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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

versetzt glauben, wo diese Einfachheit noch allgemein Sitte war. Nicht einmal eine stattliche Bibliothek paradirt an der Wand; nur schmucklose, aber vielgebrauchte Bücher füllen die Breter. Und der Arbeitstisch zeugt davon, daß der Mann „seine Feder“ nicht vergeblich besungen, daß sie in der That „ein arbeitsames Werkzeug, sein Rüstzeug und seine Ehrenwaffe“.

Eines erkennen wir auf den ersten Blick: daß in diesem Raume mancher stille schwere Kampf gekämpft wird zwischen äußerem Beruf und innerem Sehnen. Hier Briefe, Manuscripte, neue Bücher, Broschüren und Zeitschriften, alle auf Beantwortung, Prüfung und Beurtheilung wartend, und dort aufgehäufte Skizzen zu eigenen Werken, Anfänge von Dichtungen aller Art, halb verdeckt, wie um sich nicht zu sehr zu zeigen und doch nicht ganz vergessen zu werden. Zu diesen zieht es das Herz, zu jenen die Pflicht. Da ist oft mancher Gang der Beruhigung durch das Zimmer nöthig, bis gewöhnlich die stärkere Sorge siegt; schweraufseufzend weicht der Dichter und überläßt dem Kritiker den Platz am Tisch allein.

Von aller schriftstellerischen Thätigkeit ist diejenige, welche Hermann Marggraff’s Lebensberuf wurde, die schwerste und die undankbarste zugleich. Sie erfordert ein ausgebreitetes Wissen, einen gestählten Charakter und ausdauernde Arbeitskraft. Es gilt nicht blos, Buch zu führen über alle bemerkenswerthen Erscheinungen der vaterländischen Literatur und durch Lob und Tadel einfach die Schafe von den Böcken zu scheiden; der Kritiker, dem die Nationalehre am Herzen liegt, wird die Literatur nie anders, wie als den Ausdruck des Nationalgeistes auffassen, und wie er in allem Mittelmäßigen und Schlechten nur Krankhaftes erkennt, gegen das er mit der Entschiedenheit eines gewissenhaften Arztes zu verfahren hat, so wird er alle guten Werke mit der Freude des Patrioten begrüßen, der ein Nationalgeschenk in Empfang nimmt. Nur auf diesem Standpunkt ist ein Urtheil ohne Ansehen der Person möglich, und nur ein solches Unheil ist befähigt, veredelnd auf die Entwickelung des Nationalgeistes einzuwirken. Auf dieser Höhe stand Marggraff und von ihr aus leitete er namentlich die Redaction der allbekannten „Blätter für literarische Unterhaltung“, denen in den letzten zehn Jahren seines Lebens seine Thätigkeit vorzugsweise gewidmet war und die ihm allein ihre stets würdige und edle Haltung und dadurch ihre hohe Geltung in Deutschland verdankten.

Indeß wird es Zeit und ist es zum Verständniß der literarischen Bedeutung dieses Schriftstellers nothwendig, seine Vergangenheit an uns vorübergehen zu lassen.

Hermann und der Münchner Kunsthistoriker Rudolph Marggraff sind die Söhne eines Obersteuereinnehmers zu Züllichau, wo sie eine glückliche Kindheit und Beide ihre Gymnasialzeit verlebten. Hermann, am 14. Septbr. 1809 geboren, kam 1829 nach Berlin, um Philologie und Philosophie zu studiren und später den akademischen Lehrstuhl zu besteigen. Bald zogen ihn jedoch die damaligen beiden einzigen Kampfgebiete der Journalistik, die Literatur und das Theater, in ihre anregenden Kreise, so daß er sich ihnen mit Leib und Seele verschrieb: er war „unter die Journalisten gegangen“, unter die geistigen Streiter der Tagespresse, und ward bei ihrer Fahne festgehalten, bis er sie, aus Liebe und Noth, selbst festhielt und mit ihr in der Hand fiel. Daß die Rührigkeit seiner Feder ihm so früh, im Jahre 1836, die erste Redaction („Berliner Correspondenzblatt“) einbrachte, ward verhängnißvoll für sein ganzes Leben. Es liegt ein hoher Reiz in der selbstständigen Leitung eines Blattes, es ist eine Wirksamkeit, die dem Manne voll Thatkraft und Strebelust schmeichelt, es ist ein Amt voll Macht und Einfluß. In den glücklichen Tagen der geistigen Elasticität der Jugend wird das rastlose Drängen und Gedrängtwerden der von der Zeit gebotenen Thätigkeit nicht als Last gefühlt, das Aufreibende der vielseitigen Arbeiten nicht empfunden und selbst die von Zeit zu Zeit aufsteigende Sehnsucht nach eigenem freierem Schaffen leichter besiegt. Aber die Jahre ändern den Menschen, der Reiz der Redactionsgloire schwindet, die Last wird schwerer, die Sehnsucht stärker, die Elasticität schwächer, und wenn äußeres Glück den ermattenden Kämpfer nicht vom Schlachtfeld zu einer freundlichen Stätte des Friedens führt, so ist ein stilles Hinschmachten in innerer Zerwürfniß das traurige Loos des einst so wackern Streiters.

Hermann Marggraff war ein solcher wackrer Streiter, und zwar einer, der von einem Kampffeld zum andern zog, immer mit demselben ritterlichen Anstand und bürgerlichen Fleiß, aber auch immer fern davon, seine „Ehrenwaffe“ in einem Concurrenzkampf literarischer Geschäftsvortheile zu führen. Wie ein echter Ritter vermochte er es nie, sein Schwert zu einem Handwerkszeug der Speculation für sich zu machen, er führte es stets nur für die gute Sache, die er verfocht, und für den Stand, dem er angehörte; ihm wog allezeit die Ehre schwerer, als der Mammon, der sich freilich deshalb um so gemeiner an ihm rächte. – Nachdem Marggraff 1837 Süddeutschland bereist hatte, finden wir ihn im folgenden Jahre in Leipzig. Hier betrieb er die Herausgabe der „Münchner Blätter für Kunst“ und betheiligte sich eifrig an der daselbst blühenden Journalistik. Hier schloß er damals auch seinen Ehebund. Dennoch setzte er auch von da seinen rastlosen Stab wieder weiter; er siedelte 1843 nach München über und arbeitete hauptsächlich für die süddeutsche Presse. Dies veranlaßte 1845 seine Einladung nach Augsburg zur Redaction der „Allgemeinen Zeitung“ und 1847 nach Heidelberg, wo die „Deutsche Zeitung“ dem damals in Deutschland erwachenden freien national-politischen Geiste als Organ dienen sollte. Das Blatt, wie ganz Deutschland, vom Jahre 1848 überrascht, theilte das Schicksal des deutschen Parlaments, und nachdem die eigenen Begründer es verlassen, führte Marggraff allein es, von Frankfurt aus, noch bis zum Herbst 1849 fort, – die undankbarste von allen seinen Arbeiten, die ihm die unsäglichsten Anstrengungen schließlich noch mit eigenen Verlusten lohnte. – Nachdem er noch einige Zeit das „Frankfurter Volksblatt“ redigirt, ward ihm (im Sommer 1851) die Mitredaction des „Altonaer Merkur“ angetragen. Da er jedoch 1850 ein Heftchen Lieder zum Besten der Schleswig-Holsteiner unter dem Titel: „Trutz Dänemark“ herausgegeben hatte, so ward er dafür aus dem dänischen Reiche ausgewiesen. Er übernahm nun (1852) das Feuilleton des „Hamburger Correspondenten“, folgte aber schon im Jahre 1854 der Einladung der Brockhaus’schen Buchhandlung nach Leipzig, wo er die Scholle fand, die ihn endlich festhielt und schließlich bedeckte.

Zehn Jahre lang, die Zeit seiner höchsten Manneskraft, von seinem 45. bis zum 54. Jahre, hat er den Blättern, für die er berufen worden war, den „Blättern für literarische Unterhaltung“ seine beste Kraft gewidmet, und zwar „mit jener Pflichttreue und jenem ausdauernden Fleiß, der (wie Robert Prutz es ausspricht) überhaupt einen so hervorstechenden Zug seines Charakters bildete.“ Ehrenwerthe Anerbietungen, wie eine Einladung nach Köln, hat er, den Blättern zu Liebe, ausgeschlagen; ebenso noch 1861 einen Ruf als Professor nach Kiel. Die rasch anwachsende Familie ward zum schweren Anker seines ehedem so leicht beweglichen Lebensschiffs. Aber warm, zum Ankeimen warm ist er in Leipzig nicht geworden, die immer tiefer nagenden Sorgen für die Seinen ließen ihn in letzter Zeit manchen sehnsüchtigen Blick in die Ferne thun, – aber dabei blieb’s. Ein Wunsch seines Lebens war es, nur einmal die Schweiz zu sehen, aber die Mittel zu einer solchen Reise waren für ihn zu unerschwinglich; ein Ausflug von Leipzig bis zur Wartburg, vier Stunden Eisenbahnfahrt, mit ein paar Tagen der Erholung in Thüringen, das war das Höchste, das er in diesen zehn Jahren für sich erringen konnte.

Kehren wir zurück zu dem edlen Ringer in seine Arbeitsstube, um sein Wirken in der Werkstatt seines Geistes zu betrachten. Da ist der emsige Mann mit seinem kindlich frischstrahlenden Auge, mit dem zuthulich hastigen Wesen, mit dem nur allzu offenen Herzen, in das auch ein Schurke sich einschleichen konnte und das oft so häßlich verrathen ward. Hätte er Alles, was er geschrieben, wie manche Andere von geringerem Werth, in einer Ausgabe seiner gesammelten Werke vor sich stehen, es würde eine imponirende Bändezahl sein; aber die Mehrzahl würde nur die Zeugnisse seines undankbaren Berufs enthalten, jene massenhaften kritischen Aufsätze, die vielleicht oft nur von einem einzigen Menschen, dem Verfasser des kritisirten Buchs, gewürdigt wurden und die doch die beste Kraft seines Lebens aufgezehrt haben.

Es ist, aber leider erst seitdem Hermann Marggraff im Grabe ruht, von Blatt zu Blatt die Anerkennung für sein Wirken als Kritiker und hauptsächlich als Redacteur der „Blätter für literarische Unterhaltung“ gedrungen; ebenso das Lob seiner fast grenzenlosen Gefälligkeit und Uneigennützigkeit Jedem gegenüber, der sich ihm mit einem literarischen Anliegen nahte; aber auch seine unerbittliche Strenge gegen jede unredliche Zumuthung gehört zu den Tugenden, wegen deren er den deutschen Kritikern als Muster aufgestellt werden darf. Und wenn sie jetzt an allen seinen kritischen Arbeiten im vollen Chor preisen „gediegenes Wissen, sittlichen Ernst, künstlerischen Geschmack, unparteiisches Urtheil, vor Allem aber –

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 214. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_214.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)