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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

Aus den letzten Stunden einer Monarchie.
Von Johannes Scherr.
(Fortsetzung.)

Inzwischen hatte Herr Thiers sich außer Athem gelaufen, um mittelst Findung von Ministern das Verhängniß abzuwenden. Der kleine Nothhelfer mit der großen Brille hatte es glücklich dahin gebracht, die Chefs der Linken und des linken Centrums der Deputirtenkammer in seiner Wohnung zu versammeln und diese Herren – Barrot, Remusat, Duvergier de Hauranne, Beaumont, Lamoricière – zur Annahme von Ministerposten zu bestimmen. Man wollte auch noch die Führer des sogenannten „tiers parti“, die Herren Passy und Dufaure, sowie Barrot’s Freund, Billault, mit in das neue Cabinet ziehen; allein alle Drei lehnten ab. Eben waren die übrigen Ministerschaftscandidaten übereingekommen, sich zwischen 7 und 8 Uhr in das Schloß zu begeben, als Herr de Reims, der Secretair von Thiers, eilends eintrat. Er war auf Kundschaft ausgewesen und hatte die Neuigkeit der Ernennung eines Ministeriums Thiers-Barrot auf das Bureau des „National“ gebracht. „Das genügt nicht,“ hatte ihm der Chefredacteur Marrast zur Antwort gegeben. „Die Abdankung des Königs vor Mittag! Nach Mittag würde es zu spät sein.“ Zu spät! Wie so oft schon ist dieses Schicksalswort erschollen als ein Weltgerichtsposaunenton, und wie selten ist es gehört, beachtet und verstanden worden! Auch die bei Herrn Thiers versammelten Matadore des Liberalismus verstanden es nicht. „Parbleu,“ sagte Duvergier de Hauranne spöttisch, „Citoyen Marrast predigt für seine Heilige.“ Ein den Gedanken einer Möglichkeit der Republik weit wegwerfender Witz, welcher ein beifällig zustimmendes Lächeln hervorrief.

Preußischer Krankenwagen bei Düppel.
Nach der Natur gezeichnet von Otto Günther.

Freilich, auf ihrem mühseligen Wege nach den Tuilerien hatten die Herren sattsame Gelegenheit, zu bemerken, daß der Aufstand eine solche Gestalt angenommen, daß ihm mit den gewöhnlichen constitutionellen Auskunftsmitteln nur noch sehr schwer würde beizukommen sein. Namentlich Herr Barrot war durch das, was er unterwegs gesehen und gehört, so stutzig geworden, daß er, mit seinen Begleitern gegen 8 Uhr am Gitter des Schloßhofes angelangt, innehielt und erklärte: „Ich kann nicht weiter gehen. Der Name des Marschalls Bugeaud macht den Kampf unvermeidlich und eine Katastrophe wahrscheinlich. Ich ziehe mich zurück.“ Worauf Thiers dem Muthlosen entgegnete: „Ich leugne die Gefahr nicht. Aber dürfen wir dem Könige seinen Degen entreißen? Können wir einen Marschall von Frankreich vom Pferde steigen machen?“ Herr Barrot gab nach… Im Palasthof traten den Ankommenden die Herzöge von Nemours und von Montpensier entgegen, Beide, besonders der jüngere der Prinzen, sehr bewegt. „Es ist trostlos,“ klagte er. „Alle Mittel erweisen sich als machtlos. Die Lage der Truppen ist furchtbar. Sie versinken im Koth, und es mangelt ihnen an Schießbedarf …“ Man erfuhr, der König schlafe noch, und bis er geweckt würde und bereit wäre, die Ministercandidaten zu empfangen, begab sich Herr Thiers

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 373. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_373.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)