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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

die Augen dunkel, die Stirn niedrig und von schwarzem Haar umrahmt. Der Mund war groß, aber wenn sie lachte, zeigte er tadellose Zähne. Ihr Gemahl, dessen verblühtes Gesicht nichts Auffallendes hatte, als einen unmäßig langen Backenbart, saß der Gräfin zur Linken; Montigny hatte zwischen der Baronin und Fräulein Fanny Platz genommen.

Als Waldenburg sich näherte, schälte Stephanie mit ihren schönen Händen einige Orangen, riß die Scheiben geschickt von einander und überreichte die Krystallteller mit der zurechtgelegten Frucht den beiden Herren, welche die süße Kost von ihrer Hand bereitet sich erbeten hatten.

„Jedenfalls eine wilde Art, Vielliebchen zu gewinnen, Cousin!“ hörte Heinrich die Gräfin sagen. „Meine arme Fanny weckten Sie aus dem Schlaf und mir bereiteten Sie den zweiten Schrecken heute.“

„Den zweiten, meine Gnädigste?“ fragte Aßperg.

„Ja, mein erster war nichts mehr und nichts weniger als ein Schatten … Bon jour, Herr Stein!“ unterbrach sie sich, mit einer leichten Kopfwendung Heinrich begrüßend. „Mein Kaplan, Herr Stein! – Frau Baronin Aßperg – Baron Aßperg – Herr von Montigny.“

Man grüßte den Fremden, der sehr schüchtern erschien, vornehm kalt. „Nehmen Sie Platz, Herr Stein!“ lud Stephanie ein.

„Ein Schatten? schrecklich! ein Schatten war in Ihrem Zimmer?“ fragte die Baronin.

„Nicht in meinem, sondern im anstoßenden Gemach.“

Montigny that lächelnd die Frage: „Was für ein Schatten? Der Schatten eines Lehnstuhls oder des Kaminschirmes?“

„Halten Sie mich für kindisch, Herr von Montigny?“ entgegnete Stephanie gereizt. „Ein menschlicher Schatten, den ich wachend sah, der kam und verschwand. O, wenn ich jetzt ruhig davon erzähle, glauben Sie dennoch, daß diese Erscheinung mitten in der Nacht entsetzlich, beinahe tödtlich war.“

„Ich wäre gestorben,“ sagte die Baronin.

„Aber, theure Cousine,“ wandte Montigny ein, „nur feste Gegenstände werfen Schatten. Der fragliche also mußte Fleisch und Blut haben, einem Jemand angehören. Sie schlafen aber bei wohlverschlossenen Thüren. Wenn er ging, mußten Sie auch das Schloß drehen und die Thür gehen hören.“

„Fragen Sie Fräulein Fanny!“

Fanny berichtete, was sie vom Ereigniß wußte, daß sie tief in der Nacht vom Klingeln der Gräfin geweckt worden und augenblicklich in das Boudoir geeilt sei; daß sie die Gräfin halb ohnmächtig vor Schrecken über einen Schatten, im gelben Zimmer aber Alles unverändert und verschlossen gefunden habe.

„Mein Gott, am Ende spukt es in diesem Zimmer!“ sagte die Baronin. „Wählen Sie ein anderes Boudoir, liebe Stephanie !“

Diese wandte sich an Heinrich, der bisher kein Wort gesprochen hatte. „Was ist Ihre Meinung, Herr Stein? Glauben Sie an Gespenster?“

„Ich will die Todten ruhen lassen,“ erwiderte dieser langsam, „aber ich glaube an Gespenster unserer Seele. Gedanken, die uns beunruhigen, nehmen gleichsam Gestalt an und fallen wie Schatten auf unsern Weg … Erinnerte Sie das Schattenbild nicht an irgend eine bestimmte, Ihnen bedeutende Person, Frau Gräfin?“

Beim Klang von Waldenburg’s Stimme überfiel Stephanie wieder ein leises Zittern. Ihr Auge hing an seinen Lippen, ihr Gesicht ward plötzlich ernst und nachdenklich.

Edgar Montigny, dem der trübe Eindruck von Heinrich’s Rede auf seine Cousine nicht entging, sagte wegwerfend: „Sie nehmen das sehr feierlich, sehr poetisch, Herr Stein. Meine arme Cousine wird nun so lange sinnen und grübeln, bis sie einen Menschen zu diesem Schatten gefunden hat, und dann gute Nacht, süßer Schlaf! Nein, theure Gräfin, sehen Sie das Ding als das an, was es war, ein Schatten, ein Nichts!“

„Ganz meine Meinung,“ bemerkte Baron Aßperg.

Stephanie faßte sich gewaltsam und versetzte mit schwachem Lächeln: „Sie haben Recht, Montigny. Am Ende war’s nur eine Wolke, die über den Mond ging …

Fröhliche Musik unterbrach sie. Ueberrascht lauschten Alle, und Stephaniens Antlitz erheiterte sich dabei mehr und mehr. „Die Leute spielen nicht schlecht,“ sprach sie nach einer Weile. „Es ist das Musikcorps des Regiments Oranien, das in der Festung Rain liegt. Ich habe sie mir vom Commandeur erbeten, damit wir heute Abend gute Musik haben …“ Sie summte einige Takte der rauschenden Weise. „Eine allerliebste Polka,“ sagte sie und warf einen schelmischen Blick auf ihren Cousin. „Wollen wir nicht tanzen, Montigny?“

Au bal!“ jauchzte dieser und sprang empor. „Liebe Cousine, Frau von Aßperg – beginnen wir das Fest!“ Die Damen lehnten lachend ab.

„Montigny, Sie sind unverwüstlich,“ sagte der Baron, sich im Stuhl dehnend. „Heute Nacht bis zwei Uhr Ecarts mit mir gespielt; um fünf Uhr eine Schwalbe geschossen – ein verwünscht schwerer Schuß, meine Damen! – und nun denken Sie schon wieder an’s Tanzen! Unverwüstlich, auf Ehre!“

Hurrah’s schallten vom Dorfe her, Schüsse krachten und widerhallten in den Bergen. „Die Hochzeit!“ sagte Fanny. „Sie ziehen nach Wendelstein.“

Banks erschien und meldete, daß Gäste den Schloßberg herauf gefahren kämen. Alle erhoben sich. „Wir wollen die Ersten mit Blumen und wehenden Tüchern empfangen,“ rief Stephanie, glühend jetzt vor Aufregung und Lebenslust. „Kommen Sie, meine Freunde! kommen Sie! O, dieser Tag soll ein Tag der Musik, der Freude und des Uebermuthes werden!“

Der Baron bot ihr den Arm. Sie nahm ihn an und drehte sich nur noch flüchtig nach Heinrich um. „Ich sehe Sie bei Tisch, Herr Kaplan. Adieu!“ Sie gingen.

Heinrich sah schmerzbewegt seiner Gattin nach, bis sie um die Schloßecke verschwand. Dann sank er auf einen Stuhl, barg sein Gesicht in die Hände und flüsterte: „Todt! vergessen! … In der Verbannung von ihr ergraute mein Haar; mein Körper siechte, mein Herz brach vor Sehnsucht nach ihr – und sie, sie – – wollen wir nicht tanzen, Montigny?“




Die Tafel war glänzend. Der Fürst und die Fürstin Stauff befanden sich unter den zahlreichen Gästen; er ein alter, halb tauber Mann, aber mit dem Brillantstern des L…-Ordens auf der Brust und mit seinem Titel Durchlaucht für die Gesellschaft ein kostbarer Schmuck. Seine Gemahlin, mit flachsblondem Haar und weißen Wimpern, war ziemlich jung und leidlich hübsch.

Sie imponirte durch ihren unnahbaren Stolz. Die Uebrigen waren Gutsnachbarn in Begleitung ihrer Frauen und einige Officiere aus der Festung Rain.

Außer Fräulein Fanny galt nur Heinrich als Bürgerlicher.

Man beachtete ihn daher nur wenig, und er, mit Allen bekannt, von Allen einst als Graf Waldenburg ausgezeichnet, erfuhr als „der arme Priester“ jetzt, daß jene Verehrung nur seinem Rang und Reichthum gezollt worden.

Vor Tische flüsterten sich Einige die Bemerkung zu, daß der Kaplan mit dem verstorbenen Grafen eine entfernte Aehnlichkeit habe. Ein Lieutenant zog auch Montigny bei Seite und sagte mit ironischem Lächeln: „Du, der Schwarzrock dort hat etwas von den Waldenburgs. Er bekam wohl aus besondern Gründen diese Sinecure? Ein linker Bruder vom Seligen, was?“

Montigny bestritt lebhaft jede Aehnlichkeit. „Parbleu,“ schloß er, „sage von meinem „Vetter, was Du willst; er war nervös, mondsüchtig, überspannt, aber er sah doch immer wie ein Aristokrat aus, während ich diesen Herrn Stein niemals für Einen von Geblüt und ohne seinen Pfaffenkittel für einen ausgehungerten Schulmeister halten würde.“

Montigny sprach dies mit einem verächtlichen Blick auf den einsam stehenden, blassen Mann, sprach’s im übermüthigen Bewußtsein, daß ihn die Blicke aller Damen suchten, ihn alle Männer beneideten. Er war so hübsch, so geschmeidig und beredt. Zwar modegültig und elegant gekleidet, doch nur im schwarzen Gesellschaftsanzug, besiegte er gleichwohl selbst die Uniform. Gewachsen wie ein Antinous, hatte Montigny den Kopf eines schönen Provençalen. Das blauschwarze Haar, kräftig sich ringelnd, duldete kaum den Scheitel. Die glänzenden Augen, die aufgeworfenen Nasenflügel, die vollen Lippen, über welchen der keckaufgedrehte, schwarze Schnurrbart saß, verriethen Gesundheit, Temperament und sinnliche Kraftfülle. Man konnte ihn nicht ansehen, ohne auf einem feurigen Roß ihn dahinjagend sich zu denken. Er hatte außer dem Cavalier etwas Zigeunerhaftes in seiner Erscheinung, aber gerade dieser wilde Zug hob ihn in den Augen der Frauen, und er wirkte mit fast dämonischem Zauber auf sie.

(Fortsetzung folgt.)
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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 228. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_228.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)