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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Der Großknecht hatte jetzt Auftrag bekommen, einzuspannen, und der Wagen hielt bald darauf vor der Thüre, aber die beiden Frauen, die im Anfang den Mund kaum öffnen wollten, waren jetzt warm geworden und in ein Gespräch über ihre Kinder hineingerathen, aus dem sie sich nicht wieder herausfinden konnten. Barthold stand schon lange, mit Hut und Stock in der Hand, neben der Thür und hielt die Klinke.

„Na, Alte, kommst Du?“

„Gleich, Vater, gleich – das glaub’ ich, Ihr Männer seid immer gleich fertig mit Anziehen. Ihr setzt den Hut auf und damit basta. Und nicht wahr, Frau Erlau, Sie machen uns recht bald das Vergnügen, damit Sie auch einmal sehen können, wie wir da draußen eingerichtet sind? O, es soll Ihrem Lieschen schon bei uns gefallen, daran zweifle ich keinen Augenblick.“

„Wenn so ein Paar Frauen in’s Schwatzen kommen,“ lachte Barthold gutmüthig vor sich hin, „da reißt’s nachher gar nicht wieder ab. Wir kommen heute nicht mehr weg. Habt Ihr Betten genug im Haus, Erlau?“

„Betten genug,“ schmunzelte dieser.

„Die brauchen wir für heute nicht!“ rief aber die Alte, sich gewaltsam losreißend. Sie hatte die letzten Worte gehört. Doch das Lieschen kam jetzt noch herbei, dem sie einen Kuß und noch einen und noch einen geben mußte, und endlich war sie mit Allem fertig. Unten knallte der Großknecht mit der Peitsche, daß die Fensterscheiben klirrten. Jetzt saßen sie im Wagen, und nun sollte es noch einmal an ein Abschiednehmen und Handdrücken gehen; dem aber machte der Großknecht ein Ende. Ein kleiner Peitschenschlag traf das Handpferd, und hinaus rasselte der Wagen aus dem Thorweg, ein kurzes Stück auf der Chaussee hin, eben genug, um das Chausseehaus wieder zu Passiren, und bog dann in den Feldweg ein, ehe die Frau nur von ihrem Manne Alles erfahren hatte, was er mit dem Herrn Pfarrer vorhin gesprochen. So neugierig sie aber darauf war, eine Unterhaltung wurde zur Unmöglichkeit, sobald sie in den Feldweg einlenkten, und alle weiteren Erklärungen mußten für daheim aufgeschoben werden.




4. Eine weltliche Schwierigkeit.

Am Freitag kam der Traubenwirth mit seiner Frau zur Gegenvisite nach Dreiberg. Die beiden Väter saßen denn wohl eine Stunde lang oben zusammen allein in des Alten Stube – aber nicht etwa trocken, denn Barthold hielt darauf, einen ganz vorzüglichen Ungarwein in seinem Keller zu haben – und kamen nachher wieder, Beide seelenvergnügt und, wie es schien, vollkommen einig, zu den Frauen hinunter, um dort Kaffee zu trinken und Kuchen zu essen.

Am nächsten Sonntag war Hans natürlich den ganzen Tag drüben in Wetzlau in der Traube, und dort holten sich die beiden jungen Leute eine Landkarte vor und zeichneten sich darauf die Reise nach Gotha zusammen ab. Was kümmerten sie sich um das Consistorium!

Merkwürdige Zeit nahm sich übrigens der Herr Generalsuperintendent, an den die Eingabe zuerst gemacht war; denn die ganze nächste Woche verging, ohne daß er auch nur das Mindeste hätte von sich hören lassen. Das war aber noch das Wenigste, es traf auch keine Antwort von Schlesien ein, und Hans wußte schon vor lauter Ungeduld gar nicht mehr, was er angeben sollte. Endlich, am Sonnabend Mittag, die Familie saß gerade bei Tische, kam ein Brief mit dem preußischen Gerichtssiegel.

„Nun endlich!“ rief Hans jubelnd und sprang von seinem Stuhl auf, „das hat lange gedauert.“

„Hm,“ meinte der Vater, der den Brief kopfschüttelnd befühlte und dabei nach seiner Brille suchte, denn das Schreiben kam ihm viel zu dünn vor, als daß irgend ein Document darin eingeschlossen sein könnte, „seit ich die Geschichte mit dem Consistorium gehört, habe ich ordentlich Angst bekommen, daß hier ebenfalls etwas der Quere gehen könnte; aber das ist doch nicht gut möglich, denn das Amt geht es doch nichts an, ob wir Katholiken oder Protestanten sind.“

Jetzt hatte er seine Brille gefunden, setzte sie auf, öffnete den Brief und sah hinein.

„Nun, ist der Schein nicht drin?“ frug Hans rasch und mißtrauisch.

„Drin ist nichts,“ sagte der Vater, „aber wir wollen erst einmal sehen, was der Gerichtshalter schreibt. Vielleicht ist es blos eine Anweisung an die hiesigen Gerichte, ihn hier auszustellen; das wäre auch das Kürzeste.“

„Was brauch’ ich überhaupt einen Heimathschein?“ sagte Hans, „wenn ich nur eine Heimath habe, denn so ein Wisch giebt mir doch keine. Nun, was schreibt der Gerichtshalter?“

„Da werde der Henker d’raus klug,“ rief der alte Barthold, indem er den Brief – er enthielt kaum zehn Zeilen – auf den Tisch warf, seine Brille abwischte und wieder in die Tasche steckte.

„Nun?“ rief Hans, das Schreiben aufgreifend.

„Du wärst in Preußen gar nicht heimathberechtigt, wenn auch da geboren, denn ich wäre mit Dir, als Du noch minderjährig gewesen, in das Ausland ausgewandert, und ich und meine Kinder hätten dadurch unser Heimathsrecht in Preußen aufgegeben.“

„Ja, aber Du lieber Gott, wo soll er denn da einen solchen Schein herbekommen?“ rief die Mutter, „sie müssen ihm ja den geben, er ist ja doch dort geboren.“

„Es steht auch noch drunter, daß der Junge in Preußen nie seiner Militärpflicht nachgekommen wäre und schon deshalb nicht als preußischer Unterthan betrachtet werden könnte.“

„Und was liegt d’ran?“ rief Hans, den Brief trotzig auf den Tisch zurückwerfend, „irgendwo muß ich zu Haus gehören, das sieht ein Kind ein, und wenn Preußen nichts von mir wissen will – was ich ihm nicht verdenken kann, denn mir geht’s in manchen Stücken gerade so – ei, dann müssen sie mir hier einen solchen Wisch geben. Siehst Du wohl, Vater, hättest Du mich nur gleich in die Stadt hineinreiten lassen, so wäre jetzt Alles abgemacht, und nun geht die Geschichte noch einmal von vorn an. Hier haben wir unseren Grund und Boden, und hier gehören wir also auch her. Was kümmert uns Preußen!“

„Na, ich will’s wünschen,“ sagte der alle Barthold, der auf einmal merkwürdig mißtrauisch gegen alles das geworden war, was Behörden eigentlich thun müssen und was sie wirklich thun. „Da ist’s aber doch besser, ich fahre selber in die Stadt; denn wenn Du auch jetzt gingst, so müßte ich später doch selber hinein, und da würde nur noch mehr Zeit damit verloren. Außerdem kann ich dann gleich einmal mit zum General-Superintendenten gehen und sehen, wie die Sache mit dem „Dispens“, glaub’ ich, nannt’ es der Pfarrer in Wetzlau, steht. Die nehmen sich auch eine bärenmäßige Zeit. Heute käm’ ich freilich zu spät hinein, und morgen ist Sonntag, wo alle Gerichte geschlossen sind; aber den Montag Morgen mit Tagesanbruch fahre ich weg. Bis dahin mußt Du Dich schon noch geduldigen, Hans. Es kann eben nichts helfen.“

Der alte Barthold ging hinauf in seine Stube, um sein Mittagsschläfchen zu halten, und die Mutter halte draußen noch zu thun. Hans war am Tische sitzen geblieben, stützte den Kopf in die Hand und sah finster brütend vor sich nieder. Katharine trat in’s Zimmer und ging hindurch in die Kammer, um reine Milchtücher herauszunehmen. Als sie nach einer Weile zurückkam, saß der Hans noch immer in der nämlichen Stellung; er hatte sie gar nicht gehört,

Katharine trat leise auf ihn zu, legte ihre Hand auf seine Schulter und sagte: „Hans!“

„Bist Du’s, Kathrin,“ sagte Hans und sah zu ihr auf, „Willst’ was?“

„Weiter nichts, als daß Du nicht mehr so traurig bist. Habe nur ein klein wenig Geduld, es macht sich ja Alles, und das Lieschen wird bald Deine Frau werden. Ihr seid ja nachher auch für das ganze lange Leben beisammen, und bei so einer langen Zeit kann’s ja doch auf die paar Tage nicht ankommen.“

„Ich bin nicht traurig, Kathrin,“ sagte Hans, indem er sich die lockigen Haare aus der Stirn warf, „nur ärgerlich, ärgerlich über die Gerichte, über das Consistorium, über die Pfarrer, über die Gerichtshalter, über mich – ei, über die ganze Welt!“

„Ueber mich auch, Hans?“ fragte Kathrine, und sah ihn mit ihren hellen Augen so treuherzig an.

„Ueber Dich? – nein, Kathrin’,“ sagte Hans, ihre Hand nehmend und drückend, „weshalb sollt’ ich über Dich böse sein? Du bist immer so lieb und gut, und wenn’s an Dir läg’, so hätt’ ich meine Papiere gewiß schon lange und könnt’ morgen Hochzeit machen.“

„Du darfst mir’s glauben, Hans, ja,“ erwiderte Katharine, und sah ihn dabei recht ernst und wehmüthig an. „Wenn’s an

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