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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

schwankten, aber Schmutz und Wasser quollen schon wieder hervor. Beständig stießen wir auf Soldaten und Officiere aller Grade und jeder Waffengattung, auf Aerzte und Krankenträger, Arbeiter und Civilisten. Ein Adjutant drückte meinem Begleiter ein gedrucktes Papier in die Hand. Der Officier warf einen Blick hinein und rief dann: „Endlich! Also morgen!“ Es war der Corpsbefehl. Morgen sollte unwiderruflich der Sturm beginnen. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht durch das ganze Lager und wurde überall mit Begeisterung aufgenommen. Schon wurden die sechs Sturmcolonnen formirt, welche sich am folgenden Tage auf die Schanzen 1–6 werfen sollten; sie wurden bekanntlich aus allen Compagnien der Armeen durch das Loos zusammengesetzt, und jede in einer Stärke von etwa 1500 Mann.

Wir bogen in die erste Parallele ein, die rechts von Freudenthal begann und bis zum Wenningbunde strich, in einer Sohlbreite von 29–30 Fuß und in einer Länge von über 1000 Schritten. Sie war am 30. März eröffnet und um etwa 1200 Schritt von den Schanzen entfernt.

„Alle diese Belagerungsarbeiten,“ sagte der Officier, „können nur in der Nacht vorgenommen werden, weil sonst das Feuer des Feindes sie unmöglich machen oder doch mit zu großen Verlusten verknüpfen würde. Die Nacht ist die rechte Stunde für Spitzbuben und Soldaten, aber keine helle, milde Sternen- oder gar Mondscheinnacht, nach der die Liebenden seufzen, sondern tiefe, pechrabenschwarze Nacht voll Regen und Sturm, wo die feindlichen Vorposten in ihren Löchern liegen, und vor Kälte und Grauen wie Todte schlafen. Also war’s in der Nacht vom 29. zum 30. März, wo wir die erste Parallele glücklich aushoben; doch nicht, wie gewöhnlich, mit Sappenkörben, sondern, da Eile geboten war, mit der fliegenden Sappe vorgingen.“

„Um Verzeihung, wenn ich Sie unterbreche; aber was verstehen Sie unter ‚Sappenkörben‘ und was nennen Sie eine ,fliegende Sappe‘?“

„Das sollten Sie eigentlich einen Ingenieurofficier fragen, doch zufällig kann ich’s Ihnen auch sagen: Sappenkörbe sind große, aus Weiden geflochtene und mit Erde gefüllte Fässer, etwa zwölf Fuß lang und vier Fuß im Durchmesser, welche die Pioniere vor sich herrollen und wodurch sie vor dem feindlichen Feuer geschützt bleiben. Die fliegende Sappe dagegen besteht aus einer Anzahl von leeren Schanzkörben, wie Sie deren Hunderte hier umherliegen sehen. Ein solcher Schanzkorb ist ein hohler Cylinder, gleichfalls aus Weiden zusammengeflochten, aber nur drei Fuß hoch und etwa zwei Fuß im Durchmesser. An einem Ende sind zugespitzte Pfähle angebracht, durch welche er mit einem geschickten Stoß in den Boden getrieben und dann mit Erde gefüllt wird.

Zunächst wurden nun unsere Vorposten eine Strecke weit vorgeschoben, denn die Parallele sollte gerade da ausgehoben werden, wo jene zur Zeit standen. Sie wurden also geräuschlos vorgeschoben und erhielten das strenge Verbot, nicht zu schießen, auch wenn ihre feindlichen Cameraden damit beginnen sollten. Dann schlichen sich zwei Pioniercompagnien hervor; auf Händen und Füßen krochen sie Schritt um Schritt, neben- und hintereinander. Sie marquirten den in Angriff zu nehmenden Graben, indem sie ein mehrere tausend Ellen langes weißes Band entrollten und es nach der Weisung ihres Oberlieutenants am Boden ausspannten, worauf die Linien mit der Kreuzhaue eingezeichnet oder, wie’s in der Kunstsprache heißt, tracirt wurden. Nun kamen ebenso leise die aus der Brigade Canstein erwählten 2500 Arbeiter heran. Jeder Mann trug einen Schanzkorb und einen Spaten. Jenen übergab er an den Pionier, welcher ihn sofort in den Boden einrammte, und mit diesem begann er zwischen den tracirten Linien die Erde auszuwerfen und damit die Schanzkörbe zu füllen. Binnen einer Stunde war die Hauptsache gethan und bereits eine mäßige Brustwehr errichtet, natürlich zunächst nach der Seite des Feindes hin. Immer tiefer gruben sich die Leute ein, und immer höher wurde die Erde in und über den Körben aufgeschichtet, so lange als die schützende Finsterniß vorhielt. Die Kerle arbeiteten mit der Hast der Todesfurcht, denn jede Minute Zeitverlust kann hier das Leben kosten. Uebrigens waren im Hintergründe andere 2000 Mann und mehrere Feldgeschütze zum Schutze der Arbeiter aufgestellt. Als der Morgen anbrach, waren die Schanzen und der ganze Höhenkamm mit Hunderten von Dänen bedeckt, die alle mit trübseligem Erstaunen und vielleicht voll unheimlicher Todesahnung auf ein Werk herniederblickten, das sie in seiner Entwickekung nicht mehr hindern, geschweige denn ungeschehen machen konnten. In der folgenden Nacht wurde die Parallele vollendet und mit zwanzig Batterien armirt, die seit vierzehn Tagen mit etwa 80–90 Feuerschlünden, gezogenen Zwölf- und Vierundzwanzigpfündern, ununterbrochen auf die Feinde spieen.“

Die Parallelen boten in ihrem Leben und Treiben ein äußerst bewegtes und ewig wechselndes Bild. Jäger und Musketiere, Pioniere und Artilleristen, Gemeine und Officiere lagen auf Strohbündeln umher, wie Kraut und Rüben kollerten sie durcheinander. Einige schliefen, Andere starrten in die Wolken, noch Andere trieben allerhand Muthwillen und Unterhaltung. Hier ertönte ein munterer Rundgesang, dort eine schwermüthige Weise. Hier malte ein ausgelassener Bursche seinem schlafenden Cameraden eine schwarze Nase, worüber die ganze Umgebung in ein wieherndes Gelächter ausbrach; dort unterhielten sich ernst und halblaut ein paar Freunde, die von ihren Lieben in der Heimath und von dem morgenden Sturme sprachen. „Fritz,“ sagte der Eine von Beiden, „in meiner Brusttasche steckt ein Brief an meinen alten Vater, den Du mit tausend Grüßen besorgen sollst, falls ich in unser Dorf nicht mehr zurückkehre.“

„Wenn ich selber nicht vor Dir falle!“ seufzte der Andere.

Wir schlenderten weiter und stießen auf einen schnurrbärtigen Krieger, der einen rothen Wollenlappen auf seine zerrissene Hose setzte. Zwei seiner Cameraden studirten eifrig eine vier Wochen alte Zeitung, ein paar Andere spielten eine Partie Sechsundsechszig – nota bene ohne allen Einsatz – wobei ihnen ein Tornister als Tisch diente. Interessant war’s, einen Burschen zu sehen, der auf dem gekrümmten Rücken seines Genossen einen Brief schrieb; einen Brief, den ihm ein Dritter in die Feder dictirte, weil dieser Jüngling selber für seine Gedanken nicht die rechten Worte finden konnte. „Liebe Dore,“ dictirte der Letztere, „wer weiß, ob ich den morgenden Abend noch erlebe“ – „darum schicke mir schnell noch einen Thaler,“ fiel der lebende Schreibtisch ein, welche Unterbrechung wieder Veranlassung zu einer mächtigen Lache gab.

Vor dem Banket – so heißt nämlich der natürliche Absatz zwischen Graben und Wall, auf den die Infanteriecolonnen steigen, wenn sie im Fall eines Angriffs aus den Parallelen feuern – also vor dem Banket standen mehrere Soldaten, Kaffee kochend, Eier siedend oder eine Hammelkeule röstend, zu welchem Ende sie Höhlen in das Erdreich gebohrt und darin ein lustiges Feuer angezündet hatten. Eine andere Scene war schon trüber. In jenem Winkel war ein Verbandplatz errichtet und die Aerzte gerade beschäftigt, mehreren Verwundeten den Nothverband anzulegen.

Schon aus der bisherigen Schilderung wird man entnehmen, daß von dem geschraubten Garnison- und Gamaschendienst hier nicht die Rede sein konnte. Jedermann trug und bewegte sich, wie’s ihm am bequemsten und ersprießlichsten schien. Die Knöpfe an den Uniformen waren sehr lange nicht mehr geputzt; dazu wucherten Bart- und Haupthaare in beliebiger Länge und Dicke. Die Meisten trugen lange bis an die Kniee gehende Kothstiefeln, und die Anderen hatten wenigstens das Beinkleid in die kurzen Schäfte gesteckt. Etliche hatten über den Rock eine Nachtjacke oder einen Schafpelz gezogen, und fast Alle über Kopf und Nacken eine graue Tuchkapuze gestreift. Selbst viele Gardelieutenants trugen um den Hals einen dicken Wollenshawl und in der Hand einen derben Knotenstock. Auch das Verhältniß zwischen Officieren und Gemeinen schien jetzt ein wahrhaft cameradschaftliches, denn sie wechselten nicht selten launige Witze und tranken einander aus der Feldflasche zu. Beständig gingen Generale und Stabsofficiere vorüber, aber Keinem fiel es ein, aufzustehen und ein steifes Honneur zu machen, sondern Jedermann blieb ruhig sitzen, und rauchte oder plauderte unbekümmert weiter.

Marketender und Marketenderinnen, mit Körben beladen oder ihre Karren hinter sich herziehend, drängten sich durch die Gruppen und fanden überall Käufer. – „Hierher, Lottchen!“ schrie ein stämmiger Sappeur, und ein junges, bildschönes Mädchen mit braunen Augen und dicken hellblonden Haarzöpfen folgte dem Rufe.

„Was beliebt Dir?“ fragte die Kleine, „ein Glas Danewirke oder eine Flasche Bairisch?“

„Nichts davon! Ich will etwas Besseres haben!“ entgegnete der Bursche, und damit drückte er dem überraschten Mädchen einen schallenden Schmatz auf die vollen Kirschenlippen. Rauschender Beifall folgte dieser Heldenthat, aber die Kleine hatte sich von ihrer Bestürzung bald erholt.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 454. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_454.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)