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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

No. 21.   1864.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt.Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich 1½ bis 2 Bogen. 0Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.




Der Heimathschein.
Erzählung von Fr. Gerstäcker.
(Fortsetzung.)


Am nächsten Morgen freilich brachen die Wetzlauer früh auf, denn allzu lange konnten und durften sie nicht von daheim wegbleiben. Im Haus selber gab es jetzt auch viel zu thun mit Aufräumen, Ordnen und Reinigen. Ein solches Fest mußte nicht spät in den nächsten Tag hineinreichen, und es war schon eine tüchtige Arbeit nur das grüne Werk wieder alles hinauszuschaffen und das Haus blank zu kehren. Um acht Uhr Morgens war aber auch das Letzte beseitigt und Katharine unten in der Stube beschäftigt, das zweite Frühstück für den Vater und Hans herzurichten, daß sie es gleich bereit fänden, wenn sie vom Feld herein kämen.

„Nun, Kathrine,“ sagte die Mutter, die in der Stube an ihrem Spinnrad saß, denn müßig konnte sie nun einmal nicht sein, „wie hat Dir denn gestern dem Hans seine Braut gefallen? Du hast mir ja noch kein Wort darüber gesagt, Gelt, das ist ein sauber Mädel?“

„Ei gewiß, Mutter,“ sagte das junge Mädchen, ohne sich aber dabei in ihrer Arbeit stören zu lassen, „das ist gar eine stattliche Maid und so hübsch und so vornehm. Mit der wird der Hans Ehre einlegen.“

Die Mutter nickte mit dem Kopf, erwiderte aber nicht gleich etwas darauf, denn sie dachte eben über das Wort „vornehm“ nach. Sonderbar, es war ihr auch fast so vorgekommen, als ob Lieschen fast ein bischen zu vornehm für eine wirkliche Bäuerin wäre, wenn es ihr auch noch nicht recht klar geworden. Die Wirthstochter ging im Grunde genau wie eine Stadtdame gekleidet und trug auch so ein neumodisch Ding, eine Crinoline nannten sie’s ja, daß die Röcke nach allen Seiten hinausstanden. In den Kuhstall konnte sie mit den Kleidern auf keinen Fall gehen. Aber daheim führte sie ja doch auch die Wirthschaft und war so tüchtig und fleißig dabei, und bei der Arbeit würde sie gewiß schon andere Kleider haben. Wie hübsch hatte sie auch ihr Haar geflochten; viel Zeit ging da freilich drauf, wenn sie das hätte jeden Morgen so machen wollen, oder sie mußte eben ein bischen früher aufstehen.

Die Frau saß eine ganze Weile in tiefen Gedanken, und das Rädchen schnurrte dabei, daß es eine Lust war. Katharine sprach ebensowenig; es gab heute Morgen gar so viel zu thun.

„Aber ein gutes Herz hat sie gewiß,“ brach die Frau plötzlich wieder das Schweigen, und die Worte fuhren ihr eigentlich nur da so heraus, wo sie gerade in ihren Gedanken stehen geblieben war, „Ihr Beiden werdet gewiß recht gut mitsammen auskommen.“

Katharine erschrak ordentlich, denn genau an dasselbe hatte sie eben auch gedacht und sich in dem Augenblick die nämliche Frage gestellt, der die Mutter jetzt Worte gab: Wie würde es werden, wenn die junge Frau in das Haus zog und die Wirthschaft selber übernahm? Würde diese auch so lieb und gut mit ihr sein wie die Mutter? oder würde sie selber überhaupt hier noch nöthig bleiben? Ob sie dann gut mitsammen auskämen? O gewiß; aber wenn nicht? Dann mußte die Fremde doch natürlich das Haus verlassen, ihre Heimath, und hinausziehen zu fremden Leuten. Und wäre es nicht besser gewesen, wenn sie das gleich vom Anfang an und freiwillig gethan hätte, ehe die Verhältnisse sie dazu zwangen? O gewiß, in vielen, vielen Stücken wäre es besser gewesen.

„Meinst Du nicht, Kathrine?“ frug die Mutter noch einmal, da ihr das Mädchen, mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt, nicht gleich eine Antwort gab.

„Ich? ei, gewiß, Mutter,“ sagte Katharine jetzt schnell, „warum denn nicht? Ich will sie gewiß lieb haben, wie eine Schwester, wenn sie mich nur noch im Hause brauchen können,“ setzte sie leiser hinzu und erschrak fast, als die Worte heraus waren.

Die Mutter sah rasch zu ihr auf, so rasch, daß ihr der Faden abriß, denn daß die Katharine daran denken könnte, je ihr Haus zu verlassen, daran hatte sie selbst im Leben noch nicht gedacht. War es denn nicht ihre eigene Tochter geworden durch die langen, langen Jahre?

„Unsinn, Kathrine,“ sagte sie aber auch gleich danach kopfschüttelnd und nahm den Faden wieder auf. „Dich sollten sie nicht brauchen können? Und wenn sie Dich nicht brauchten, glaubst Du, daß mein Alter und ich Dich missen möchten? Sprich mir nicht wieder solch Zeug, Mädel, oder Du bekommst es mit mir zu thun. Uebrigens ließ Dich Hans auch gar nicht fort, denn wie lieb Dich der hat, weißt Du, und daß er überall Deine Partei nimmt. Nein, Schatz,“ setzte sie gutmüthig hinzu, „mit uns bleibt’s beim Alten, ob Du zu der jungen Frau passest oder nicht. Außer –“ und sie nickte ihr dabei freundlich zu, „Du müßtest denn einmal von uns fortziehen wollen, wie das Lieschen jetzt bald aus der Eltern Hause zieht, dann freilich mit unserem besten Segen, Kind.“

„Du lieber Gott, Mutter,“ sagte Katharine, und ein Seufzer hob dabei unwillkürlich ihre Brust, „damit hat’s Zeit. Wenn Ihr mich nicht früher loswerdet, müßt Ihr mich wahrscheinlich bis an meinen Tod bei Euch behalten.“

„Denkst Du eher zu sterben, als wir, Kathrine?“ lächelte die Frau wehmüthig.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 321. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_321.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)