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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

endlich am 31. Januar 1776 zur Unterzeichnung; wenn man aber meint, daß damit Alles schönstens geordnet und der Habgier des Landgrafen kein weiterer Spielraum vergönnt gewesen wäre, so irrt man. Die Zahlung der doppelten Miethsumme sollte vom Tage der Unterzeichnung des Vertrags anheben; der pfiffige Landgraf ließ deshalb, um auch die letzte Gelegenheit zur Plusmacherei nicht unbenutzt zu lassen, die Urkunde auf den 15. Januar zurückdatiren!

Seume, der wackere deutsche Dichter, der zu jener Zeit aus Gewissensskrupeln das Studium der Theologie aufgegeben und die Universität Leipzig verlassen hatte, fiel in Vacha bekanntlich den landgräflichen Werbern in die Hände. Zunächst ward er als Halbarrestant nach der Festung Ziegenhain geschleppt, wo schon viele seiner Unglücksgenossen lagen, unter welchen er in seiner Selbstbiographie namentlich „einen verlaufenen Musensohn aus Jena, einen bankerotten Kaufmann aus Wien, einen Posamentirer aus Hannover, einen abgesetzten Postschreiber aus Gotha, einen Mönch aus Würzburg, einen Oberamtmann aus Meiningen, einen preußischen Husarenwachtmeister, einen cassirten hessischen Major und andere von ähnlichem Stempel“ erwähnt.

Von Ziegenhain wurden die Gepreßten über Kassel, wo sie der Landgraf in höchst eigener Person inspicirte, nach Hannöverisch-Münden spedirt. „Unser Zug glich so ziemlich einem Transport von Gefangenen,“ – schreibt Seume, – „denn wir waren unbewaffnet und die bewehrten Dragoner, Gardisten und Jäger hielten mit fertiger Ladung Reihe und Glied fein hübsch in Ordnung.“

In Münden auf der Wiese wurden die armen verkauften Seelen von dem englischen Agenten Faucitt besichtigt, und der und jener erhielt dabei einige freundliche Rippenstöße, weil er in das von dem commandirenden Officier auf den König von England ausgebrachte Hoch nicht laut genug einstimmte. Auf den Transportschiffen waren die Unglücklichen wie Häringe zusammengeschichtet, so daß auf dem Deck kein Mann geradestehen, Niemand sich frei bewegen konnte. Das Gräßlichste waren die immer für je sechs Mann bestimmten Bettkasten. Eben so schlecht stand es mit der Kost an Bord. Die Mannschaften bekamen fast nichts als Speck und Erbsen oder Pudding, den sie sich selbst aus muffigem Mehl halb mit Seewasser, halb mit süßem Wasser und uraltem Schöpsenfett machen mußten. Der vielleicht vier oder fünf Jahr alte Speck war ungenießbar, schwarz und stinkend. Im Schiffszwieback wimmelte es von Würmern und dabei war er so hart, daß man ihn mit Kanonenkugeln aus dem Gröbsten zerschlagen mußte. Man behauptete, die Engländer hätten ihn im siebenjährigen Kriege den Franzosen abgenommen; seit der Zeit habe er in Portsmouth im Magazin gelegen, und nun füttere man die Deutschen damit, um von ihnen in Amerika wiederum die Franzosen todtschlagen zu lassen. Wenn ein Faß Trinkwasser aus dem Schiffsraum auf das Deck gebracht und aufgemacht ward, so verbreitete es einen kaum zu ertragenden Gestank – und dennoch schlug man sich, um dieser widerlichen Jauche nur theilhaftig zu werden.

Im englischen Parlament ward das Ministerium wegen seiner unbedingten Bewilligung der von dem Landgrafen von Hessen gestellten so übertriebenen Bedingungen scharf zur Rede gesetzt. Es entschuldigte sich damit, daß es nicht anders gekonnt habe, weil der Ausmarsch der Truppen schon in den ersten Tagen des Februar habe stattfinden sollen. Der Landgraf hatte auch in der That bis zum 15. Februar dreizehn Bataillone marschfertig, die englischen Anordnungen waren aber so schlecht getroffen, daß, obschon bei längerem Zögern der Verlust eines Feldzugs auf dem Spiele stand, die Admiralität doch zur bestimmten Zeit bei weitem nicht Transportschiffe genug in Bereitschaft hatte und selbst im März noch nicht sagen konnte, wann die noch erforderliche Anzahl verfügbar sein würde. Die erste Abtheilung Braunschweiger ging daher erst am 4. April von England unter Segel, und ihr Commandant war bereits in Quebek, ehe die letzten Mannschaften seines Corps eingeschifft wurden. Die erste Division Hessen passirte den britischen Canal erst am 10. Mai.

Die Braunschweiger hatten sich nicht minder über die unverantwortlich elende Einrichtung und Ausstattung der Schiffe zu beklagen. Die Bekleidung der Soldaten selbst war alt und nur nothdürftig ausgeflickt worden. Der Lieferant, den man mit der Besorgung des Schuhwerks betraut hatte, schickte von London aus einige tausend Paar dünne Tanzschuhe, die obendrein zum großen Theil so klein waren, daß die Soldaten sie gar nicht anziehen konnten. – Auch der Vertrag mit dem zuerst gedachten Erbprinzen von Hessen-Kassel, welcher zugleich souverainer Fürst von Hanau war und auf eigenen Antrieb an den König von England geschrieben hatte, stieß auf kein Hinderniß. Der Eifer und die Dienstfertigkeit dieses Fürsten überstiegen alle Beschreibung. In eigener Person machte er die Runde durch die Ortschaften seines Ländchens, um die gewünschten Rekruten auszusuchen, und gab später seinem Regiment auf dem Ausmarsche nach Helvoetstuys, von wo es eingeschifft werden sollte, Höchstselbst das Geleite bis Frankfurt. Seiner Verdienste um England sich bewußt, bettelte er wiederholt um ein „Extradouceur“, und Lord Suffolk, der englische Minister, gewährte ihm auch ein solches, aber nur gegen das schriftliche Versprechen der strengsten Verschwiegenheit, damit nicht etwa auch die anderen fürstlichen Menschenhändler mit gleichen Zumuthungen angerückt kommen möchten. Bereitwilligst leistete der souveraine Supplicant dies Versprechen in einem in lächerlichem Englisch geschriebenen Brief, worin er zugleich seine frommen Wünsche für das Gelingen des Unternehmens aussprach, zu dessen Durchführung er einen Theil seiner Landeskinder an den König von England verkauft hatte.

Wie wir gehört, hatte sich der Fürst von Waldeck ebenfalls zu Truppenlieferungen erboten; man zweifelte indeß, daß er im Stande sein würde, sein Versprechen zu halten. Sein Land war in dieser Beziehung schon über die Gebühr in Anspruch genommen, und es standen bereits nicht weniger als drei Waldeck’sche Regimenter im Dienste der Republik Holland. Wiederholt hatten sich die Stände des Ländchens über den großen Verlust an Unterthanen beklagt, der Fürst aber wußte fortwährend einen so uneigennützigen Eifer und eine so warme Anhänglichkeit an den „unvergleichlichen Monarchen“ von Großbritannien zu heucheln, daß dies schließlich wirklich einen Contract mit ihm abschloß. Wohl konnte er die versprochenen Truppen nur durch Mißbrauch seiner Autorität, oder durch Gewalt, oder durch List zusammenbringen, aber die Dorfgeistlichen unterstützten ihn bereitwillig, indem sie die jungen Leute von der Kanzel herab ermunterten, sich anwerben zu lassen, und so zweifelte man nicht länger, daß er das stipulirte Regiment bald zusammen haben würde, dafern er nur „seine eigenen Unterthanen nicht allzusehr schonte“. Das Murren der Rekruten suchte man dadurch zu beschwichtigen, daß man ihnen, wie den Hessen, Aussichten auf den Erwerb von großen Schätzen vorspiegelte; trotzdem aber fand man zur Verhütung von Desertionen es gerathen, sie durch ein Corps berittener, mit scharfgeladenen Büchsen bewaffneter Forstbeamten bis Beverungen escortiren zu lassen.

Der regierende Fürst von Anhalt-Zerbst huldigte, in Bezug auf den Truppenschacher, nicht den Ansichten, welche seine Schwester, die Kaiserin Katharina von Rußland, bethätigte. Halb verrückt und nur sehr selten in seinem Lande lebend, unterhielt er außerhalb desselben nicht weniger als sechszehn Werbestationen und machte in einem höchst verworrenen Schreiben der englischen Regierung das Anerbieten, ihr seinerseits auch ein Regiment von 627 Mann zu liefern. Er richtete auch einen directen Brief an Georg III., allein diese Epistel war so confus und seltsam, daß man Bedenken trug, den König damit zu behelligen, und die Unterhandlungen sich demzufolge vor der Hand zerschlugen.

Der Kurfürst von Baiern sprach gegen Elliot, den englischen Gesandten in Regensburg, ebenfalls den eifrigen Wunsch aus, mit der englischen Regierung ein Truppenlieferungsgeschäftchen zu machen. Sein Anerbieten blieb jedoch so gut wie unbeachtet, denn die bairischen Truppen gehörten damals zu den schlechtesten in Deutschland, und überdies war der bairische Hof so an Oesterreich und Frankreich verkauft, daß der Kurfürst selbst es für räthlich erachtete, den englischen Diplomaten dringend zu bitten, gegen seine eigenen Minister von dem gemachten Anerbieten ja nichts verlauten zu lassen!

Am letzten Tage des Februarmonats 1776 kamen die mit Braunschweig und Hessen abgeschlossenen Verträge in dem englischen Parlament zur Sprache. Lord North, der Minister, sagte: „Die Truppen werden gebraucht. Die Bedingungen, unter welchen wir sie uns verschafft haben, sind billiger, als wir erwartet hatten, und die auf diese Weise erworbene Streitmacht wird uns in den Stand setzen, Amerika vielleicht ohne weiteres Blutvergießen zum Gehorsam zu zwingen.“

„Das von der Regierung ergriffene Auskunftsmittel,“ antwortete Lord John Cavendish, „gereicht England zur Schande und

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 298. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_298.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)