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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Bett wie todt liegen sah, hat sie geweint, als ob ihr das Herz brechen müßte. Jetzt ist sie selber krank und liegt im Bett, aber alle Tage hat sie herübergeschickt, um fragen zu lassen, wie es Dir geht; manchmal zwei Mal an einem Tag. Es soll mir auch gleich ein Bote nach Wetzlau, daß sie sich mit uns freuen können.“

Hans sank wieder auf sein Kopfkissen zurück und schloß die Augen. Der Kopf that ihm noch weh und das Besinnen that ihm auch weh, und doch hätte er in dem Augenblick Gott weiß was darum gegeben, wenn er gewußt hätte, was jetzt wirklich geschehen sei und was er nur geträumt habe. Wie ihm das Alles so wild und toll in seiner Erinnerung durcheinander schwamm – er konnte die einzelnen, verworrenen Bilder gar nicht von einander trennen.

„Hans,“ rief der Vater ängstlich, „bist Du wieder krank?“

„Nein, Vater,“ sagte der junge Bursche leise, ohne aber die Augen noch zu öffnen, „der Kopf schwindelt mir nur. Laßt mich einmal einen Augenblick ausruhen; es wird gleich wieder besser werden.“

Hans hatte auch nicht zu viel versprochen. Eine solche Natur, wie er, kann wohl einmal geworfen werden, aber sie arbeitet sich auch wieder kräftig nach oben, und Träume und Phantasien können nie lange Gewalt über sie haben. Doch die Augen durfte er nicht dazu geschlossen halten; er mußte sehen, was um ihn her vorging, und wie er wieder in das ängstlich besorgte Gesicht des Vaters schaute, kam ihm die Erinnerung an das Vergangene – an das wirklich Geschehene, klar und deutlich zurück.

„Wo ist die Kathrine, Vater?“ sagte er leise.

„Die Kathrine? unten bei der Mutter. Laß die Frauen nur noch eine Weile gehen, denn die machen Dich sonst nur noch unruhiger, als Du schon bist. Aber ich hab’ Dir auch eine gute Kunde zu melden, Hans – eine recht gute Kunde.“

„Eine gute Kunde?“

„Dein Heimathschein ist angekommen. Jetzt ist’s auf einmal schnell gegangen. Aber nun mach’ auch, daß Du wieder auf die Füße kommst. Ich hab Dir das ganze Gut verschrieben, und da mußten sie ihn Dir wohl geben, denn Du bist ja jetzt Landeigenthümer geworden und kannst nun heirathen, wann Du willst. Aber nach Gotha werden wir doch noch müssen, denn die Herren Geistlichen sind zäh und wollen nicht nachgeben.“

„Wo ist denn die Kathrine, Vater?“

„Aber was hast Du nur mit der Kathrine? unten, ich hab’ Dir’s ja schon vorher gesagt, bei der Mutter.“

Wieder schloß Hans die Augen und schien jetzt wirklich müde geworden zu sein, denn als ihn der Vater wieder anredete, bewegte er nur leise die Hand und öffnete die Augen nicht. Da er aber ruhig und regelmäßig athmete, war der Alte vernünftig genug, ihn nicht weiter zu stören, und zwei volle Stunden blieb er so liegen, während die Frauen ein paar Mal leise das Zimmer betraten, aber immer wieder auf den Zehen hinausschlichen, sobald sie den Schlaf des Kranken bemerkten.

Gegen Abend kam der Chirurg, und als Hans die fremde Stimme hörte, öffnete er die Augen. Er hatte wirklich geschlafen und fühlte sich dadurch merklich gestärkt.

Der Chirurg war außerordentlich zufrieden; der Puls ging ruhig, die Kopfwunden waren nur noch wenig entzündet. Wundfieber hatte er gar nicht gehabt, und mit einiger Ruhe hoffte jener ihn in ein paar Tagen wieder auf den Füßen zu haben.

„In ein paar Tagen?“ lächelte Hans, „ich stehe morgen auf, Doctor, die Schrammen am Kopf heilen auch so.“

„Und fallen mir nachher wieder um,“ sagte der Chirurg.

„Denke nicht daran,“ meinte Hans.

„Nur nicht zu früh,“ warnte der Doctor, als er das Haus verließ, „daß wir keinen Rückfall kriegen.“

Mutter und Katharine durften jetzt bei ihm bleiben, und als das junge Märchen wieder zu seinem Bett trat, nahm er ihre Hand, drückte sie leise und sah ihr so lange in die guten blauen Augen, bis sie den Blick vor ihm zu Boden schlug. Aber eine große Veränderung zum Besseren war mit ihm vorgegangen. Er schien die anfängliche Schwäche schon fast abgeschüttelt zu haben, und die Mutter war ganz glücklich, als sie sah, wie aufmerksam er ihr zuhörte, als sie ihm Alles erzählte, was indessen in Dreiberg vorgegangen, seit er dagelegen, wenn er auch Katharine immer dabei anschaute.

„Vater,“ fragte Hans, nachdem die Frauen zur Bereitung des Abendbrods hinuntergegangen waren und er eine Weile schweigend in seinem Bett gelegen, „habt Ihr nach Wetzlau hinübergeschickt?“

„Ei gewiß,“ lautete die Antwort, „der Bote ist auch schon zurück. Er hat aber die Liese nicht selber gesprochen, doch ist sie wieder auf und gesund. Sie lassen Dich Alle herzlich grüßen und Dir Glück wünschen.“

„Vater, ich möchte jetzt nicht gern mehr viel Zeit verlieren, bis ich meinen eigenen Heerd gründe.“

„Aber wohl und gesund mußt Du doch erst wieder sein.“

„In vierzehn Tagen werden kaum noch die Narben zu sehen sein, und so lange braucht’s ja doch zu dem Aufgebot,“ meinte Hans.

„Hm,“ sagte der Vater, „aber da kommt uns wieder die verwünschte Geschichte mit dem Consistorium dazwischen. So rasch geht die Sache nun auf keinen Fall.

„Ich hab’ mir das Alles anders überlegt, Vater,“ sagte der Hans ruhig, „wir brauchen das Consistorium gar nicht – ich heirathe die Kathrine.“

„Hans!“ rief der Vater und fuhr erschreckt von seinem Stuhl in die Höhe, denn er glaubte im ersten Augenblick, sein Hans sei durch den Sturz im Kopf verwirrt geworden, „um Gottes willen, Junge, was hast Du? was ist mit Dir? Du solltest noch nicht so viel nachdenken, Du solltest hübsch still liegen und Dich ruhig halten.“

Hans, der wohl ahnen mochte, was sein Vater fürchtete, lächelte still vor sich hin; endlich sagte er: „Die Kathrine hat mich lieb, ich weiß es. Vorhin hab’ ich’s gehört, als sie noch glaubte, ich könnte sie nicht hören, und ich bin ihr auch von Herzen gut, und sie paßt besser für mich, für uns Alle, als das Lieschen.“

„Aber der Traubenwirth hat mein Wort, das Lieschen hat Deins. Das geht im Leben nicht und brächte Schand’ auf uns Alle,“ rief jetzt der Alte, denn der Hans sprach zu vernünftig, als daß er nun nicht hätte merken können, es sei ihm Ernst.

„Wär’ Euch die Kathrine zur Schwiegertochter recht, Vater?“

„Was hilft das Fragen, Hans? zerquäl’ Dir den Kopf nicht mit derlei Dingen,“ mahnte der Vater ab, doch noch immer nicht so ganz beruhigt. Wie kam der Junge jetzt nur auf die Kathrine?

„Bitte, beantwortet mir nur die eine Frage,“ bat Hans, „wär’ Euch die Kathrine zur Schwiegertochter recht?“

„Wenn Du sie früher gewählt hättest, ich wollt’ nichts dagegen sagen,“ setzte er zögernd hinzu, „aber so –“

„Vater, wollt Ihr mich einen Augenblick ruhig anhören?“

„Du darfst nicht so viel sprechen.“

„Nur ein paar Worte, ich muß es vom Herzen haben, und Ihr müßt morgen ganz früh nach Wetzlau reiten und mit dem Traubenwirth sprechen.“

„Und was ist’s?“

Hans lag noch eine Weile still, dann erzählte er dem Vater mit kurzen, einfachen Worten die ganzen Erlebnisse, erst von dem letzten Kirmeßabend, dann von jenem Sonntag-Morgen, was er gehört und was er selber gesehen, und der Vater saß dabei und schüttelte nur unablässig mit dem Kopfe. Und dann erzählte Hans weiter, wie er wieder zur Besinnung gekommen sei und wie Katharine an seinem Bett gelegen und gebetet und was sie dabei gesagt habe. Und jetzt nickte der Alte und sagte leise: „Ob ich’s mir nicht gedacht – ob ich’s mir nicht gedacht!“

„Und soll ich das Lieschen jetzt noch heirathen, Vater? könnt’ ich’s nach dem, was vorgefallen ist, je wieder recht von Herzen lieb haben? und hat’s mir nicht damit selbst mein Wort zurückgegeben?“

Der Alte antwortete nichts, er war aufgestanden, kraute sich den Kopf und ging eine ganze Weile im Zimmer auf und ab. Endlich rief er: „Morgen früh reit’ ich zum Traubenwirth hinüber. Gern thu’ ich’s nicht, aber Recht hast Du. Wenn die Sache denn einmal so steht, mag sich das Lieschen den Stadtmenschen nehmen. In die Stadt paßt es auch besser mit den weiten Röcken, als zu uns in die engen Stuben – und die Kathrine?“

„Sagt ihr noch nichts, Vater,“ bat Hans, „ich möchte sie selber darum fragen; auch der Mutter nicht, heute Abend bin ich noch zu schwach. Das viele Reden hat mich angestrengt, vielleicht auch der Hunger; aber da kommt die Mutter mit der Suppe, die wird mir gut thun. Mir ist ordentlich zu Muthe, als ob ich in einem ganzen Jahre nichts gegessen hätte.“



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