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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Oft, wenn Du mit Deinem Reichthum, Deiner schönen, allbewunderten Gattin, mit Deinen Ehren und Orden, im Zimmer Deines armen Schloßkaplans zusammenbrachst, von unbefriedigtem Stolz, eingebildeter Eifersucht oder Herzensleerheit gefoltert, und mit Thränen ausriefst: „„Wo ist das Glück?““ hab’ ich, Dein Untergebener, Dich bemitleidet; ich, besitzlos, wunschlos – ich fand mehr als Glück, ich fand Glückseligkeit! … Heinrich, sei wie die Andern, oder gleiche mir! Für einen Hamlet ist weder auf Erden, noch im Himmel Platz!“

„Ich beneide Dich, Angelo, und, beim Himmel, gern ahmt’ ich Dir nach!“ rief der Graf im heftigen Seelenkampf. „Aber Dir gewann die Welt niemals ein Lächeln ab, Du verachtetest sie immer; ich dagegen ließ mich in den Wirbel ziehen, meine Lippen haben geküßt, ach, so selig geküßt! Mein ist ein Weib; ich habe Freunde und treue Diener.“

Angelo lächelte triumphirend. „Prüfe dies Gold!“ rief er. „Gräfin Stephanie liebte in Dir die Freuden, die Dein Reichthum gewähren konnte. Durch Deinen Tod wird sie selber mächtig. Ihre Leidenschaften braucht nicht mehr die Klugheit zu bändigen – Ich bin ja frei! wird sie nach wenigen Monaten sich sagen, und die sanfte, blonde Stephanie wird ein stolzes, grausames, lusttrunknes Weib sein – wie alle vom blauen Blut.“

Heinrich war mit wuthbebenden Lippen emporgesprungen und preßte krampfhaft den Arm des Höhnenden. „Niemals!“ stammelte er. „Den würd’ ich tödten, der außer Dir von meinem Weib so spräche!“

„Hast Du nicht selbst mir gestanden,“ fuhr der Andere unerbittlich und furchtlos fort, „daß zuweilen in Stephaniens Augen ein Feuer wie aus tiefstem Höllenabgrund emporschlage? In diesem Zimmer hingst Du an meiner Brust und klagtest, daß sie mit ihrem Blick und ihrer süßen Rede Dich zum Teufel mache. Und dann wieder warst Du untröstlich über ihre Kälte … Deine Freunde – ach, Keinen wird Dein und empfangener Wohlthaten Andenken hindern, Stephanie Dich vergessen zu lehren und Dein Erbe zu plündern. Und Dienertreue – wer glaubt daran noch? … Sei ein Jahr lang für die Welt todt und dann, rückkehrend in die Welt, erfahre, was für ein Nichts ein Menschenleben ist! Stirb als der mächtige, reiche Graf von Waldenburg und tritt als armer, namenloser Fremdling in Deine Kreise – und dann sage mir, was Menschen sind!“

„Ich will’s,“ sprach Heinrich entschlossen … „Ich weiß,“ fügte er bitter hinzu. „Ich kann nicht zurück, Himmel und Erde stritten sich von jeher in meiner Seele, und doch war sie von beiden verlassen. Am Stoffe hängend, nach Läuterung mich sehnend, flüchtete ich mich in Deine Arme. Von Dir überredet, vollbrachte ich den ungeheuren Betrug. Wenn das Lebensglück zweier Menschen darüber zu Grunde geht und Fluch das Ende des Frevels ist, wälz’ ich die Verantwortung vor dem ewigen Richter auf Dich.“

„Glaubst Du,“ erwiderte ruhig der Andere, „ich hätte das kühne Spiel gewagt, wenn ich nicht gewiß wäre, Dich damit zu retten? Doch vergiß Dein Gelübde nicht: wenn Du nach einem Jahr die Welt im wahren Licht erkanntest, der Welt für immer zu entsagen, Dich vom Weibe zu trennen und Dein Gut unserer Kirche zu geben!“

„O Freund,“ sagte der Graf, „wenn ich die Menschen treulos und das Leben eitel finde, werd’ ich dann auf die Treue des Goldes schwören? Nein, dann bau’ ich meine Hoffnungen nur noch jenseits der Sterne auf.“

„So laß uns gehen!“

Sie verließen das Gemach. Eine Wendeltreppe hinab gelangten sie durch ein geheimes Pförtchen auf die Terrasse, welche sich längs der östlichen Front des Schlosses hinzog. Eine breite Steintreppe führte zum Park hinab, doch traten die Baumgruppen auf beiden Seiten zurück, so daß von der Terrasse der Blick auf den Fluß und das jenseitige Ufer frei blieb. Dorf und Schloß Waldenburg liegen unweit der italienischen Grenze in einem waldigen Gebirgsthal, in einer Landschaft voll wilder Schönheit und ungebändigter Kraftfülle. Ein tobender Fluß theilt das Thal in zwei Hälften. Am linken Ufer zieht sich die Heerstraße südwärts, bald dem Wasser entlang geleitet, bald in’s Waldesdickicht sich verlierend und dann wieder dicht an die senkrechte Felsenwand sich schmiegend. Sie führt mitten durch das Dorf Waldenburg, das hochgelegene Schloß zwischen sich und dem Fluß lassend. Am andern Ufer dehnte sich unabsehbarer Wald aus, über dessen Wipfel die Bergkegel riesig emporsteigen, uralte Bäume wie Blumensträuße und schäumende Bäche wie wallende Bänder an der Brust.

Als Heinrich mit seinem Gefährten in’s Freie trat, stand der Vollmond über der Bergkette und wölbte sich der wolkenlose Sternenhimmel einer Juninacht dawider. Diese Fülle tiefster Schatten und milchweißen Lichts sänftigte die wilde Starrheit der Gegend und gab ihr einen schwermüthig feierlichen Charakter. Wohl rauschte der Fluß, aber das uralte Wellenlied: Fort! fort! fand kein Echo im schlafenden Wald und in seiner flugmüden Vöglein Brust. Selbst die unbewegte Bergluft war weicher durch den Duft, den die Orangenblüthen im Schloßpark ausströmten.

„Ach, Freund,“ sagte Heinrich, während sie langsam die Terrasse hinabstiegen, „als ich Deinen Trank schlürfte, schwanden meine Sinne, schwammen meine Gedanken mählich dahin. Eine süße Lethargie wiegte mich ein. Nie mehr erwachen! war der letzte Wunsch oder Traum, bevor ich ganz in kalte Nacht versank. Aber jetzt der dumpfen Gruft entflohen, athme ich Wollust unter diesem Sternenhimmel, in dieser herrlichen Natur!“

„Blinder Schwärmer!“ versetzte der Andere, „die Giftdünste des Grabes athmest Du auch in diesem schmeichelnden Aether; der Wurm nagt auch im grünen Baum, im Blumenkelch. Ein Kampf Aller gegen Alle, das ist die Losung der Natur, und ihre schönsten Blüthen treibt sie aus Verwesung.“

Aber der Graf hörte nicht auf Angelo; er hielt sein Antlitz dem Schloß zugewandt. Plötzlich blieb er stehen, ergriff hastig den Arm seines Begleiters und wies nach dem letzten Fenster des ersten Stocks. Dort erschien Licht. „Es ist Stephanie,“ flüsterte Heinrich.

„Du zitterst?“

„Es ist Stephanie,“ wiederholte Jener hoffnungslos.

„Was hat sie im Erkerzimmer zu thun ?“ fragte Angelo verdrießlich.

„Horch! sie öffnet ein Fenster.“

„Glücklicher Weise eines auf der andern Seite.“

In diesem Augenblicke ließ sich aus der Ferne ein dumpfes Rollen hören. „Ein Wagen!“

„Ah, ich begreife jetzt,“ erwiderte der Priester. „Die Gräfin blickt nach der Heerstraße aus. Cousin Edgar kommt.“

„Edgar? Weiß er denn …?“

„Ich selber schrieb ihm auf Deiner Frau Befehl die Trauernachricht. Ich muß gestehen, daß er zu trösten sich beeilt. Aber fort, Freund, fort, bevor das Schloß wach wird! Beim Pavillon brach ich soviel Steine aus der Parkmauer, daß Du bequem hinüber gelangst. Linksab führt der Schmugglerweg. Ich habe dafür gesorgt, daß er heute frei bleibt. Mit Sonnenaufgang kannst Du drüben im grauen Kloster sein. Der Prior hat meine Weisung; ungefragt wird man Dich zu den guten Vätern von Monteverde befördern. Dort erhältst Du binnen drei Tagen meinen ersten Brief. Fort, es ist höchste Zeit! … Gott über Dir, entlaß ich Dich; kehre zurück, Gott in Dir!“

Sie umarmten sich. Bald darauf verschwand der Graf zwischen den Bäumen … Am Pavillon blickte er noch einmal nach seinem Schloß zurück. Das Licht im Erkerzimmer war verschwunden. Er winkte mit der Hand … „Leb wohl, Stephanie! auf Wiedersehen!“ … Dann schwang er sich über die Mauer, überschritt die Straße und schlug den geheimen Waldweg ein, der zwischen Felsengeklüft aufwärts führte. Unsichtbar begleitete ihn der Fluß mit seinem Rauschen, das bald schwächer, bald stärker sich vernehmen ließ, zuletzt nur noch dumpf wie das geheimnißvolle Wehen tiefster Waldgründe. Den jähen, grausigen Abhang entlang führte der schmale Pfad, ein Fehltritt war sicherer Tod; aber Heinrich’s Fuß war fest; er kannte die wilde Bergnatur und ihre Gefahren seit seiner Knabenzeit. Vom scharfen Ost umweht, klomm der Todtgeglaubte höher und höher.


Ein Jahr war seit Heinrich’s Auferstehung und Flucht vergangen. Die Gräfin Wittwe war unbestrittene Erbin und Gebieterin von Waldenburg, denn Niemand außer Angelo wußte, Niemand ahnte das Geheimniß. Der jüngste Sarg in der Ahnengruft stand unberührt und vergessen, wie die andern. Der Grünspan nahm, wie der Staar dem Auge, dem Metall den glänzenden Blick; Staub lagerte sich auf den goldgestickten Sammet, und eine Spinne zog ihr Netz zwischen Sarkophag und Wand.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 210. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_210.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)