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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Das weitberühmte Geläute der Domkirche besteht aus zehn Glocken. Im mittleren Thurme befindet sich die sogenannte große Glocke; sie ist Maria gloriosa getauft, wiegt 286 Centner, hat 15 Ellen im Umfange bei 6 Zoll Dicke und 5 Ellen Höhe. Die lateinische Inschrift lautet übersetzt: „Zum Preise der Gönner töne ich ruhmvoll, verjage die Wetter und bösen Geister, verkünde mit heiligem Gesange den vom Volke zu beginnenden Gottesdienst. Ehrh. Won v. Kempen goß mich. 1497.“

Im südlichen Thurme hängen drei Glocken von 66, 28 und 19 Centner, im nördlichen zwei von 82 und 38 Centner Gewicht. Ferner sind noch vier sogenannte Silberglocken vorhanden.

An den Hauptfesten erheben alle Glocken der zahlreichen Thürme der Stadt ihre Stimmen zu einem Geläute, wie wir es in Deutschland kaum schöner hören. Ueber alle die lauten Klänge hinweg herrscht natürlich die Maria gloriosa mit ihrem energischen, sonoren tiefen F, das, obgleich es die Luft auf Meilen durchzittert, von wundersamer Sanftheit erklingt.

Wie durch sein Glockengeläute so ist Erfurt auch durch Orgelspiel weithin berühmt. In einem langen Zeitraume bis heute hat die Stadt, wie Thüringen überhaupt, namhafte Organisten gezogen, deren Meisterschaft überall bekannt ist. Auch der Altmeister Joh. Sebast. Bach und sein Schüler Joh. Ludw. Krebs („der beste Krebs in meinem Bache“) sind in Thüringen geboren. Ein großes Orgelwerk ertönt im Dom. Wir treten durch den westlichen Haupteingang, von dem wiederum zwei Treppen zum Domberge hinabführen, in das Schiff, um von dem Innern des Doms sogleich den mächtigsten Eindruck zu empfangen. Es eröffnet sich vor uns eine fast unabsehbare Ferne von den buntesten Lichtern erhellt. Die ungemein hohen Gewölbe werden im Schiffe von acht Pfeilern getragen, so daß ein Mittel- und zwei ansehnliche Seitenschiffe gebildet werden. Das Quergebäude dehnt sich noch vor dem Chor aus, welchen ein schönes Eisengitterwerk abschließt. Einige Stufen führen zum hohen Chor, dessen Endpunkt der Hochaltar bildet.

Der Chor mit seinem kühngesprengten Gewölbe ohne alles Stützwerk, mit den kostbaren alten Glasmalereien, welche die Architektur durch lichtes Farbenspiel beleben, gewährt den erhabensten Anblick. Die Höhe der Gewölbe ist noch weit beträchtlicher als die des Langhauses. An beiden Seiten laufen Reihen von Chorstühlen, vortreffliche Holzschnitzarbeiten, hin; nur der Altar macht, abgesehen von guten Gemälden, dem Geschmack seines Erbauers wenig Ehre. Die sämmtlichen Fenster sind durchaus mit eingebrannten, zusammengesetzten Malereien erfüllt, welche in ihren figürlichen Darstellungen zwar mangelhaft, aber mit naiver und inniger Empfindung gezeichnet, prachtvoll colorirt und ein Schatz von höchstem Werthe sind. In der Mitte des Chors steht der sogenannte Wolfram, die metallene Gestalt eines fast lebensgroßen Mannes, in den ausgestreckten Händen Leuchter haltend. Es ist dies ein werthvolles Werk des 12. Jahrhunderts und wahrscheinlich die von einem Büßenden zur Sühne dargebrachte Gabe. Ein anderes Kunstwerk der neuesten Zeit, von dem rühmlich bekannten Erfurter Buchbinder Schropp aus Holz und Pappe gefertigt und der Kirche verehrt, ist der 18 Fuß hohe Kronleuchter, ein im reichsten gothischen Styl sich aufbauender Thurm mit einer Menge Statuetten. Die Kanzel nach Schinkel’s Entwurf und der Taufstein, ein vorzügliches Werk des 16. Jahrhunderts, ziehen im Schiff unsere Aufmerksamkeit auf sich. Daselbst ist ein riesiges Wandgemälde von 1499, den heiligen Christoph darstellend, wie er das Christkind durch die Fluthen trägt, eine Art Wahrzeichen von Erfurt. Darunter steht das interessante bemalte Denkmal des Grafen Ernst von Gleichen (1227), denselben zwischen seinen beiden Frauen darstellend. Unter mannigfachen bemerkenswerthen Bildern ist das vorzüglichste, eine Madonna von Lucas Cranach, in der Sacristei geborgen. Unter den Denkmälern zeichnet sich ein von Peter Bischer gegossenes aus. Von den vorhandenen zehn Altären sind mehrere schöne Werke der Sculptur und Malerei. Den Boden des Schiffes bedecken überall Leichensteine mit metallenen Epitaphien.

Zur Geschichte des Dombaues haben sich außer den steinernen Urkunden am Bau selbst nur dürftige Nachrichten in Annalen und Chroniken erhalten.

Bonifacius, der Apostel der Deutschen, errichtete um die Mitte des achten Jahrhunderts in dem damals noch kleinen Erfurt eine Kirche, welche er zum Sitz eines Bischofs in der Person seines Amtsgenossen Adolar zwar bestimmte, die aber nach dem Märtyrertode beider Heiligen (in Friesland 755) erst in ein Kloster, dann in ein Collegienstift verwandelt wurde, nachdem Thüringen dem Erzstift Mainz in geistlichen Dingen unmittelbar untergeben worden war. Um die Mitte des 12. Jahrhunderts stürzte der Bau theilweise zusammen, der Rest wurde niedergeworfen, und ein neuer weit größerer Bau begann wahrscheinlich 1153; denn das folgende Jahr wurden die Körper Adolar’s und Eoban’s beim Ausgraben der Fundamente feierlich erhoben und ausgestellt. Von den für diese Reliquien erlangten Opferspenden mag der Kirchenbau langsam weitergeführt worden sein. Die Gebeine beider Heiligen wurden in silbernen Särgen in einer Kapelle des Domes beigesetzt; im Bauernkriege bewahrte sie zu größerer Sicherheit der Rath der Stadt auf dem Rathhause, ließ jedoch später zur Zeit einer Hungersnoth aus dem edeln Metall der Särge Münzen schlagen, die den Numismatikern unter dem Namen „Sargpfennige“ bekannt sind.

Im Jahre 1225 wurde bereits die erste Orgel aufgestellt, und 1236 feierte man die Heiligsprechung der Landgräfin Elisabeth von Thüringen während zehn Tagen in festlichster Weise unter dem Zuströmen unzähligen Volkes. Eine der größten Glocken Europas, 300 Centner schwer, wurde 1251 auf den Thurm gezogen. Das Schiff der Kirche stürzte wiederum 1452 zusammen, und zwanzig Jahre später ereignete sich bereits ein neues schweres Unglück. Ein aus politischer Rachsucht an mehreren Stellen der Stadt angelegter Brand erreichte auch den Domberg, entzündete das Balkenwerk der Thürme und das Langhaus; die Glocken schmolzen, und das glühende Metall soll die breiten Stufen herabgeflossen sein.

Beim sogenannten Pfaffenstürmen und im Bauernkriege litt hauptsächlich der äußere Schmuck der Kirche; 1717 endlich zerstörte der Blitz die Thurmspitzen. Einen größeren Ruin aber brachte das Jahr 1813. General d’Alton, der französische Commandant der Festung Erfurt, zog die beiden Stiftskirchen wegen der hohen Lage und der Nähe der Citadelle Petersberg zur Befestigung der letzteren und ließ sie durch Palissaden mit ihr verbinden. Schon hierbei wurde rücksichtslose Zerstörung geübt; im Laufe der Blokade aber sind beide Gotteshäuser zu Ställen, Magazinen und Kasernen entwürdigt, und das Innere derselben mit vandalischer Rohheit gänzlich verwüstet worden.

Das Domcapitel begann 1829 hie Restauration des Innern, und 1842 wurde die neue Orgel des Meisters Hesse, aus Dachwig bei Erfurt, aufgestellt.

Wir dürfen diese Mittheilungen nicht schließen ohne ein Wort der Anerkennung für die Männer, welche seit einer Reihe von Jahren die Restauration des Aeußeren des herrlichen Domes leiten. Je langsamer diese gründliche Herstellung nach dem Maße der vom Capitel mit unermüdlicher Opferwilligkeit aufgebrachten Geldmittel vorschreitet, um so solider, geschmackvoller und harmonischer treten die neuen Theile in die Reihe der alten ein. Wir müssen uns über das bisherige glänzende Ergebniß freuen und nicht am wenigsten darüber, daß es besonders heimathliche Talente sind, die hier schaffen und wirken, und ein neues unwidersprechliches Zeugniß für die Tüchtigkeit unsers thüringischen Volksstammes ablegen. Leitende, wir dürfen wohl mit Recht sagen, inspirirende Behörde von ausdauerndster und kenntnißreichster Thätigkeit ist der Regierungs- und Baurath Drewitz; unter ihm arbeiten Pabst und Meygebauer im Bureau; dem Bildhauer Kölling und seinen Gehülfen verdanken wir die schönen Bildhauerwerke.

Mögen sie fortfahren die alten Wunden des schönen Tempels zu heilen, der mit vollem Rechte einst an der Spitze der Prachtbauten stehen wird, die anderwärts nur durch fürstliche Opfer und Beihülfe von Millionen ihrer Vollendung entgegengeführt werden konnten! Möge Thüringen den Dom als einen der ältesten Zeugen seiner bedeutenden Geschichte und die alte Hauptstadt hoch in Ehren halten, deren Ruhm noch vielen Jahrhunderten Erfurts Dom durch Glockenklang und Orgelton verkünde!

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 231. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_231.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)