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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

stieg ihm das Blut in den Kopf. Noch ein paar Minuten blieb er mit verschränkten Armen stehen, dann aber, als er sah, wie der Fremde seinem Mädchen eine Menge Sachen in’s Ohr flüsterte, schritt er plötzlich ruhig, aber entschlossen zwischen den Tanzenden durch, gerade auf das Paar zu, und Lieschen an der Hand nehmend, zog er sie mit sich fort und sagte: „Komm, Jungfer, Du hast jetzt genug mit dem Herrn da getanzt.“

„Aber, Hans!“ rief Lieschen erschreckt und zugleich beleidigt, denn die Mädchen in der Nachbarschaft lachten.

„Entschuldigen Sie,“ rief aber auch Herr von Secklaub, „die Dame hat, so viel ich weiß, das Recht –“

„Hier sind keine Damen,“ trat ihm ein anderer Bursche, der schon darauf gewartet hatte, gerade vor das Gesicht, „das da ist dem Hans seine Platzjungfer – verstanden?“

„Mit Ihnen habe ich gar nichts zu schaffen,“ sagte der junge Mann und wollte ihn bei Seite schieben. Das war gefehlt.

„Na, das auch noch?“ rief der junge kräftige Bursche und warf Secklaub’s Arm zurück, daß dieser gegen einen der Cameraden anflog.

„Oho!“ schrie dieser, indem er den Städter augenblicklich beim Kragen faßte, denn fast die sämmtlichen Burschen hatten viel weniger auf eine Ursache, als einen Anfang gewartet, „wissen Sie nicht, wie man sich zu benehmen hat? Treppe frei!“

„Treppe frei! Treppe frei!“ schrie die jubelnde Schaar. Herr von Secklaub wollte sich zur Wehr setzen, allein, lieber Gott, in den Händen der Burschen war er wie ein kleines Kind, und während die Uebrigen lachend und schreiend beiseite wichen, wurde der arme Teufel ohne Weiteres mehr zur Treppe getragen, als geführt und dort mit einem „Kopf weg, da unten!“ hinabgesandt. Er polterte auch die ziemlich steilen Stufen bis unten hin, raffte sich dann auf und schien einen Augenblick nicht übel Lust zu haben, in voller Wuth wieder nach oben zu stürmen. Das aber wäre blanker Wahnsinn gewesen, denn wenn er sich auch kräftig genug fühlte, einem Einzelnen Stand zu halten, hätte er dort oben den ganzen Schwarm gegen sich gehabt. So war er denn, mit zerrissenem Rock und ohne Hut, genöthigt, sein Pferd zu bestellen, das ihm der Hausknecht bald brachte. Uebrigens nicht gewillt, im bloßen Kopf heimzureiten, nahm er unten im Haus die erste beste Kopfbedeckung, von denen dort überall genug an den Nägeln hingen, stülpte sie auf und galoppirte kaum eine Viertelstunde später, eben nicht besonders gut gelaunt, in die dunkle Nacht hinein nach Wetzlau hinüber.




9. Weshalb man nie eine Gartenthür offen lassen soll.

Die Kirmeß war vorbei, und am Freitag Morgen geleitete Hans seine Braut wieder, mit der vollen Musik, nach Wetzlau hinüber. Am nächsten Sonntag zur Nachkirmeß war aber Lieschen unwohl geworden und konnte nicht nach Dreiberg kommen. Sie hatte spät am Sonnabend Abend noch einen Boten hinüber gesandt, damit die Musik nicht umsonst käme, um sie abzuholen.

Hans fühlte sich unbehaglich darüber, denn er wußte recht gut, daß ihn die Dreiberger Burschen auslachen würden, wenn ihn seine Platzjungfer im Stich ließ. Und war sie auch so ernstlich krank? – das wäre ja noch viel schlimmer gewesen. Am Ende war sie nur ein wenig böse auf ihn, des letzten Abends im Wirthshause wegen. Trug er denn aber die Schuld? Der Fremde hatte ja mit den anderen Burschen Streit bekommen, und er bei der ganzen Sache keine Hand angelegt, ja, dem Stadtherrn nicht einmal ein böses Wort gesagt – und was ging sie auch überhaupt der Laffe an, daß sie ihm seinetwegen böse sein konnte – und doch war sie an jenem Abend gar nicht mehr so freundlich mit ihm gewesen, wie sonst. Die Botschaft von Wetzlau aber konnte er nicht aus dem Kopf bringen und beschloß endlich am nächsten Morgen mit Tagesanbruch selber hinüber zu reiten.

Der Vater war an demselben Tage nochmals in der Stadt gewesen, und es schien fast, als ob er jetzt bald einen Heimathschein, und zwar von hier, erhalten würde. Der alte Barthold hatte nämlich, des ewigen Hin- und Herschreibens müde, drinnen erklärt, daß er seinem Sohn sein Gut in Dreiberg übergeben würde. Dadurch wurde Hans ansässig, und sie konnten ihm dann das Heimathrecht nicht länger verweigern. Der Traubenwirth hatte ihn dazu vermocht, ihm dauerte selber die Sache zu lange und er wünschte, daß die Hochzeit recht bald sein könnte, weshalb, sagte er aber dem alten Barthold nicht.

Das war doch wenigstens eine gute Nachricht, die der Hans mit hinüber nach Wetzlau nehmen konnte, und eben schaute am anderen Morgen die Sonne über die östlichen Gebirgshänge herüber, als er auf seinem Braunen in den herrlichen Herbstmorgen hineintrabte. Eigentlich war es noch ein wenig früh für einen Besuch, aber auf dem Lande wird es nicht so genau genommen, und daß Lieschen, wenn nicht ernstlich krank geworden, schon um diese Zeit auf und munter sei, wußte er außerdem.

Zu Pferd brauchte er auch nicht den nichtswürdigen Fahrweg einzuhalten, wenigstens ein kleines Stück vor Wetzlau konnte er abschneiden, wenn es auch verboten war den Pfad zu reiten, weil man damit das Chausseehaus umging. Dadurch kam er gleich hinter dem Wirthshaus in’s Dorf, und da er die Gartenpforte offen fand, ritt er hinein, hing den Zügel seines Pferdes über den Ast eines Apfelbaumes – aufhalten durfte er sich doch nicht lange, er mußte ja zurück nach Dreiberg zur Nachkirmeß – und kam durch den Hof in das Haus.

Unten traf er das Hausmädchen, das ihm aber auf seine Frage, wie es Lieschen ginge, antwortete: „Die Jungfer? o, die ist ganz wohl. Sie war vorhin unten und ist eben wieder hinaufgegangen.“

„Also nicht krank, Gott sei Dank!“ dachte Hans, als er die Treppe langsam hinanstieg, „und sollte sie mir da wirklich böse sein? ei, das will ich bald sehen, was sie für ein Gesicht macht, wenn sie mich zuerst sieht, ob sie nur so thut, oder ob sie’s wirklich ist, und nachher muß der Alte gleich einspannen und sie wieder hinüberfahren lassen. Das wäre eine schöne Nachkirmeß ohne Platzjungfer! Ein Glück nur, daß ich herübergekommen bin!“

Damit hatte er den oberen Theil der Treppe erreicht und betrat eine Art Vorsaal, der in einige Gaststuben führte, dahinter lag eine Vorrathskammer, und links ab durch den Gang kam man in Erlau’s Familienwohnung, wo Lieschens Zimmer dicht neben der Schlafkammer der Eltern lag. An der Treppe vorüber führte ein anderer Gang nach dem linken Flügel des Hauses, wo sich die gewöhnlich benutzten Gastzimmer befanden. Die an dieser Seite wurden nur in Ausnahmsfällen benutzt und standen meistens leer.

Hier blieb Hans unschlüssig stehen, denn er scheute sich nach Erlau’s Wohnzimmer hinüber zu gehen; es war ihm doch noch ein wenig zu früh, und er überlegte sich eben, daß es das Beste sei, wenn er lieber erst von unten das Hausmädchen hinaufschicke und Lieschen sagen lasse, er sei da und müsse sie einen Augenblick sprechen. Als er eben wieder umkehren wollte, hörte er drüben auf dem Gang den festen Schritt eines Mannes. Das war gewiß der Mosje mit dem Schnurrbart, der hinuntergehen wollte, dem mochte er nun gerade hier nicht begegnen, wenn er es vermeiden konnte, und eines der leeren Gastzimmer öffnend, trat er hinein und ließ die Thür angelehnt.

Der Schritt kam aber näher und mußte die Treppe längst passirt haben. Jetzt betrat er den diesseitigen Gang, es war wahrhaftig der alte Bekannte mit dem Schnurrbart; was hatte denn der auf dieser Seite des Hauses zu thun? Er konnte ihn, als er vorüberging, durch die Thürspalte deutlich erkennen, und dann blieb der Mensch auch noch gar dort stehen und ging auf dem kleinen Vorplatz auf und ab. Ob der Laffe nicht überall im Wege war!

Hans ärgerte sich, daß er in das Zimmer getreten war; wenn er es aber jetzt verließ, was mußte der Bursche dann von ihm denken, daß er sich hier versteckt gehalten? Nein, warten mußte er noch eine Weile, bis die Luft rein war. Der Mosje würde doch gewiß keine halbe Stunde dastehen bleiben.

Jetzt wurde die Gangthür geöffnet, er kannte sie am Knarren. Da kam am Ende Lieschen, und der alberne Mensch stand auf dem Vorsaal, und draußen wurde jetzt geflüstert. Hans horchte hoch auf, das konnte doch nicht Lieschen sein? gewiß eines der Dienstmädchen aus dem Hause.

Die Stimmen kamen näher, und dicht vor seiner Thür blieben die Beiden, wer es auch immer war, halten.

„O, geh fort, Otto.“ bat jetzt Lieschens Stimme – dem Hans war genau so zu Muthe, als ob ihn Jemand mit einem Messer in’s Herz gestochen hätte – „ich habe den Vater schon in seiner Kammer gehört, und wenn er Dich hier mit mir fände, wäre ich unglücklich. Er hat überdies schon Verdacht geschöpft und mir gedroht. Wenn uns nun Jemand hier zusammen sähe!“

„Aber, liebes, herziges Kind,“ bat des Fremden Stimme, „ich muß heute in die Stadt, und werde unter vierzehn Tagen nicht

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 339. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_339.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)