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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

theilweise sein Werk war. „Sie sollen sich überzeugen,“ sprach er, „daß es uns an keiner Finesse fehlt, wir können selbst versinken, wenn’s darauf ankommt; freilich müssen wir dann auf dem Bauche hinauskriechen.“ Er öffnete dabei verschiedene Fallbreter. „Und Wind machen wir, wie sonst nirgends auf der Welt, auch Regen, Donner und Blitz. Hören Sie einmal!“ Er verschwand, und im Augenblicke kündigte sich ein wahres Elementarereigniß an. Der Sturm tobte, der Regen fiel in Strömen herab, der Donner rollte - Mad. Sand amüsirte sich dabei wie ein Kind, und ich war verdutzt – so einen Höllenlärm hatte ich mir in dem kleinen Raume unmöglich gedacht. Es ist wahrhaft wunderbar, welches Geschick der Franzose in solchen Arrangements entwickelt und mit welcher Naturtreue und welchem Kunstsinn er in Scene setzen kann.

„Ich habe mich meiner Haustruppe verpflichtet,“ sprach Mad. Sand auf’s Neue, „ihr wenigstens alle zwei Monate ein neues Stück zu liefern, wozu ich dann immer meine Freunde aus der Nachbarschaft lade. Es ist dies zugleich eine Art Studium für mich selbst, und schon Mancherlei habe ich davon auf die Pariser Theater übergehen lassen. Doch mit denen zu thun zu haben, hat mich niemals gefreut, ich bin keine bewegliche Natur (nature remuante) und das gehört dazu, wie ebenso viel Stoicismus.“




Blätter und Blüthen.

Auch eine Carriere in Rußland. Mit großem Interesse las ich in Nr. 17 der Gartenlaube die Schilderung einer „russischen Carriere“, möchte mir aber erlauben, das nachstehende Gegenstück, das die Lust zum Auswandern nach dem Reiche aller Reußen bedeutend abkühlen dürfte, aus meinem eigenen mehrjährigen Aufenthalt in St. Petersburg zu Nutz und Frommen des deutschen Publikums zu zeichnen. Es ist die in allen Details wahre Geschichte eines deutschen Landsmannes, die leider keineswegs eine vereinzelte Erfahrung ausmacht, sondern das Schicksal gar mancher durch glänzende Versprechungen nach Rußland gelockter und schmählich getäuschter junger Deutschen erzählt.

Wir nahten uns dem Ende des Januar’s. Ein heller kalter Winterabend mit seinem vollen Sternenhimmel lag über Petersburg, die stolze Hauptstadt glänzte, von tausend Lichtern erleuchtet, in ihrer ganzen Schönheit. Tausende von Schlitten glitten unter der kundigen Leitung ihrer Führer über die glatte Schneefläche mit Windeseile dahin; auf dem Newski-Prospcet und der Großen Morskoia wogte das vollste Leben. Fürwahr, dachte ich, ist es nicht hier in der nordischen Residenz so, als ob erst im Winter das eigentliche Herzblut zum Pulsiren käme und erst jetzt die Freude ihren Einzug hielte? „Aber auch Noth, Kummer und Sorgen,“ ergänzte ich mich selbst und schritt den stattlichen „Englischen Canal“ entlang, der Nikolai-Brücke zu. Mein Weg führte mich nach Wassilij-Ostrow auf das andere Ufer der Newa. Welch’ ein Abstich zwischen der Stille, die am späten Winterabende in diesem Stadttheile Petersburgs herrscht, und dem geräuschvollen Treiben auf dem Newski! In den liniirten Straßen, die Wassilij-Ostrow so eintönig machen, trifft man, sobald der Geschäftsverkehr aufgehört hat, nur noch hier und da vorübergehende Menschen an. Auf dem „Großen Prospekte“, der diesen Stadttheil seiner ganzen Länge nach durchschneidet, war schon Alles öd und leer, und am äußersten Ende desselben, im sogenannten „Galeerenhafen“, sah man nur noch vereinzelt ein Licht brennen.

Meinen Gedanken überlassen, schritt ich vorwärts, bis mich eine am Holzzaune hingekauerte Gestalt mit den Worten „Ach, lieber Herr!“ aus meiner stillen Betrachtung aufscheuchte. Still stehend, sah ich eine Gestalt sich erheben, wie sie in den größeren Städten Rußlands nicht selten zu finden sind. Vor mir stand ein junges Mädchen, dessen funkelnde, schwarze Augen die Gluth, die das Innere verzehrt, laut verkündigen, dessen bleiches, abgehärmtes Antlitz aber ebenso deutlich von Noth und Kümmerniß zu erzählen weiß. „Ach, lieber Herr!“ stammelte noch einmal das junge Weib, und ich sah nun, wie leicht sie bei solcher Winterkälte bekleidet war; der Frost schüttelte ihr die Glieder. Sofort legte ich ihr um, was ich an Pelzwerk entbehren konnte, und griff in die Tasche, ihr das Wenige zu geben, was ich bei mir hatte. Mit herzlichem Danke nahm sie Beides an, aber bat mich dann so inständig, mit ihr zu gehen, daß ich ihre Bitte nicht abschlagen mochte. Es sei nicht weit, sagte sie und zeigte auf ein kleines Holzhaus, in dem man noch ein Lämpchen schimmern sehen konnte. Auf dem Wege dahin entschuldigte sich die Kleine aber- und abermals, daß sie mich angerufen hätte, aber es sei nicht ihret-, auch nicht ihrer Eltern halber, sondern eines jungen Fremden wegen gewesen, der schon Monate lang bei ihnen und in großer Noth sei. Wer weiß nicht aus eigner Erfahrung, was es heißt, fern von der Heimath in einer ihm ganz fremden Welt ohne Freund, ohne eine liebe, treue Seele vereinsamt dazustehen? und wessen Gemüth neigte sich nicht demjenigen freundlich zu, der dem Vereinsamten wie dieses Mädchen nach Kräften zu helfen strebt?

Bald hatten wir das Holzhäuschen, auf das Olga gedeutet, erreicht, ein enges, einstöckiges, aus übereinandergelegten starken Holzbalken dürftig zusammengezimmertes Haus hart am Strom gelegen, welcher den „Galeerenhafen“ bespült und so häufig die umliegenden Häuser ganz unter Wasser setzt. Mit freundlichem Willkommen wurde uns geöffnet. Wir traten in ein Stübchen, das drei Menschen zugleich zur Wohnung, zum Schlafgemach und zur Küche dienen mußte, und nur von dem Oellämpchen, welches vor dem goldverzierten Heiligenbilde, dem einzigen Schmucke des Zimmers, hing, spärlich erleuchtet war. Den Willkomm bot uns die Mutter Olga’s, eine ärmlich, aber reinlich gekleidete Frau, die nicht Dankesworte genug zu finden wußte, als ihr die Tochter das erhaltene Geld einhändigte.

„Gott,“ sprach sie, „wie wird sich der arme fremde Herr freuen, wenn ich ihm einen warmen Thee machen und morgen etwas Gutes kochen kann! Sie glauben nicht, lieber Herr, wie leid uns dieser Fremde thut; es geht ihm so schlecht und er hat doch gewiß ein besseres Loos verdient. Wir haben, so lange es ging, Alles mit ihm getheilt, aber sehen Sie, wir sind arme Arbeitsleute, denen es recht sauer wird, ihr Stückchen Brod zu verdienen, und die leider nicht viel zu theilen haben; heute Morgen nun haben wir die letzte Kopeke ausgegeben, und da wissen wir wirklich nicht …“ Ein heftiges Schluchzen unterbrach die Frau, und man brauchte ihr nur in’s Auge zu schauen, um sich zu überzeugen, daß diese Thränen Thränen des schönsten Mitleids waren, die um so reichlicher flossen, je mehr sich das gute, theilnehmende Herz von der eigenen Hilflosigkeit überzeugte. Olga fügte ganz leise hinzu, daß die Mutter das letzte Geld verwendet hätte, um dem Fremden ein paar Eier kochen zu können.

„Wo ist denn jener Fremde?“ fragte ich.

„Dort im Nebenzimmer,“ antwortete Olga, „da sitzt er oft bis spät Nachts ohne Licht und grübelt darüber nach, wie er wieder nach seiner Heimath komme.“

Es drängte mich, mit dem Manne, der diesen armen Russen so viel Mitleid einflößte, zu sprechen. Ich bat deshalb Olga, mich bei ihm zu melden. Rasch kehrte das junge Mädchen zurück, zündete einen mit Oel getränkten Holzspahn an und führte mich in das Nebenzimmer. Ein junger schlanker Mann von dreißig Jahren, ein deutscher Landsmann, begrüßte mich, und als ich ihm erzählt, wie ich hierher gekommen, theilte er mir auf meine Aufforderung seine Lage mit.

„O die Thoren,“ begann er, „die sich durch Versprechungen und eitle Illusionen verleiten lassen, eine schöne Zeit ihres Lebens in dieser nordischen Wildniß unter tausend harten Entbehrungen nutzlos zu verbringen! Wie Viele hat man nicht in dieses Land gelockt, und wohl dem, der nicht in allzu großer Armuth und mit nicht allzu großer Verbitterung wieder heimziehen kann! Denken Sie nur an die große Menge fremder Arbeiter, die von gewissenlosen Agenten unter Versprechungen, die man ihnen gar nicht halten kann und die ein ehrlicher Russe auch gar nicht machen würde, alljährlich für Rußland geworben werden. Sie ziehen hin voller Hoffnung und träumen sich wohl gar den Himmel auf Erden, haben sie indeß erst einmal Alles, was ihnen daheim lieb und werth und zur Gewohnheit geworden war, eine gewisse Zeit entbehren müssen und eine Einsicht in die Verhältnisse gewonnen, wie enttäuscht und wie arm ziehen sie heim! So habe auch ich mich durch glänzende Versprechungen und – ich bekenne es offen – durch Illusionen zur Auswanderung nach Rußland verleiten lassen. Ich bin Architekt, und Protektionen von hochgestellten Personen meines Heimathsstaates, warme Empfehlungen an hiesige einflußreiche Männer und die Versicherung derselben, Alles für mich thun zu wollen, was in ihren Kräften stehe, ließen mich hoffen, daß ich in einer Zeit, wo der Staat so großartige Bauten unternimmt und der fremden Kräfte mehr wie je bedarf, hier eher als im Vaterlande meinen Wirkungskreis finden würde. Aber ich habe gesehen, welchen Werth jene Versprechungen haben; nach langem Harren bin ich, da meine Baarschaft nicht bedeutend und es mir bei redlichstem Bemühen nicht möglich war, mir meinen Unterhalt zu verdienen, in die äußerste Bedrängniß gekommen und überzeugt, daß ich ohne diese brave russische Familie, bei der ich nun schon lange wohne, dem Hungertode nahe gewesen wäre.“ Und dann bestätigte er nicht nur alles das, was die Russin mir selbst erzählt hatte, sondern fügte unter Andern noch hinzu, wie er hinterher erfahren, daß seine Wirthin zuweilen alle ihre Werthstücke auf das Leihhaus getragen habe, blos um aus dem Erlöse für seine geringen Bedürfnisse sorgen zu können. Lange saßen wir so im Gespräche zusammen, endlich verabschiedete ich mich mit dem Versprechen, bald wieder zu kommen. Kurz darauf wurde für die Heimkehr des Landsmannes durch Freunde und Bekannte gesorgt; die braven Russen und ein paar andere Freunde geleiteten ihn an Bord des Schiffes, und mit einem herzlichen „Habt Dank für euere Treue!“ schied er von der in ihren Goldkuppeln strahlenden Residenz, die ihm wie so manchem Fremden eine Leidensstätte gewesen war. Die aufopfernde Liebe der Russen aber, von der ich hier erzählt, steht nicht allein, sie ist in allen Theilen Rußlands zu finden.

B. 




Erklärung. In einem in Nr. 35 und 36 d. J. der Zeitschrift „Ueber Land und Meer“ unter dem Titel „Flensburger Fuhrpark“ veröffentlichten Artikel hat Herr Graf Adalbert Baudissin die Wahrheitstreue meiner in Nr. 14 der Gartenlaube erschienenen Zeichnung „Vorposten bei der Nübler Wassermühle auf der Sonderburger Chaussee“ angefochten und namentlich behauptet, die preußischen Vorposten haben sich nie und nirgends durch dergleichen Verhaue gedeckt, wie ich dies auf meinem Bilde dargestellt.

Darauf habe ich einfach zu erwidern, daß sich die am 3. März d. J. genau nach der Natur aufgenommene Studie des fraglichen noch vor der Büffelkoppel, wo damals der Vorposten stand, errichteten Verhaues in meiner Mappe befindet und Herrn von Baudissin zur Einsichtnahme zu Diensten steht. Ferner bemerke ich, daß die Officiere der 7. Compagnie des 64. preußischen Regiments (Brandenburg), mit denen ich damals auf Vorposten lag, die Existenz jener Verhaue constatiren und besonders bestätigen können, daß vor der Büffelkoppel auf der Sonderburger Chaussee die Vorposten sich etwaigen feindlichen Angriffen niemals ungedeckt aussetzten, sondern Barrikaden und Verhaue errichteten, ebenso wie die Feldwachen sich befestigten, so gut es das vorgefundene Material erlaubte.

Weimar, im Juni 1864.

Otto Günther. 
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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 464. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_464.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)