Seite:Die Gartenlaube (1864) 281.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

die Krahwinkler und die Ohrdrufer (Gebr. Emmelingen etc.). Seit alter Zeit waren Benshausen und Hinternah bei Schleusingen als Fuhrmannsorte bekannt, sowie auch die Suhlaer Wagen (Schlegelmichel, die Sieberte, Günzel, Schuh etc.) auf allen Straßen anzutreffen waren. Im südöstlichen Theile des Thüringer Waldes, in der Nähe von Gräfenthal, lagen acht Fuhrmannsdörfer, welche gegen 400 Pferde in den verschiedensten Gegenden Deutschlands und in den angrenzenden Ländern im Dienste des Frachtfuhrwesens unterwegs hatten. Da sie auf allen Straßen Deutschlands zu finden waren, so ging von ihnen das Wort:

„Gräfenthal und loses Geld
Find’t man in der ganzen Welt.“

Sie waren nämlich bekannt unter dem Namen „Gräfenthaler Fuhrleute“ (die Müller, Paschold, Dietz, Gottschalk, Büttner, Büchner, Apel, Haushalter, Neubert, Bock etc.).[1] – Von anderen Fuhrmannsorten an der südöstlichen Seite des Thüringer Waldes sind Amtgehren, Langenwiesen (Haase etc.), Meißelbach, Kursdorf, in gewisser Weise selbst Schwarza (Neubert etc.) zu nennen. In Pommern gab es viele Fuhrleute bei Stolpe. In Grüneberg (Grundmann, Schein etc.) und in Breslau (Schei, Bonewitz etc.) wurde ebenfalls großes Fuhrwerk angetroffen. – Die Böhmen (Ziescheck, Lehmann, Rosenkranz, Kilian etc.) führten auf der Straße hinter dem großen Frachtfuhrwagen ein kleines Wägelchen zu ihrer Bequemlichkeit. –

Das erste Eilfuhrwerk in Deutschland betrieb der Roßwirth Leupold aus Schlüchtern bei Offenbach. Seine Wagen gingen regelmäßig zwischen Offenbach und Naumburg, wo Bühler ein Eilfuhrwerk nach Berlin unterhielt, während Trebitz aus Eisenberg im Altenburgischen ein regelmäßiges Eilfuhrwerk zwischen Berlin und Königsberg leitete. Brabant aus Grobstedt hat noch zur Zeit der Eisenbahnen ein Eilfuhrwerk mit vier Wagen zwischen Berlin und Leipzig betrieben. Zwischen Nürnberg und Leipzig bestand das seiner Zeit berühmte Bauer’sche Eilfuhrwerk, welches ebenfalls Tag und Nacht ununterbrochen unter dreimaligem Pferdewechsel im Gang war und die Tour von 36 Meilen in drei Tagen zurücklegte. Auch von Offenbach ging ein Eilfuhrwerk nach Leipzig, welches von Lorei, Enters und Hohmann aus Fulda unterhalten wurde, während Mühlhäuser aus einem Dorfe bei Stuttgart zwischen Stuttgart und Leipzig ein Eilfuhrwerk betrieb. –

Während das Fuhrmannswesen draußen auf der Straße der älteren Zeit gegenüber eine förmliche Umwandlung erfahren hatte, blieb doch das Wirthshausleben des Fuhrmannes immer noch das alte. Sobald die Pferde am Nachmittage oder Abende in den Stall gebracht, getränkt und mit dem ersten Futter versehen waren, die Fuhrleute auch altem Brauche gemäß sich „fein säuberlich gewaschen“, setzte man sich an den Tisch, um das Deichselbrod einzunehmen. Es bestand dasselbe unter gewissenhafter Beobachtung der Reihenfolge seit alter Zeit aus Schnaps, Bier, Butter, Käse und Brod, sowie Kaffee mit Semmeln. Später ging es an die eigentliche Abendmahlzeit, die aus Suppe und verschiedenen Braten, je nach der Jahreszeit auch aus Wildpret und Fisch zusammengesetzt ward. Beim Abfahren am andern Morgen bekam jeder Fuhrmann ein tüchtiges Frühstück mit, welches eine gute Portion Fleisch enthielt, um sich damit den Tag über zu beköstigen.

Das Füttern der Pferde besorgte der Fuhrmann stets selber. Vor neun Uhr Abends wurde nicht leicht abgefüttert. In der Nacht verwandelte sich die große Wirthsstube in eine große Streu, auf welcher ausgestreckt der Fuhrmann sich in seine „Kotze“, eine starke wollene Wiener Decke, wickelte. Am Morgen mußte der Hausknecht um zwei Uhr wecken, damit gegen vier Uhr eingespannt werden konnte. War der Kaffee genossen, so nahm der Wirth die Kreide in die Hand, um nach alter Weise die Zeche auf den Tisch zu schreiben. Auch hier wurde die alte Reihenfolge der einzelnen Posten streng eingehalten, so daß zuerst der Hafer, dann das Heu, dann die Vorreiter, hierauf die Mundportion und schließlich das Wachgeld in Anrechnung gebracht wurde. Für die Mundportion des Mannes, d. h. für Alles, was er vom Deichselbrode an bis zum Morgenkaffee, das mitgegebene Frühstück mit eingerechnet, aß und trank, wurden 6 gGr. gerechnet. Der Gewinn des Wirthes war im obersten Posten, also bei der Berechnung des Hafers zu suchen. Es wurde nämlich der kleine Hümben oder das kleine Haferachtel verabreicht, das große Achtel aber in Anrechnung gebracht. Das Wachgeld betrug für den Wagen zwei gGr. Als Trinkgeld für die Magd, welche die Stiefeln zu reinigen hatte, gab der Fuhrmann einen Groschen, welcher in einen vom Wirthe mit der Kreide gezeichneten Ring zu legen war und deshalb der Lochgroschen genannt wurde.

Als Ziffern bei der Berechnung dienten folgende Zeichen: 0, X, V und |. Jede Null bedeutete einen Thaler, X war gleich 10 Gr., V gleich 5 Gr., während der einfache | einen Groschen bedeutete, so daß z. B., den Thaler zu 36 damaligen hannöverschen Groschen angenommen – folgende Reihe

0 0 V | | X | V | | X 0 | | | |

die Summe von 4 Thlr. 3 Gr. ausmachte. Hieraus ersehen wir, daß die Null, wenn auch vorn hingeschrieben, dennoch gleich einem Thaler war. – In Ladestädten, wo der Fuhrmann oft mehrere Tage, manchmal bei besonderen Krisen auch wohl mehrere Wochen „aufliegen“ mußte, kamen die Knechte am Tage gar nicht in die Stube. Sie erhielten zwei gute Groschen sogenanntes Krippengeld, womit sie sich am Tage selbst beköstigten. –

Es läßt sich nicht verkennen, daß im Laufe der Zeit das Fuhrmannswesen in den Fuhrleuten einen scharf ausgeprägten Stand herausgebildet hatte, der seine Besonderheiten und Eigenthümlichkeiten eifersüchtig festhielt, was bei der durch die Art seines Berufes gebotenen Nothwendigkeit, immer nur mit Collegen zu verkehren, auch nicht schwer halten konnte. Waren doch die Fuhrleute in recht eigentlichem Sinne des Wortes „fahrendes Volk“; darum haben sie sich auch, wie einst Studenten und Handwerksburschen, wo sie sich auch treffen mochten, mit „Du“ angeredet und als zu einer und derselben großen Familie gehörend einander betrachtet, ja in Nothfällen willig gegenseitig Unterstützung gewährt. Es kann uns deshalb nicht Wunder nehmen, wenn sich nach und nach auch gewisse Schattenseiten beim Fuhrmannswesen entwickelten. Hierher gehört die fast zum Sprüchwort gewordene Fuhrmannsgrobheit sowie der Fuhrmannsstolz.

Daß der Fuhrmann in früherer Zeit das Fluchen leicht lernen konnte, haben wir weiter oben schon angedeutet. Auch die Zeit der Chausseen bot für den Fuhrmann noch gar viele Hindernisse und Schwierigkeiten, wie z. B. niedrige Stadtthore, bei welchen abgeladen werden mußte, oder welche der Fuhrmann – wie in Rodach bei Coburg – auf seine Kosten auszugraben und dann wieder pflastern zu lassen hatte; auch an anderen Quälereien, wie beim Plombiren und auf den Steuerämtern, und an naseweiser Behandlung von Seiten junger Commis, denen noch der erste Flaum um das Kinn spielte, hat es nicht gefehlt. Alle Unbilden des Tages jedoch glich das zuvorkommende Benehmen des Wirthes und der Wirthin am Abende aus. Auf der anderen Seite läßt sich nicht verkennen, daß ein Fuhrherr, der gleichzeitig eine Reihe Wagen auf der Straße gehen hatte, in seinem Geschäfte auch ein hübsches Capital repräsentirte; dazu kam, daß der Fuhrherr mit seinem Vermögen für die rechtzeitige und in guter Beschaffenheit geschehene Ueberlieferung der Güter einstehen mußte, – ein Umstand, der das Selbstbewußtsein desselben natürlich erhöhte. Doch verstand es der Fuhrmann auch, in Zeiten und an Orten, wo große Concurrenz um die Frachtgüter statt hatte, in bescheidener Weise den Kaufherrn um Fracht zu bitten, wobei übrigens schon in alter Zeit „Spendage“ geübt wurde, wie dieselbe später auch bei den Eisenbahnen sich nothwendig machte, wenn ein Botenfuhrwerk Fracht bekommen wollte. Schaffner und Aufläder aber haben auch in früherer Zeit schon in jeder Stadt die Quelle angeben können, wo das beste Bier und der beste Wein verschenkt wurden, und ließen dem Fuhrmann gegenüber das Sprüchwort auf sich anwenden: „Wer gut schmiert, fährt gut.“ – Eines aber scheint mir noch ganz besondere Beachtung zu verdienen: das große Vertrauen in die Ehrlichkeit und Rechtlichkeit des Fuhrmannsstandes. Der Fuhrmann wurde erst beim Schreiben der Frachtbriefe nach seinem Namen und Heimathsorte gefragt. Nach seinen sonstigen Verhältnissen erkundigte man sich nicht. Ich meine, es läge ein schönes Stück deutscher Treue und deutscher Redlichkeit im ehemaligen Fuhrmannswesen vor uns.

Wo sich aber Arbeit mit Treue und Redlichkeit paart und frisches reges Wesen am Abend der Ruhe und fröhlicher kameradschaftlicher Geselligkeit weicht, da muß auch das Lied treue Pflege

  1. Zu den Gräfenthaler Fuhrleuten gehörte unter Anderen der in der Fuhrmannswelt von ganz Deutschland allgemein bekannte Fuhrmann Dietz, welcher, da er unverheirathet blieb, einmal sieben Jahre lang nicht in die Heimath zurückkehrte, sondern auf allen nur möglichen Straßen Deutschlands und der Nachbarländer sein Fuhrwerk trieb, bis die Eisenbahnen ihn wie so viele Andere nöthigten, sich in unfreiwillige Muße als Rentier zurückzuziehen. Seinen vielen Bekannten in allen Gegenden Deutschlands diene hiermit zur Nachricht, daß sich derselbe wohl befindet.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 281. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_281.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)