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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Ludwig Seeger.

deutschen Jahrbücher, welche die höchsten und abstractesten Fragen der Menschheit discutirten. Mit Tagesanbruch saß er am Arbeitstische und erhob sich nur, um zu neuer Arbeit in die Kammer zu gehen oder, wie der Geschichtsschreiber Prescott, sich als sein eigener Holzhauer einige Bewegung zu machen, um bald wieder an den Schreibtisch zurückzukehren und bis zum späten Abend auszuharren. Wie oft hat ihn, zur eigenen Beschämung, der Schreiber dieser Zeilen so sitzen sehen, wenn er, von einem Morgen- oder Abendspaziergang heimkehrend, an Seeger’s stiller Wohnung vorüberkam! Ein kurzes Gespräch durch’s Fenster belehrte ihn, daß eben für Schleswig-Holstein, oder für die Judenemancipation, oder an Shakespeare’s Othello gearbeitet würde. Wie gern hätte jeder Staat eine solche Arbeitskraft, solches Wissen, solchen Styl, solche Ueberredungsfähigkeit glänzend bezahlt, aber Ludwig Seeger’s Grundsatz war: „Selbst ist der Mann“. Er wollte auf eigenen Füßen stehen, von seiner Freiheit des Wirkens und Schaffens auch nicht ein Titelchen verkaufen, wie schwer auch der Kampf mit dem Leben war,

„Da er sich auf den Erwerb schlecht, als ein Dichter, verstand.“

Sagen wir es mit einem Worte, zu seiner Ehre, als Beweis, daß er nur wegen der Sache, die ihm lieb und heilig war, sein Leben lang so gewaltig arbeitete, sagen wir es ohne Furcht, eine falsche Scham zu kränken, da es ihm nur zum Ruhme gereicht: Er starb eigentlich als armer Mann; in bestgeordneten, ehrenhaftesten Verhältnissen, aber als armer Mann. Seine beiden Söhne hat er so weit gebracht, daß sie sich ehrenvoll durch’s Leben schlagen und die Stütze der Mutter werden können, allein, außer dem ehrenvollen Andenken des Vaters, hat er ihnen keine andere Erbschaft hinterlassen.

Ludwig Seeger wurde am 30. October 1810 in dem schönen und romantischen Curort Wildbad im Schwarzwald geboren. Dieser Umstand ist auf den künftigen Dichter und den Mann, der für die ganze Welt ein Herz hatte, gewiß nicht ohne Einfluß geblieben. Die herrliche, dabei so tief ernste Natur, die rauschenden Tannenwälder, die wilde Enz, die saftigen Wiesen, die an die Schweizer Matten erinnern, mußten auf ein empfängliches Gemüth einen lebenslang dauernden Eindruck machen. Die Heilquellen versammeln da jeden Sommer Gäste aus allen Weltgegenden, und wie klein auch das Städtchen sei, durch Monate kann man hier jedes Jahr mit Kindern der verschiedensten Länder in Berührung kommen, von ihnen lernen, durch sie einen Blick in die Ferne thun und sich in Berührung und Zusammenhang mit der weiten, weiten Welt fühlen. Dabei sind diese Fremden nicht frivoles, vergnügungssüchtiges, aufgeputztes Gesindel, wie man wohl es in andern Bädern Deutschlands findet, sondern wirkliche und solide Kranke, oft durch Leiden geläuterte Menschen, umgeben von der liebenden Pflege treuer Gatten oder Kinder.

Wie erschreckend auch in Wildbad das Elend gebrechlicher Menschlichkeit auftritt, so ist es doch vom Ernst und von der Poesie des Leidens geadelt und gemildert – und in diesem Rahmen ruhevoller Natur scheint auch die Versöhnung dem Trauerspiele menschlichen Lebens nicht zu fehlen. Dazu kommen in Wildbad die historischen und poetischen Erinnerungen, die eine Gegend erst recht

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 309. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_309.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)