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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

„Das ist meine Lebensaufgabe, Signora Bianca,“ versetzte Kaunitz, eifrig herbeieilend, „und Sie sehen mich bereit, Ihnen mit allen meinen Streitkräften gegen diese abscheuliche Eroberungslust, die schon so viel Kriege angefangen hat, zu Hülfe zu kommen.“

„Wenn Sie einen solchen Bundesgenossen zu Hülfe nehmen, dann ist’s freilich Zeit, daß Frankreich sich zurückzieht und Italien dem Glücke dieses Bündnisses überläßt,“ sagte Aimée spöttisch, indem sie aufstand und die beiden jungen Damen auf der Causeuse verließ.

„Hochmüthiges Geschöpf!“ murmelte Bianca, während Kaunitz das Tabouret einnahm, das Aimee von Brissac verlassen hatte.

„Ich bin gerührt von dem Guten, was Sie eben von den Deutschen gesagt haben,“ flüsterte Kaunitz Bianca zu, so, daß es die Nachbarin des jungen Mädchens nicht verstehen konnte, „es macht mich froher, als ich Ihnen sagen kann … Bianca, wollen Sie mich wirklich zu Ihrem Bundesgenossen annehmen?“

Bianca wechselte einen Augenblick die Farbe, dann sagte sie mit einer koketten Kopfbewegung lächelnd: „Wozu hätt’ ich einen Bundesgenossen nöthig …“

„Wenn Sie ihn aber nöthig hätten, wäre dann nicht ein Deutscher der beste, weil er der treueste ist?“

„Auch der treueste hat seine egoistischen Absichten … das Beste ist, keinen brauchen!“

„Brauchen Sie nicht einen, wenn auch nur um sich zu rächen?“

„Will ich das?“

„Seien wir offen, Bianca … ich schwöre Ihnen, daß Sie mir vertrauen können.“

„Daß ich das glaube, habe ich Ihnen schon gezeigt … Sie sehen, daß ich Sie nicht fürchte!“

„Und daß Sie das nicht thun, trotz jenes Abends, der Sie so in Schrecken setzte, daß Sie auf meine ehrliche Discretion bauen, das eben macht mich Ihnen so dankbar, und noch einmal: ich trage Ihnen die ehrlichste Bundesgenossenschaft an. Aber egoistisch bin ich freilich dabei, ich wünsche, daß die Bundesgenossenschaft mit einem kleinen Dienste beginne, den Sie mir leisten!“

„Und worin bestände der?“

„Erinnern Sie sich des neulichen Gesprächs an der Abendtafel des Königs über eine doppeltgefärbte Perle?“

„O ja, sehr wohl!“

„Nun wohl, ich habe Gründe anzunehmen, daß der Baron von Breteuil eine solche Perle, die einzige, welche, wie man sagt, vorhanden ist, morgen Ihrer Tante, der Marchesa von San Damiano zum Geschenk machen wird.“

„In der That?“

„Ich glaube es, und es liegt mir viel daran zu erfahren, ob es geschehen oder nicht. Fragen Sie mich nicht nach den Gründen, weshalb – es ist zu lang, es hier auseinander zu setzen. Wollen Sie mir verstatten, morgen Abend zu Ihnen zu kommen, um es von Ihnen zu erfahren?“

„Morgen Abend? Ich werde Sie morgen nicht sehen, Herr Graf, es ist keinerlei Hoffestlichkeit angesagt, die mir Gelegenheit gäbe, Sie zu sehen!“

„Freilich – aber sind wir nicht Zimmernachbarn …“

„Mein Gott, Sie wollen doch nicht sagen …!“

„Bianca!“ flüsterte Kaunitz im bestechendsten, flehendsten Tone, „nur ein einziges Mal lassen Sie mich es benutzen, daß wir Zimmernachbarn sind – nur ein Mal, und dann nie wieder!“

„Wenn Sie es wagten!“ sagte sie wie drohend.

„Nur dazu, daß Sie mir die kurze Nachricht geben!“

„Ich würde es Ihnen nie, niemals verzeihen!“

„Und wenn ich nun doch käme?“

„Ich versichere Sie, ich machte Lärm im ganzen Schlosse.“

„Grausame … und Sie wollen mir die Auskunft, um welche ich Sie bitte, nicht geben?“

„Ich will sie Ihnen geben, aber nicht so … ich will Ihnen schreiben – wenn es mir irgend möglich ist, das Billet Ihnen zukommen zu lassen, ohne daß man es entdeckt!“

„So danke ich Ihnen wenigstens dafür,“ sagte Kaunitz und wollte noch etwas hinzufügen, als Bianca plötzlich aufstand und mit den rasch geflüsterten Worten: „Die Marchesa winkt mir!“ ihn verließ.

Er schaute ihr mit Blicken nach, in denen seine ganze Seele lag … es war gut, daß Cavaliere Gennaro sie nicht beobachtete, diese Blicke; er würde schwerlich beruhigt gewesen sein, wenn er auch den Stoßseufzer vernommen hätte, den Kaunitz, sich endlich absendend, vor sich hinflüsterte: „Mein Gott, ich würde ja der schwärzeste Verräther sein, den es auf der Welt gäbe!“




6.

Es war in später Abendstunde des folgenden Tages. Unser junger Diplomat ging gedankenvoll in seinem Zimmer auf und ab. Zuweilen blieb er in der Gegend des Kamins stehen und lauschte. Dann, wenn er wahrgenommen, daß Alles da drüben noch still sei, setzte er seine Wanderung fort. Von Zeit zu Zeit blickte er auf seine Uhr.

Er war offenbar in großer Aufregung – in großer Spannung. Seine Zimmernachbarin hatte, seitdem er sich ihr genähert, ursprünglich nur um sie zu seinem Plane zu benutzen, einen von Tag zu Tag steigenden Eindruck auf ihn gemacht. Wir sehen, wie verhängnißvoll er es gefunden, wenn man eine schöne und anmuthige Wandnachbarin hat – man sieht täglich von früh bis spät die abscheuliche trennende Wand und dann natürlich, mit den Augen des Geistes, auch von früh bis spät das, was hinter dieser Wand sich bewegt. Man lauscht, man hört leise ihre Stimme herüberschwirren, wenn sie spricht, kurz, man hört nicht auf, an sie zu denken – und denken ist gefährlich! Und nun gar, wenn die Nachbarin ist wie Bianca Pallavicini … die schöne Bianca mit dem hinreißenden Lächeln, der glockenhellen Stimme, mit ihrer frischen, lebhaften Natürlichkeit, in die sich doch so viel anmuthige Koketterie mischte, gerade hinreichend, um einen jungen Mann wie Kaunitz zu entzücken, der viel zu wenig Novize war, sich viel zu viel in der „Gesellschaft“ bewegt hatte, um eine Schönheit ohne alle Koketterie pikant und begehrenswerth zu finden.

Kurz, er hatte mit dem Feuer gespielt und sich daran ein wenig verbrannt, und daher seine Aufregung und seine quälenden Zweifel. Was sollte er thun? Sie hatte ihm nicht geschrieben. War das nicht wie eine offenbare Aufforderung, zu dem Kaminrendezvous zu kommen? Und wenn es das war, lag dann nicht auch darin, daß es ihm in der That gelungen, Bianca für ihren Verlust zu trösten, für diesen Nobelgardisten, diesen flatterhaften Damöt, der, so schön er selbst auch, so glänzend sein Aeußeres sein mochte, doch an Geist und Bildung so weit hinter ihm zurückstand – so himmelweit … Kaunitz war nicht der Mann, der Anstand genommen hätte, es sich so bestimmt auszusprechen, wie sehr er diesen bevorzugten Jüngling übertraf – er war eben derselbe Kaunitz, der später, als er der große Fürst Kaunitz geworden, seine Selbstbewunderung noch viel lauter und unumwundener aussprach. Gewiß, Bianca konnte nicht anders als in seiner Neigung mehr als einen Ersatz für ihren Cavaliere Gennaro gefunden zu haben … wer weiß, vielleicht hatte ihre Neigung für diesen auch zum Theil nur in dem echt frauenhaften Vergnügen gewurzelt, ihrer Tante, deren Schwäche für den jungen Mann sie ja kannte und beobachtete, ihn abspenstig zu machen …

Aber auf der anderen Seite die Gewissensscrupel, der Verrath an Gennaro und die Frage, was aus der Intrigue werden solle, die er eingefädelt, in die er bereits seinen Gesandten, den Grafen Traun, eingeweiht hatte, die es nun auch eine Ehrensache war durchzuführen … eine höchst wichtige Sache obendrein noch, auch wenn nicht ein so kostbares Kleinod, wie jene von Wien herübergesandte Perle, eine Rolle dabei gespielt hätte!

Doch, genau betrachtet, sagte sich unser Diplomat, brauchte ihn das nicht zu hindern, bei Bianca sein Glück zu verfolgen – hatte er erst völlig Bianca’s Herz erobert, dann konnte er ja vielleicht mit ihrer Hülfe sein Spiel auch so zu Ende spielen – er konnte ihr sagen: nur wenn Frieden bleibt zwischen meinem Vaterlande und Deinem, ist eine Hoffnung der Verbindung für uns da, sonst nicht … hilf mir, daß sich unsere Herrscher verbinden, damit wir es können …

Und so war er – wie jetzt oft schon – an dem Kamin lauschend stehen geblieben, um zu horchen, ob Bianca nicht drüben in ihrem Zimmer sei … sie mußte da sein, denn es war längst die Stunde vorüber, in welcher sie gewöhnlich aus den Wohnräumen ihrer Tante zurückzukehren und sich zur Ruhe zu begeben pflegte.

Er verlor endlich, die Geduld. Vielleicht war sie schon da, vielleicht hatte er ihr Kommen überhört – er griff nach seinem

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 482. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_482.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)