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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Die folgenden Skizzen wolle man als Bausteine einer späteren Monographie über das deutsche Fuhrmannswesen betrachten, da dieses, trotz seiner Bedeutung für das Culturleben, noch in keinem kulturhistorischen Werke eine eingehende Beachtung erfahren hat.

Betrachten wir zuerst die Art der Fuhrmannswagen und ihrer Bespannung, so haben wir drei Perioden zu unterscheiden, von denen diejenige der Kärrner Jahrhunderte umfaßt und noch in das erste Decennium dieses Jahrhunderts hereinreicht, die zweite aber, diejenige der „Stiefelknechte“, nur von kurzer Dauer war und mehr als Uebergangsstadium zu betrachten ist, während die dritte die Zeit des großen Frachtfuhrwesens umfaßt, welches in seiner weitesten Entfaltung und in seiner schönsten Blüthe durch das Entstehen der Eisenbahnen plötzlich einen tödtlichen Schlag erlitt, um alsdann unter Krämpfen und schmerzhaften Zuckungen sein kümmerliches Dasein auszuhauchen.

Die Periode der Kärrner reicht offenbar bis in die früheste Zeit zurück, als in verschiedenen deutschen Städten Handel und Gewerbfleiß stiegen und das Bedürfniß nach Ein- und Ausfuhr erzeugten. Die Karren, welche der Kärrner fuhr, und von welchen er seinen Namen empfing, waren breite, zweirädrige Gestelle mit hölzernen Achsen. Auf dem Gestelle waren die beiden langen Karrenbäume und die breiten Wagenbrete befestigt, während die niedrigen, senkrecht stehenden Karrenleitern nur beim Beladen mit Getreide, Salz, Glas und Mineralwassern gebräuchlich waren. Eine Ausnahme hiervon machten nur die Krahwinkler Kärrner aus dem Gothaischen, welche den Kienruß vom Thüringer Walde nach Norddeutschland fuhren und dabei die höchsten Leitern führten, welche bei einem deutschen Kärrner gesehen wurden. Statt der Deichsel hatten die Karren die gabelförmige Barre, in welche ein starker, kräftiger Lüneburger Gaul gespannt wurde, vor welchem die übrigen Pferde, oft sechs bis zehn, in langer Reihe einzeln im Zuge gingen. Von dieser Art der Bespannung nannte man das Fuhrwerk Einzel- oder Enzfuhrwerk im Gegensatz zu dem späteren Stangenfuhrwerk. Die Pferde hatten tiefe breite Kummete, und auf dem zunächst vor der Barre gehenden Gaule lag ein Reitkissen. – Die Räder der Karren waren in früherer Zeit unbeschlagen, weshalb sie ihre Ankunft schon von Weitem durch dumpfes Rollen ankündigten. Unter dem Karren hing der kleine Schmiereimer, dessen Inhalt aus Oel und Pech bereitet wurde; denn den aus alten Kieferstöcken gewonnenen Theer benutzte der Kärrner nur im Nothfalle.

Da man in jener Zeit – wenigstens auf dem Gebiete des Fuhrmannswesens – weder den Hemmschuh noch das Schleifzeug kannte, so führte jeder Kärrner zwei Bündel von gegen zwei Zoll starken eichenen oder auch jungbuchenen Stecken mit sich, welche unter dem Gestelle der Karren so befestigt wurden, daß sie, sobald der Karren einen Berg oder Abhang hinab zu fahren war, in die Speichen der Räder eingriffen und vermöge ihrer Elasticität das Gefährt unter einem monotonen Klipp-Klipp zu hemmen im Stande waren. Von dieser drolligen Musik, die dadurch, daß oft zehn bis zwanzig Karren hinter einander fuhren, eine nicht geringe Verstärkung erhielt, ist der Name jenes uralten Hemmungsapparates – „Klippstecken“ – herzuleiten. War der Berg, welchen der Karren hinabzufahren war, sehr steil, wie n. A. die von jedem Fuhrmann gefürchtete, zum Theil mit Steinpflaster, zum Theil mit wilden Felspartien bedeckte Anhöhe zwischen Münden und Lutterberg, so wurden außerdem an beiden Seiten des Karrens Schleifbäume befestigt, welche das schnelle Herumdrehen der Räder verhinderten. Beispielsweise erwähnen wir, daß oben in Lutterberg hölzerne Hemmschuhe verfertigt wurden, wovon der Wirth (Elleritz) das Stück mit zwei Groschen an den Kärrner verkaufte. Kam der letztere unten am Berge an, so gab er die Hemmschuhe in der Einnahme ab. Hier wurde sortirt; diejenigen Hemmschuhe, welche auf der gefährlichen Tour Schaden gelitten hatten, wurden zu Brennholz verurtheilt, diejenigen aber, welche so aussahen, als ob sie eine zweite Partie wagen dürften, hatten die Ehre, von dem Wirthe in einem Wägelchen wieder hinauf geholt und stückweise mit zwei Groschen von Neuem verkauft zu werden. Bei der äußerst lebhaften Passage war es kein Wunder, wenn oft in wenigen Tagen sich ein Wägelchen noch brauchbarer Hemmschuhe angesammelt hatte. Zuweilen aber reichten alle bis jetzt genannten Hemmungsmittel nicht aus, um den Karren im Gleichgewichte zu erhalten, so daß häufig einige Pferde mit der Brust an den Hinteren Theil des Karrens gespannt werden mußten, um im entscheidenden Augenblicke von dem „Hinteren Kärrner“ zum Aufhalten zurückgezogen zu werden. – Kam der Karren zum Stehen, so dienten zwei Stützel dazu, den Karren im Gleichgewichte zu erhalten; der eine dieser Stützel war während der Fahrt an dem vorderen Theile der linken Gabel der Barre wagrecht befestigt, während der andere hinten am Karren an dem Verbindungsgliede der beiden Karrenbäume frei schwebte. Auf dem Kreuze des Barrengaules lag über dem sogenannten Futter ein kleiner Sattel, von welchem in früherer Zeit breite Leder, später aber Ketten nach der Barre herunterführten, mit der sie durch die sogenannten Schellen, starke eiserne Ringe, in Verbindung standen. Mittels dieses Apparates mußte der Barrengaul den Karren in wagrechter Richtung erhalten.

Das Geschirr war äußerst einfach und schmucklos. Was zum Zuge diente, war von Eisen; Stränge und andere Theile des Geschirres von Hanf gab es früher nicht. Der Kärrner gab den Lüneburger Hengsten aus mehr als einem Grunde den Vorzug; man rühmte diesen Thieren nach, daß sie äußerst klug und von großer Ausdauer seien. Deshalb waren die Pferdemärkte in Uelze in Hannover, später auch in Celle immer sehr besucht. Diese Karrengäule wurden drei-, auch vierjährig gekauft und zu Anfang dieses Jahrhunderts das Stück schon mit 12–16 Pistolen bezahlt. Daß die Lüneburger Gäule gelehrige Thiere waren, geht schon daraus hervor, daß ein und derselbe Kärrner gleichzeitig oft 4–6 beladene Karren mit sich führte, die dem ersten Karren nachfolgenden Geschirre also ohne besondere Leitung waren, so lange der Weg es zuließ. An schwierigeren Stellen mußte der Kärrner jeden Karren einzeln selbst weiter befördern. Waren aber Weg und Steg in leidlichem Zustande, dann schritt der Kärrner, aus einem holländischen Thonpfeifchen, oder aus einem mit Silber beschlagenen Ulmer, noch später auch wohl aus einem Meerschaumkopfe mächtige Rauchwolken vor sich her dampfend, vor dem vorderen Gaule gemächlich einher, mit dem Dreispitz oder Dreimaster auf dem Kopfe und mit der Alfelder Peitsche in der Rechten dem Gaul im Rücken winkend und ihn bedeutend. Wer hätte damals ahnen können, daß später eine ganz andere Pfeife und ganz andere Rauchwolken den fortzuschaffenden Frachtgütern vorausziehen würden!

In Alfeld in Hannover wurden die gedrehten Peitschenstiele schon seit alter Zeit aus Maßholderholz verfertigt, und es wurde das Stück um 6–7 Mariengroschen verkauft. Den Griff und den oberen Theil des Peitschensteckens umzog der Riemer mit Leder.

Die Kleidung des Kärrners bestand in kurzen schwarzledernen Hosen, an welche sich bis unter das Knie lange blaue oder auch weiße linnene Strümpfe anschlossen. Schwere derbe Schuhe bedeckten die Füße. Im Winter gewährten sogenannte halblange Gamaschen Schutz vor der Kälte. Außerdem trug der Kärrner über der langen, mit einer stattlichen Reihe großer versilberter Knöpfe verzierten Weste und dem tuchenen blauen Koller oder der kurzen Jacke einen langen weißen Kittel, zu welchem die Frau daheim an langen Winterabenden in ihrer Einsamkeit den selbstgebauten Flachs spann. Es versteht sich von selbst, daß die Ehefrau des Kärrners diese Kittel auch selbst nähete; wobei sie nie vergaß, den Vor- und Zunamen sowie den Wohnort ihres „Herrn“, wie sie den Gatten nannte, außen auf der Stelle, welche die Brust bedeckte, mit rothem Garne in etwas strammen Schriftzügen den Augen der Welt entgegentreten zu lassen. Endlich leistete ein weiß- und schwarzgestreifter Barchentkittel als Ueberzug noch einigen Schutz gegen Nässe und Kälte.

Sein Geld, welches natürlich in klingender Münze bestand, sowie die Brieftasche verwahrte der Kärrner in einer langen Geldkatze, die er unter dem Kittel um den Bauch geschnallt trug und auch in der Nacht auf der Streu umbehielt, während er in der linken Hosentasche ein ledernes Geldbeutelchen verbarg, um die kleineren Ausgaben am Tage zu decken. Aus der rechten Hosentasche aber blinkte, so oft der Kittel aufgehoben wurde, ein mit Silber ausgelegtes Besteck Messer und Gabel hervor, dessen sich der Kärrner beim Einnehmen der „Mundportion“ stets bediente. Ein Ranzen nahm alles Uebrige auf, was dem Kärrner auf der Reise nothwendig war: einige Hemden und Strümpfe, Pfriemen, Nadel und Riemzeug, Papier, Geld und das später zu besprechende Reisehandbuch, das Frühstück, ein in hölzerner Büchse verwahrtes Glas Bergöl oder sogenannten stinkenden Balsam, von Lausitzern auf der Leipziger Messe gekauft für den Fall, daß ein Pferd verschlagen sollte; in späterer Zeit auch ein Gläschen Salzunger Tropfen, die dem Kärrner im Erkrankungsfalle als Universalmittel galten „und urgut

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 266. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_266.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)