurden geworfen, wie auch alle Uebrigen, und wurden mit fortgerissen in den wilden Haufen, den jetzt die beiden verbündeten Heere als den bejammernswerthen Rest der Armee, die noch bis zur Ankunft der Preußen den Sieg zu erlangen schien, vor sich hertrieben. Die Schlacht war entschieden, einzig und allein entschieden durch die Preußen. Niemand wußte dies besser, als Wellington; es galt daher seine ganze Schlauheit, um sich allein den Ruhm des Tages zu vindiciren. Und dies ist seiner feinen Berechnung meisterhaft gelungen. Er befahl nämlich, daß die ganze Heereslinie unter seinem Commando die steilen Abhänge hinab vorgehen und den allgemeinen Angriff eröffnen solle. „Mit seinem Kennerblicke übersah er,“ schreibt Müffling, der bekanntlich als preußischer Bevollmächtigter in Wellington’s Hauptquartier dem Feldzuge von 1815 beiwohnte, „daß die französische Armec nicht mehr gefährlich war; zwar wußte er ebensogut, daß er mit seiner zusammengeschmolzenen Infanterie nichts Bedeutendes mehr ausrichten konnte, aber wenn er stehen blieb und der preußischen Arrnee allein die Verfolgung überließ, ohne die Aufstellung zu verlassen, in der er die Angriffe der Gegner abgeschlagen hatte, so hätte die Schlacht vor ganz Europa das Ansehen gehabt, als ob die englische Armee sich zwar tapfer vertheidigt, aber die preußische Armee die Schlacht allein entschieden und gewonnen hätte.“

Von allen Seiten drängten denn die Feldherren der Verbündeten an der Spitze ihrer siegreichen Schaaren auf die frühere Mitte des feindlichen Heeres ein, wo jetzt ein wüster Knäuel sich zusammengeballt. Dort, bei dem Wirthshause La Belle Alliance, begegneten sich durch Zufall Blücher und Wellington. Blücher schlug vor, die Schlacht nach dem beziehungsvollen Namen dieses ergreifenden Wiedersehens zu nennen. Er that das ohne sorgsame Ueberlegung, doch in dem guten Bewußtsein, daß das Ausharren der Engländer den Sieg ermöglicht und das rechtzeitige Erscheinen der Preußen ihn herbeigeführt. Aber er wußte noch nicht, daß Wellington die ganze Ehre des Sieges für sich allein in Anspruch nehmen und ihn deshalb nach seinem Hauptquartier Waterloo nennen wollte. Doch wurde jetzt die wundervolle Eintracht nicht gestört, und willig übernahmen die Preußen den zweiten Theil des blutigen Werkes, die energische Verfolgung des Feindes.

„Wie man siegt, haben wir jetzt gezeigt; nun wollen wir auch zeigen, wie man verfolgen kann!“ rief Gneisenau noch auf dem Schlachtfelde aus. Wellington aber erklärte bei jener Zusammenkunft mit Blücher, seine Truppen seien zu erschöpft, um dem Feinde folgen zu können. Da versammelte der alte Feldmarschall schnell die anwesenden preußischen Officiere und erklärte, daß sie den letzten Hauch an die Verfolgung der Feinde setzen müßten. Sofort brachen die Preußen auf. Unter lautem Hurrah führte Gneisenau persönlich ein noch geordnetes Füsilierbataillon vom fünfzehnten Regiment dem Feinde auf den Fersen nach und drängte unaufhaltsam immer weiter und weiter. Bis Genappe zog auch der alte Blücher, trotz der Ueberanstrengung und der Schmerzen seines Körpers, mit. Von da an leitete Gneisenau allein die wilde Jagd.

Die Franzosen aber hatten sich vollständig aufgelöst. Ihre wirren Haufen rissen Alles mit sich fort: den durch das Uebermaß der Niederlage stumpfen Napoleon, die stolzen Generale und Marschälle, die kriegerischen Garden, den flüchtigen Train. Wo ein Versuch des Sammelns gemacht wurde, scheuchten preußische Trommeln und Hörner von Neuem auf. Napoleon’s Wagen, mit wichtigen Papieren und Kostbarkeiten aller Art, wurde erbeutet; er selbst mußte in größter Eile ohne Hut flüchten. Gegen Morgen erreichte Gneisenau mit dem kleinen Häufchen, das ihm noch hatte folgen können, fünfzig Uhlanen, das Städtchen Frasnes. Hier, etwa dritthalb Meilen vom Schlachtfelde, hielt er an, um die ersten Strahlen der Sonne zu erwarten.

Der alte Blücher, auf das Schlachtfeld zurückgekehrt, schrieb aber um diese Zeit an Knesebeck: „Mein Freund. Die Schönste Schlagt ist geschlagen. Der herligste Sieg ist erfochten. Das Detallie wird er folgen; ich denke, die Bonaparte’sche Geschichte ist nun wohl für lang zu ende. La Bellaliance den 19. früh. Ich kann nicht mehr schreiben, den ich zittere an alle glieder. Die Anstrengung wahr zu groß.“

Und wahrlich, die herrlichste Schlacht war geschlagen! Hätte Grouchy nicht gleichzeitig den General Thielmann durch doppelte Ueberzahl bei Wawre zurückgedrängt und dann verdeckt die Grenzen seines Vaterlandes zu erreichen vermocht, so würde keine französische Armee den heimischen Boden wieder betreten haben. Fast ein Dritttheil der Mannschaft Napoleon’s war getödtet oder verwundet; 7600 wurden gefangen genommen. Der Rest war völlig entmuthigt. Die Armee Wellington’s erbeutete 122, die Preußen in Planchenois 60, später in Genappe noch 80 Kanonen; die reichen Vorräthe ungerechnet. Aber der Sieg wurde auch theuer bezahlt. Wellington verlor an 13,000 Mann, worunter gegen 3000 Deutsche. Der harte Entscheidungskampf der Preußen um Planchenois kostete über 6000 Mann, während Zieten auch noch gegen 700 verlor.

Es waren aber die Opfer des Preises werth. In unaufhaltsamem Marsch ging es jetzt nach Paris, das nach elf Tagen capitulirte. Unser Vaterland war damit von der neuen Gefahr befreit, die sich so drohend erhob. Freilich sind dann auch bei dem zweiten Pariser Frieden die deutschen Angelegenheiten nicht im nationalen Sinne vertreten worden, und demnach ist auch der Erfolg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 136. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_136.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)