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waren“; selbst die Geldkatze mußte im Ranzen ein Plätzchen finden, wenn der Kärrner sich unwohl fühlte, denn in diesem Falle wurde der Ranzen dem Wirthe zum Aufbewahren übergeben. Das Beschlagzeug endlich – Hammer, Zange, Nagel und Hufeisen enthaltend – wurde in einem besonderen ledernen Beutel verwahrt.

Unsere älteren Leser werden aus eigener Erfahrung wissen, wie grundlos, namentlich in etwas abgelegenen Gegenden, noch vor wenigen Jahrzehnten Straßen und Wege waren, so grundlos, daß der Kärrner täglich nur wenige Meilen, oft selbst nur wenige Stunden zurücklegen konnte. Ja, es kam gar oft vor, daß er erst am späten Abend den nächsten Krug oder das nächste Dorf zu erreichen vermochte. Deshalb war es wohlbegründete Sitte, beim Ausführen am Morgen einen Laib Brod und eine Flasche Schnaps mitzunehmen, womit der Kärrner nicht nur sich selbst, sondern auch die Pferde stärken konnte. Auf ein Pferd wurden drei, im Sommer auch wohl vier Schiffspfunde Gut gerechnet, sodaß ein mit drei Pferden bespannter Karren mit 9–12 Schiffspfunden oder mit 27–36 Centnern beladen wurde, über welche sich das grobleinene, grauweiße Plantuch legte. Auf fortwährende Unterstützung durch sogenannte Vorreiter, wie dies beim späteren großen Frachtfuhrwerk der Fall war, wurde nicht gerechnet. „Vorspanne“ – dies war die Bezeichnung zur Zeit der Kärrner – wurde nur an hohen steilen Bergen begehrt, und auch selbst da wurden nie mehr als zwei Pferde verlangt. Die Kärrner halfen einander selbst; deshalb fuhren immer mehrere zusammen aus. In Gegenden, wo ganz besonders schlechte Wege zu passiren waren, sah man oft eine Reihe von 10–20 Karren hintereinander angefahren kommen. Man denke sich z. B. jenen berüchtigten Hohlweg zwischen Witzelrode und dem hessischen Barchfeld im Werragrunde; hier war im Herbst und Frühjahre der Schlamm des rothlettigen Bodens in solcher Höhe vorhanden, daß neben der langen Reihe des Enzfuhrwerkes häufig noch eine Wildbahn zur Seite angelegt werden mußte, welche durch Heftzügel mit den eigentlichen Karrenpferden in Verbindung gesetzt wurde und auf der schmalen, erhöhten Seite des Hohlweges ging. Da waren oft dreißig Pferde nöthig, um einen mit 40 Centnern beladenen Karren durchzubringen. Wie hätte hier ein einzelner Mann fortkommen können! – Manchen Tag wurde trotz aller Vorsicht zwei bis drei Mal umgeworfen, weshalb der Kärrner außer Hacke und Beil stets auch die Winde mit sich führen mußte. Hierzu kamen die Plackereien durch die Geleitsreiter, welche, wenn sie die Angaben des Geleitsscheines mit den Colli des Wagens nicht in Uebereinstimmung vermutheten, das Recht hatten, zu verlangen, daß auf offener Straße abgeladen wurde. An jedem Thore wurde Brücken- und Pflasterzoll verlangt, bei den damaligen vielen kleinen Reichsgebieten oft jeden Tag Geleitsgeld erhoben.

Die bestimmte Lieferzeit mußte bei Verlust der Fracht eingehalten werden; denn die Messe stand vor der Thür, oder das Schiff, welches die Güter weiterbefördern sollte, ging am festgesetzten Tage ab. Da mochten Wetter und Wind noch so fürchterlich wüthen, – der Kärrner mußte weiterzukommen suchen. Bei so vielen Hindernissen der verschiedensten Art – wollen wir uns wundern, wenn so mancher Kärrner das Fluchen lernte? – Was das Wetter anlangte, so mußte es schon schlimm kommen, ehe der Kärrner sich beschwerte. Die Gewohnheit hatte ihn abgehärtet; zudem stammten die bei weitem meisten Kärrner aus Gebirgsgegenden, wo ein kräftiger Menschenschlag von Haus aus wohnte, welcher mit der Rauhheit des Klimas und den Wechselfällen des Wetters von Kindheit an vertraut war. Wir werden weiter unten wahrnehmen, wie die berühmtesten Kärrner- und Fuhrmannsorte meist in Seitenthälern der Gebirge zu suchen sind, am Harze, am Thüringer Walde, im Fichtelgebirge, am Abhang der Pfälzer und westphälischen Gebirge etc. Alle diese Gegenden boten dem Kärrner, wenn er daheim blieb, ebenso zu wenig Beschäftigung, wie zu wenig Unterhalt; denn der Gebirgsboden gewährte nur kümmerliche Ernten, und die Bauerngüter in Gebirgsgegenden sind immer von geringem Complex. In alter Zeit war der Verdienst des Kärrners auch durchaus nicht gering anzuschlagen; daher denn auch die Thatsache, daß das Kärrnergeschäft durch viele Generationen in einer und derselben Familie forterbte. Von Lüneburg nach Nürnberg wurden vor hundert Jahren für das Schiffspfund (à drei Centner) 36 Thaler Fracht gezahlt, während noch zu Anfang dieses Jahrhunderts von Lüneburg bis Nürnberg 19 Thaler, von Lüneburg bis Coburg 14–15 Thaler pro Schiffspfund die Regel waren.

Als ständigen Begleiter auf seinen Kreuz- und Querzügen im Innern Deutschlands sowie auf den weiteren Touren nach Dänemark, Ost- und Westpreußen, nach Polen, nach Ungarn und den Donaufürstenthümern, wie auch nach Tyrol hatte jeder Kärrner ein Büchlein bei sich, welches seit alter Zeit ohne Angabe der Jahreszahl in Waldenburg gedruckt wurde und den Titel führte: „Der getreue Gefährte und Helfer“. Es zerfiel in zwei Abtheilungen oder in den geistlichen und den weltlichen Theil. Jener enthielt eine Sammlung von Gebeten, wie sie die verschiedenen Lagen des Fuhrmannslebens erforderten, dazu als Anhang eine Reihe von Gesangbuchsliedern, unter welchen die Rubrik „Reiselieder“ natürlich ganz besonders vertreten war. Es ist mir von hochbetagten ehemaligen Fuhrleuten, welche in ihrer Jugend noch als Kärrner fuhren, vielfach bezeugt, daß frühmorgens in jedem Fuhrmannsgasthofe, ehe die Morgensuppe und in späterer Zeit der Kaffee eingenommen wurde, aus diesem „getreuen Gefährten“ ein Lied gesungen und hierauf von dem ältesten der anwesenden Kärrner oder Fuhrleute ein Morgensegen aus demselben Büchlein laut vorgebetet wurde. Die Alten hielten streng darauf, daß ihre Söhne und Knechte an dieser Morgenandacht Theil nahmen. Auch ist mir aus sicherer Quelle die Mittheilung geworden, daß der Kärrner in älterer Zeit, sobald er eine große Reise unternahm, die vielleicht durch die Ungunst der Jahreszeit oder wegen zufällig größerer öffentlicher Unsicherheit mit besonderen Gefahren verbunden war, bei dem Pfarrherrn seiner Parochie um eine öffentliche Fürbitte am nächsten Sonntage seines Vorhabens wegen bat. Ein solches Bedürfniß mag dem Kärrner um so näher gelegen haben, als Jahr aus Jahr ein gar viele Unglücksfälle „auf der Straße“ sich ereigneten. Kam er dann wohlerhalten von der Reise zurück, dann schlich sein Weib an einem der nächsten Abende freudestrahlend in’s Pfarrhaus, um zu melden, daß „Er“ glücklich heimgekehrt sei, indem sie ihre Mittheilung durch einen handgreiflichen Beweis zu stützen suchte, der bald in einem Fäßchen Kieler Sprotten, bald in frischen Austern oder in einer Büchse Kaviar, bald auch in einem Säckchen Sago oder Reis und dergleichen Dingen bestand.

Der weltliche Theil des „getreuen Gefährten“ enthielt „allerhand nützliche Nachrichten und brauchbare Kupfer“, z. B. Zinstafeln, Einnahme- und Ausgabetafeln, Münz-, Maß- und Gewichtsvergleichungen, „allerlei nützliche Erinnerungen für Reisende“, namentlich auch ein Verzeichniß der dem Kärrner nöthigsten Wörter und Redensarten in spanischer, französischer, italienischer, schwedischer, polnischer, ungarischer und türkischer Sprache. Von besonders praktischer Bedeutung scheint mir für den Fuhrmann der sogenannte „Wegweiser“ in dem Büchlein gewesen zu sein, welcher alle nur erdenklichen Reiserouten in Deutschland und den angrenzenden Ländern in der Weise aufführt, daß nicht nur die einzelnen Orte, in welchen sich Fuhrmannsgasthöfe befanden, der Reihe nach verzeichnnet stehen, sondern auch die Entfernung derselben von einander nach Meilen für jede einzelne Route genau angegeben ist. Auch ein Bericht über das Postwesen ist beigegeben, aus welchem wir beiläufig erwähnen, daß man zu Ende vorigen Jahrhunderts für eine Person zahlte: von Hamburg nach Leipzig 8 Thlr. 12 gGr., von Hamburg nach Nürnberg sammt freier Kost 20 Thlr., von Hamburg nach Erfurt ohne Kost 9 Thlr., mit Kost 12 Thlr., von Hamburg nach Berlin im Sommer und Winter 6 Thlr. 9 gGr. – Außer dem Kalender bot der „getreue Gefährte“ auch eine Abhandlung über die Frage: „Was ist ein Wechsel?“ Ferner finden wir in diesem jetzt äußerst seltenen Büchlein ein Verzeichniß der Brücken über die hauptsächlichsten Flüsse Deutschlands, aus welchem wir beispielsweise entnehmen, daß dazumal über die Donau 25, über den Main 13, über die Elbe 12, über den Rhein, den Neckar und die Isar je 8, über die Weser 7 und über die Mosel 4 Brücken führten.

Wie reich und mannigfaltig der Inhalt dieses kleinen Gefährten war, mag auch daraus hervorgehen, daß er unter der Ueberschrift „Atzneibüchlein“ eine Reihe Recepte bietet. Neben sonst wohl Verständigem findet sich doch auch wunderliches Zeug, und da im neunzehnten Jahrhunderte in Sachen medicinae auch der größte Blödsinn seine Verehrer findet, so wollen wir im Interesse jener starkgläubigen leidenden Menschheit folgendes Mittel „für (?) die Schwindsucht“ hier notiren: „Siede in des Patienten Urin ein Ei und lege es geschält in einen Ameisenhaufen, die Schale auch dazu. Wenn die Ameisen das Ei gefressen, so wird der Patient wieder gesund.“ – Daß man auch in alter Zeit das Nützliche mit dem Angenehmen,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 267. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_267.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)