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sich beim Vergleich mit so wunderbaren und unerwarteten Begebenheiten. Die Aussichten erweiterten sich, und erweckten den menschlichen Geist zu größerer Thätigkeit. Er strebte den Gegenständen, die sich ihm vorhielten, eifrig nach und spannte seine wirksamen Kräfte an, um eine neue Laufbahn zu betreten.“

Zunächst waren es natürlicherweise die Habgier und Herrschsucht, dann Bigotterie und Bekehrungseifer, welche durch die Entdeckung jener neuen, goldreichen und von schwächlichen Indianerstämmen bewohnten Länder geweckt wurden. Diese niedrigen Motive hatten aber, wie es so oft in der Weltgeschichte ergeht, höhere, geistige Errungenschaften zur Folge. Der alte Autoritätsglaube, der Beherrscher des Mittelalters, stürzte zusammen, und zwar durch die Macht des wirklich Erlebten, welche überall sicherer und durchgreifender auf die Massen wirkt, als Belehren und Zureden. Diese Aufklärung war durch keine Macht des Herrscher- und Priesterthums mehr zu unterdrücken. Die Leute erstaunten über ihre bisherige Unwissenheit; sie lernten deren Quellen mißachten; sie begannen sich auf ihre eigenen Sinne und ihren gesunden Menschenverstand mehr als auf fremde Zureden zu verlassen; sie erwarben den Muth, selbständig auf der Entdeckungsbahn vorwärts zu gehen, neue Thatsachen aufzusuchen und Untersuchungen über die Gültigkeit alles bisher Geglaubten zu unternehmen.

Diese dem 15. Jahrhundert und seinen Entdeckungen entstammende Geistesrichtung fand ihren wissenschaftlichen Ausdruck in dem philosophischen System des berühmten englischen Staatsmannes Baco von Verulam, der von 1561 bis 1626 lebte. Baco lehrte die Menschen, sich von Vorurtheil und Autoritätsglauben gründlich frei zu machen. Er zeigte, daß die bisherigen Philosophien hauptsächlich auf Hirngespinsten beruhten, die der Mensch in sich bildete und an die Stelle realen Wissens setzte. Er lehrte, wie man der Einbildungskraft Zaum und Zügel anlegen müsse und statt dessen an der Hand nüchterner Beobachtung zu Erfahrungen, an der Hand unausgesetzter Versuche zu Entdeckungen gelangen könne. Er gab sorgfältig die Verfahrungsweisen und Vorsichtsmaßregeln an, welche man befolgen muß, um nicht in Irrthümer zu verfallen, sondern wirklich haltbare Wahrheiten zu finden. Fortan sollte jeder Forscher, in jedem Gebiete des menschlichen Wissens, ein Entdecker, ein Columbus in seinem Fache werden. Nur auf diesem Wege ist es möglich, daß das Menschengeschlecht wirkliches Wissen und geistige Fortschritte erziele.

Columbus’ Geburtshaus in Cogoletto.

Diese Philosophie, welche am kürzesten mit dem deutschen Sprüchwort: „probiren geht über studiren!“ bezeichnet werden kann, ist nach und nach die herrschende unserer Zeit geworden, zuerst in den Naturwissenschaften, dann in der Heilkunst, endlich auch in den die Natur des Menschen und dessen sociales Treiben behandelnden Wissenszweigen, wo sie, wie z. B. in der Volkswirthschaft, als statistische und numerische Methode bekannt ist. Ueberall setzt sie in diesen Wissenschaften an die Stelle des früheren aus dem Gehirn der Gelehrten herausgesponnenen Wissens die nackten Thatsachen und das, was die Thatsachen bei richtiger Behandlung von selbst aussprechen. Sie setzt den Fortschritt darein, neue Thatsachen aufzusuchen, die alten zu beglaubigen, beide zusammenzustellen und zu zwingen, daß sie neue Wahrheiten oder doch Wahrscheinlichkeiten kundgeben. Dieses gesammte, besonders von den neueren Naturwissenschaften durch eine Menge neuentdeckter Instrumente und Verfahrungsweisen geförderte System des wissenschaftlichen Fortschrittes hat seinen Ausgang von Baco’s Philosophie. Und ein Baco wäre nicht möglich gewesen ohne einen vorherigen Columbus. So feiere denn die neue Zeit jene Hütte als eine Stätte, von wo Licht ausging!

Daneben dürfen wir nicht gering anschlagen die Unsumme neuer Thatsachen, welche mit und in Folge der Entdeckung Amerikas bis auf heute den Schatz des menschlichen Wissens vermehrt haben. Welche unerhörten Bereicherungen erhielten nicht die Naturwissenschaften, die Sternen- und Erdkunde, die physikalische Erdkunde vor allen (Columbus selbst entdeckte zuerst die Abweichung der Magnetnadel), die Gesteins-, Pflanzen- und Thierkunde, die Schifffahrtskunst; welche Bereicherungen der Verkehr mit edlen Metallen, Kostbarkeiten, Lebensmitteln (Cacao, Zucker etc.), Kleidungsstoffen (Baumwolle, Pelzwerk etc.); welchen Anstoß der Landbau in den verschiedensten Zonen (Zucker-, Mais-, Tabaks-Erzeugung etc.)! Vor allem aber wichtig wurde es, daß der neue Erdtheil eine Fluth der unternehmendsten und thatkräftigsten Persönlichkeiten aus Europa zu sich hinüber lockte, um dort nützlich zu schaffen oder als Saat einer reichen Zukunft zu Grunde zu gehen. Zunächst strömten allerdings hauptsächlich wilde Abenteurer hinüber, dann herrschsüchtige

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 317. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_317.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)