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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

nur zum Schutze der Küsten dienenden Fahrzeuge unserer jungen preußischen Marine.

Schon von fern fallen uns eine Menge preußischer Kriegsflaggen auf, welche, anscheinend dicht über dem Wasserspiegel schwebend, lustig im Winde flattern; näher kommend, erblicken wir ein zahlloses Gemisch von kleinen, kaum drei Fuß hohen, am Bug und Stern abgerundeten, auf beiden Seiten mit zwei mächtigen Geschützen versehenen Fahrzeugen – den sogenannten Ruderkanonenbooten. Am Ufer erheben sich in einer langen Reihe die zu ihrer Aufnahme während des Winters oder für vorkommende Reparaturen bestimmten festen Schuppen. Ueberall, auf allen Booten rege, geschäftige Thätigkeit. Hier wird unter der Leitung eines alten ergrauten Sergeanten, der schon mit den Rispiraten an der Nordküste von Afrika sich herumschlug und die Expedition nach China und Japan mitmachte, die frisch eingezogene Mannschaft der Seewehr am Geschütz und mit dem Zündnadelgewehr ausgebildet; dort manövriren zwei Ruderjollen: bald vor-, bald zurückgehend, bald mit raschen Wendungen seitwärts ausbiegend, suchen sie dem Gegner die Blöße abzugewinnen; gleichmäßig, wie auf einer mittelalterlichen Galeere, senkt sich eine Masse von mächtigen Rudern in die blaue Fluth; ein kurzes Commando, und in einem Nu ragen die eben noch leicht über das Wasser dahingleitenden Hebel in die Luft. In aufrechter Haltung im Hintertheil des Bootes, auf der wettergebräunten Stirn die Mütze mit der breiten goldenen Borte, das Abzeichen des Seeofficiers, an der Seite den fein verzierten Degen, die gedrungene, kernige Gestalt des Commandeurs, eines noch jungen Fähnrichs zur See. Noch vor einem halben Jahre sah man dieselbe Gestalt im einfachen Seemannsanzuge, mit Cirkel, Lineal und anderen nautischen Instrumenten versehen, zur Navigationsschule ihre Schritte lenken. Der junge Mann gebrauchte weder zwei-, noch dreijährige Dienstzeit, um seine jetzige Staffel zu erklimmen; er machte sein Steuermanns-Examen, wurde beim Ausbruch des deutsch-dänischen Krieges als sogenannter Seedienstpflichtiger eingezogen und bestand nach mehrwöchentlicher Ausbildung sein Officier-Examen. So glückte ihm in vier Wochen auf dem Wasser eine Carriere, die manchem Avantageur zu Lande sehr viel Kopfzerbrechen verursacht. Wohl mögen die Herren Cameraden zu Lande, welche erst nach entsetzlich vielen Torturen an Leib und an Seele sich zu dem herangebildet haben, was dort ein brauchbarer und tüchtiger Officier benamset wird, etwas scheel auf den Herrn Cameraden zur See sehen, der nach ihrer Meinung auch gar zu plump in seinem Auftreten ist, seine rohen Seemannsmanieren durchaus nicht ablegen will, sein freies und offenes Wesen nicht in jenes bekannte affectirte, seine rauhe, aber ehrliche und gemüthvolle Redeweise nicht in jene näselnde so mancher Landratten zu verwandeln sucht und noch dazu fast dreimal so viel Gage bezieht, als sie. Was uns aber anbetrifft, so sagen wir: Alle Achtung vor diesem Mann, der, fast von Kindesbeinen an gehärtet auf stürmischer Fluth, mit unzähligen Mühen und Beschwerden gekämpft und, kühn Wind und Wellen trotzend, schon so manches Mal einem schrecklichen Tode in’s bleiche Antlitz geschaut hat, bis es ihm, indem er Staffel auf Staffel erklomm, vom Kajütenjungen, Halbmann, Jungmann bis zum Matrosen, endlich vergönnt war, auf der Navigationsschule sich die für einen preußischen Steuermann erforderlichen theoretischen Kenntnisse zu erwerben. Freilich würde er, sollte er die Uniform eines preußischen Landsoldaten anziehen, gewiß ebenso, wie viele seiner Brüder, mit manchen Schwierigkeiten zu kämpfen haben, ehe er im Stande wäre, seine wiegende Seemannshaltung in die kerzengrade, straffe Parade-Haltung des Landsoldaten zu verwandeln; doch hier auf blauem Grunde ist er so recht in seinem Element. Und auch die lustigen Jungen in ihren blau- und weißgestreiften Hemden, den blauen Jacken und Hosen und der mit fliegenden Bändern versehenen Mütze, auch sie haben alle Achtung vor den Befehlen ihres Commandeurs, sie fühlen, daß er gewohnt ist, in brüllender See mit ruhigem Commandoton das Schiff durch die brechenden Wogen zu leiten, sie wissen, daß ihr Commandeur keinen Spaß versteht, wenn er in dem Landes-Dialekt, der derben, gewichtigen, plattdeutschen Redeweise, Etwas anordnet und, gemüthlich die feinen weißen Officier-Glacé-Handschuhe von den rauhen Händen streifend und in die Rocktasche schiebend, auch wohl selbst wacker Hand mitanlegt. Fast sämmtlichen der kleinen Ruderkanonenboote ist als Commandant einer von diesen kürzlich erst zum Officier beförderten, nach Beendigung des gegenwärtigen Krieges zu entlassenden Leuten, sogenannten Auxiliar-Officieren, zuertheilt, während auf den größeren Dampfkanonenbooten meistentheils Lieutenants zur See befehligen, die schon länger im königlichen Flottendienst sind. Die Mannschaft der ganzen Flottille zeigt in ihrem ganzen Auftreten überall jene ruhige, nie anmaßende Würde, jene gemüthliche Heiterkeit und, sobald es die Noth erfordert, jene kräftige, energisch eingreifende Thätigkeit, welche den niederdeutschen Seemann vor sämmtlichen anderen auszeichnet, so daß seine Tüchtigkeit von allen Völkern rühmend anerkannt wird. Fast überall hört man unter ihnen den derben, kraftvollen und doch gemüthlich aufheiternden plattdeutschen Dialekt, ob sich derselbe nun in der härteren vorpommerschen, in der mehr johlenden hinterpommerschen, in der breiten mecklenburgischen, oder der noch breiteren Ausdruckweise der Danziger Niederung äußert; ja sogar das unglückliche, so lange geknechtete meerumschlungene Land hat manche seiner Söhne zur preußischen Flotte gesandt, um ihren alten Erbfeind auch zur See mit zu bekämpfen, weil ihnen zu Lande dies nicht vergönnt war.

In einem öffentlichen Local Stralsunds, wo eine Sängergesellschaft unter instrumentaler Begleitung verschiedene Lieder vortrug, erblickte ich unter vielen anderen zur preußischen Marine gehörenden noch jugendlichen Individuen zwei ebenfalls in der blauen Jacke steckende feste, gedrungene Gestalten. Ihre ernste Haltung, ihre ruhige, gemessene Würde, der Heiterkeit ihrer Cameraden gegenüber, die schon von tiefen Furchen durchzogene Stirn, das blondbärtige, wettergebräunte Antlitz, aus dem treuherzig die blauen Augen hervorlugten, kündigten mir an, daß ich durch die Stürme des Lebens bereits gereifte Männer vor mir hatte. Da erschollen vom Orchester durch die Halle die Klänge des „Schleswig-Holstein meerumschlungen“. Die ernsten Mienen der beiden Männer belebten sich, langsam stahlen sich Zähren aus den Augen und rollten über die Wangen; doch, von plötzlicher Wuth erfaßt, erhebt jetzt der eine der beiden Männer die markige Faust und läßt sie dröhnend auf die Tischplatte niederfallen, während sein minder heftig erschütterter Gefährte ihn zu besänftigen sucht. Nun war mir klar, wer die beiden Männer waren. Auf sie zugehend und ihnen die ausgestreckte Hand hinhaltend, fragte ich: „Wohl Schleswig-Holsteiner?“ Und mit kräftigem Händedruck antwortet der eine: „Joa, Härr, dat sünd wi, un wisen will’n wi’t den Dänen, dat wi’t sünd.“ (Ja, Herr, das sind wir, und zeigen wollen wir’s den Dänen, daß wir’s sind.) Aus näheres Befragen erfuhr ich noch, daß der eine der beiden Männer aus Schleswig, der andere aus dem Dithmarsischen war. Beide hatten durch die Erpressungswuth der Dänen schon ungemein gelitten, ihre Familien der Obhut ihrer Verwandten übergeben und Alles im Stiche gelassen, um während der Dauer des Krieges in den preußischen Flottendienst zu treten. Wahrlich, eine so heilige Begeisterung, ein so hoher Muth, eine solche Aufopferungsfähigkeit verdienten, neben die größten Beispiele der Geschichte gestellt zu werden!

Das sind die Bestandtheile unserer jungen Marine, und wo solche Männer unsere Schiffe bevölkern, da können wir wohl hoffen, auch einen ungleichen Kampf mit riesigen Kolossen, gegen die unsere Kriegsschiffe wie winzige Bootchen sich ausnehmen, mit Erfolg zu bestehen.

Wir steigen jetzt in ein Boot, das uns von einem Officier freundlich dargeboten und mit fünf rüstigen Blaujacken besetzt ist, um uns die außerhalb des Bassins im Gellen längs der Rügenschen Küste in einem weiten Halbkreis ankernden Dampfkanonenboote ein wenig aus der Nähe anzuschauen. „Wenn de Dinger blos ’n bäten mihr stühmten (von steam, Dampf), denn wullen wi den Danske-Mann woll Toback gäwen,“ (wenn die Dinger nur ein wenig mehr Dampf entwickelten, dann wollten wir dem Danske-Mann [Dänen] wohl mehr Tabak geben [zusetzen]) meint unser alter Matrose am Ruder, und der Mann hat nicht so ganz Unrecht. Hätten die Kanonenboote bei dem Seegefecht bei Saßnitz auf der Halbinsel Jasmund es wagen können, den Dänen ein wenig näher auf den Pelz zu rücken, ohne bei ihrer geringeren Schnelligkeit befürchten zu müssen, abgeschnitten zu werden: die Dänen hätten jedenfalls weit mehr gelitten.

Als Beispiel von der vortrefflichen Bedienung unserer Flotten-Geschütze kann ich nicht umhin, noch folgenden Vorfalles während des Seegefechtes zu erwähnen, der mir von einem glaubwürdigen Augenzeugen erzählt worden ist.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 335. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_335.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)