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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

wandte er sich düster ab und sprach: „Es ist zu spät. Wunden giebt’s, die nie vernarben, Kränkungen, die nie vergessen werden. Ich wie Jene, wir können einander nie verzeihen. Wir können auch nicht leben fürder. Deine Schuld am Vergangenen vergeb’ ich Dir. Das Künftige kommt nicht auf Dich … Lebwohl!“

„Ich folge Dir,“ sagte Angelo fest und erhob sich. „Darf ich nicht Dein Retter sein, so will ich Deinen Untergang theilen.“

„Freund, bleibe zurück! Ich gehe den Todesweg.“

„Ich folge Dir wie Dein Schatten.“

„Angelo, hoffe nicht, mich zu überreden, mich zu erschüttern! Wenn Gott selbst vom Himmel mir riefe – ich bin zu tief im Abgrund, ich höre Keinen mehr.“

„Ich hoffe Nichts.“

Sie traten aus der Hütte. Die Schneegipfel schienen feuerdampfende Pyramiden; die Felsen rings standen in dunkelrother Gluth.

„Nun küßte mein schönes Waldenburg die Sonne zum letzten Mal,“ sagte Heinrich leise vor sich hin. „Denn heute werfe ich statt des Schattens rothen Schein. Ich will das Schloß zu ihrem Verlobungsfest hell erleuchten.“

Sie traten die Wanderung an. Durch die öde Wildniß nackter Klippen und Felsennadeln kletterten sie mühsam bergab, bergan. Dann legten sie die weite Strecke grauer Lagen zurück, die mit Geröll bedeckt und von Rinnsalen durchfurcht waren. Rechtsab, jenseits des Strombetts, wie zur Linken sah das Auge steile Gesteinswände, reich an Geklüft und schneeigen Schluchten. Vor ihnen starrte die gigantische Felsenmasse, die Heinrichswand, und nach überklettertem Getrümmer mit Kieferngebüsch standen sie auf dem Steig zur schwindligen Höhe.

Unterdessen war der Abendschein verglüht, nur auf den höchsten Gipfeln zauderte noch ein leiser Farbenhauch; aber schon waltete am Himmel die milde Kraft der nächtlichen Gestirne.

Beide Wanderer hielten jetzt auf einem breitrückigen Steinblock kurze Rast. An ihre Stäbe gelehnt, richteten sie den Blick prüfend empor.

„Kehre zurück, Angelo!“ wandte sich Heinrich nach einer Weile zum Gefährten. „Das Wetter ging über Waldenburg nieder. Drüben an der Thalwand wird der Felsen feucht und schlüpfrig sein. Mich stählt, mich hält meine wilde Sehnsucht.“

Der Andere schüttelte das Haupt. „Ich gebe mich in Gottes Hand,“ erwiderte er.

Ihre Blicke begegneten sich. In ahnungsvoller Bewegung sanken sich Beide an die Brust; doch wechselten sie keine Worte mehr.

Dann stieg Waldenburg voran, und da ein trotziger Gedanke seine Kraft und Kühnheit verdoppelte, ließ er Angelo weit hinter sich. Mit weitgeöffneten Nüstern und wildem Blick klomm er den schmalen Pfad, den der Fels gewährte, empor. Aber trotz seiner Anstrengung kam er auch nur langsam vorwärts. Oft glitt sein Fuß auf dem glatten Gestein zurück, und seine ganze Wucht hielt dann der getreue Stab …

Wo nur noch der Gipfel wie eine Titanenwarte überhing, wand sich der Steig um die Ecke und senkte sich dann steil die Felsenbrust hinab. Die Brücke zur Teufelsmauer erschien dort oben noch ein schwaches Reis, über den entsetzlichen Abgrund gelegt, in dessen tiefster Tiefe der Fluß wühlte.

„Wenn ich zu spät käme!“ dachte Heinrich, als er in der unermeßlichen Einsamkeit der Gebirgsnacht das dumpfe Gezisch des Gewässers vernahm. „Wenn sie geflohen wäre mit Edgar!“ Dieser Gedanke krampfte ihm das Herz zusammen. Aber Angelo’s Wort ging ihm durch den Sinn: „Ich folge Dir wie Dein Schatten.“

„Fort! fort!“ stachelte er sich selber an und klomm, ohne eine Secunde zu rasten, den Hang hinab …

Gerinnsel, das aus allen Spalten des Berges hervorzubrechen schien, machte den Stein glatt, wie geschliffenen Marmor. Jeder Schritt trug Heinrich aus Todesgefahr in neue; ein Fehltritt des vorwärtstastenden Fußes, ein Abgleiten des stemmenden Beins stürzte hier in den Abgrund, in den Tod.

Und schon entdeckte Heinrich, daß die Nervenerregung, während sie ihn Anfangs befeuert hatte, mit der ungeheueren Muskelanstrengung verbunden, in Erschöpfung endigte, die sein ganzes Selbst zu verändern beginnt. So hatte er ungefähr die Hälfte des Wandsteigs hinter sich, als von irgend einer der nächstliegenden Almen ein weiblicher Jodelruf durch die Nachtstille und das Flußrauschen klang …

Ein kurzgestoßenes, vom Echo schwach erwidertes Aufjauchzen! Aber auf Heinrich bewirkt es einen Druck des Bluts in den Gefäßen, wie der donnernde Niedergang einer Lawine. Er steht plötzlich still – er fühlt das Erblassen seiner Wangen, vor den Augen flirrt und kreist es, seine Gelenke werden schlaff und schlotternd, der Stab entsinkt ihm – Er schwindelt! … Verloren! durchzuckt es ihn, und er besitzt nur noch so viel Besinnung, sich langsam auf ein Knie niederzulassen - -

Dann schließt er die Augen.

Aber ein wohlthätiger Schweiß brach ihm aus allen Poren, und die Anwandlung von Ohnmacht ging vorüber. Mit ruhiger kreisendem Blut und rückkehrender Kraft erhob er sich und begann, nun ohne Stab, die letzte Wegeshälfte zurückzulegen. Das Tosen des Bergwassers schlug lauter und lauter an sein Ohr. Doch Heinrich konnte jetzt wieder ohne Schwindel auf den milchweißen Gischt und die Lärche, die aus einem Felsenriß emporschoß, hinabsehen.

„Gott will’s,“ flüsterte er … Er hatte den Steg erreicht, der von Feuchtigkeit im Mond wie Silber glänzte.

Schon setzt er den Fuß auf die geländerlose Brücke, als drüben laut sein Name gerufen wird und Edgar aus dem Fichtengebüsch der Teufelsplatte auftaucht.

„Graf Heinrich Waldenburg,“ wiederholt dieser mit schneidender Stimme. „Denkst Du zum zweiten Mal vom Tode aufzuerstehen?!“

Ein kalter Schauer packt Waldenburg, da er seinen Todfeind so nah sich gegenüber gewahrt. Einen Moment zögert er unschlüssig, aber dann hebt er warnend seine Rechte empor und betritt den schlüpfrigen Steg. Langsam setzt er Fuß für Fuß… In der Mitte hält er und blickt wieder hinüber. Da reißt plötzlich Montigny seine Flinte empor, legt an – Heinrich sieht den blinkenden Lauf auf seine Brust gerichtet, sieht den gewissen Untergang – blitzschnell biegt er sich zur Seite, aber dabei glitscht sein Fuß – er schreit auf und stürzt kopfüber in die Schlucht.

Edgar, der unwillkürlich zurückprallte, hörte unmittelbar nach dem Entsetzensschrei und dem Verschwinden des Mannes ein Knacken im Geäst der Lärche, dann einen dumpfen Fall in’s Wasser, ein kurzes Aufrauschen der Wellen … Der tödtliche Schuß schläft noch in seiner Waffe, dennoch flieht Edgar, flieht entsetzt hinweg, ein Mörder mit unblutiger Hand.

Aber hoch vom Felsen wandelt Angelo, sieht das Opfer, sieht den Fliehenden. Der Stein unter ihm löst sich nicht, sein Fuß gleitet nicht aus; den Berg hernieder und über die Schlucht schreitet er, feierlich, fest, unaufhaltsam, vom Sternenlicht beleuchtet, hinter dem Fliehenden her, wie der Engel der Nemesis. - -




Lustig! lustig! Die Waldenburger schlafen nicht! Hurrah!

Im Adler rufen wieder Flöten und Geigen zum Tanz. Wer eintritt, der hat auf Montigny’s Kosten Essen und Trinken umsonst.

Ein Prachtkerl, der Montigny! Der wird ein anderer Schloßherr, als der Selige. Leben und leben lassen! Da wird’s zu verdienen geben, im Schloß, an den Gästen, die zahllos kommen werden wie nach dem gelobten Land! Die goldene Zeit bricht an.

Die Männer taumeln vor Vergnügen über den Prachtkerl, die Verlobung und den Verlobungswein. „Das gräfliche Brautpaar soll leben, Vivat hoch!“ tönt es bald da, bald dort, an allen Tischen, und die Gläser klirren. Kein Waldenburger, vom reichen Silberbauern bis zum armen Wegmacher herab, der nicht auf Montigny heute schwört, trinkt und hofft. Und wenn die verrückte Kreislerin, die in der Küche sitzt und ein Weinsüpplein bekommt, hin und wieder versichert, daß ihr Heinzi noch lebt, lacht die Adlerwirthin, lachen die Mägde, lachen alle Gäste; das ganze Haus lacht.

Und die Dirnen im Tanzsaal denken an Montigny, während sie mit ihren Burschen, Brust an Brust, sich wiegen und drehen.

Im Schloß sind alle Fenster glänzend erleuchtet, und im Erdgeschoß tanzen die Jäger und Bedienten, Zofen und Hausmägde. Lafleur hält eine „famose“ Rede und trinkt auf das Wohl der Braut, auf das Wohl des gnädigen Herrn. Hurrah Montigny, und Montigny für immer!

In einem Salon, den ein Blumenflor durchduftet und der Kerzenschein von Girandolen und Armleuchtern taghell erleuchtet, sitzen die Gräfin, Baron Aßperg mit seiner Gemahlin und Fanny am silberstrotzenden Tisch. Das Souper ist vorüber – Montigny ließ auch gar zu lange auf sich warten. Die lästigen Diener sind verabschiedet. Die Braut, die Freunde, der Champagner warten

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 276. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_276.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)